Meine erste Erzählung

Erzählung zum Thema Fantasie

von  EkkehartMittelberg

Ich dachte mir schon mit vier Jahren Erzählungen aus und das kam so:

Meine Mutter glaubte, es sei gesund für mich, dass ich jeden Tag einen Mittagsschlaf hielt, obwohl ich gar nicht müde war. So wäre ich der Langeweile ausgesetzt gewesen, zu der noch ein anderes Übel kam. Gegenüber unserer Wohnung gab es eine Schreinerei, deren Säge wie zum Spott mittags auf Hochtouren lief und mir mit ihrem kreischenden Geräusch auf die Nerven ging.

Ich musste etwas finden, um die Langeweile und den quälenden Lärm zu verdrängen, und das fiel mir nicht schwer.

Meine Mutter leitete die Stadtbücherei und brachte mir zu dieser Zeit deutsche Heldensagen in Bildern nach Hause, die sie mir auch vorlas. Meine erste selbst verfasste Geschichte, die niemals aufgeschrieben wurde, handelte von dem Finsterling Hagen von Tronje. Ich fand es hundsgemein, dass er die durch das Lindenblatt verwundbare Stelle Siegfrieds nutzte, die das schützende Drachenblut nicht erreicht hatte, um ihn umzubringen. Deswegen verwandelte ich die Geschichte so, dass Hagen der Leidtragende war. Siegfried, der trinken wollte, erblickte das Spiegelbild Hagens mit seinem Speer hinter sich auf dem Wasserspiegel der Quelle. Er drehte sich blitzschnell um, entriss Hagen den Speer und tötete seinen Feind.

Dies war der Höhepunkt meiner Erzählung, an weitere Einzelheiten kann ich mich nicht mehr erinnern.

Die Lust zum Fabulieren war früh in mir angelegt. Doch es dauerte bis zu meinem 60. Lebensjahr, bis ich den Mut und die Muße fand, erste eigene poetische Texte niederzuschreiben.



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Kommentare zu diesem Text


 AlmaMarieSchneider (26.04.23, 00:42)
Ja, den Hagen fand ich auch gemein. Weihnachten hat uns unser Vater immer die Nibelungen erzählt und auch dass Krimhild bittere Rache nahm. 
Unsere Nachbarin war eine sehr große Frau und hieß auch Krimhild.
Wir gingen ihr immer aus dem Weg.  :D

Ich glaube bei mir hat das Internet sehr viel dazu beigetragen. Da gab es plötzlich viele Gleichgesinnte und Bücherwürmer.

Liebe Grüße in die Nacht

Alma Marie

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 26.04.23 um 11:07:
Merci, Alma Marie. Das Nibelungenlied hat bei der Bildung unserer Generation noch eine große Rolle gespielt. Leider ist es wegen des ideologischen Missbrauchs durch die Nazis zunehmend aus dem Blick gerückt, obwohl es hochinteressante Charaktere aufweist.
Mir geht es so wie dir. Ohne das Internet hätte ich nicht begonnen, selbst zu schreiben.
Herzliche Grüße
Ekki
Taina (39)
(26.04.23, 08:47)
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 EkkehartMittelberg antwortete darauf am 26.04.23 um 11:18:
Grazie, Taina, bei genauer Betrachtung sind die Charaktere des Nibelungenlieds alle mit irgendwelchen Makeln behaftet, selbst Siegfried. Es ist ja ein Ding, die Freundschaft so weit zu treiben, dass er als Beweis seiner Treue die bärenstarke Gattin des Freundes unter einer Tarnkappe vernascht.
Als Kind habe ich in Siegfried nur den lupenreinen Helden gesehen.
Beste Grüße
Ekki
Taina (39) schrieb daraufhin am 26.04.23 um 14:32:
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 EkkehartMittelberg äußerte darauf am 28.04.23 um 23:29:
Taina, es ist seltsam, dass Kinder sich für die Nibelungen-Sage so begeistern können, obwohl sie sie nur teilweise verstehen können.
Taina (39) ergänzte dazu am 29.04.23 um 05:58:
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 harzgebirgler (26.04.23, 09:03)
schön gingst du schon in frühen kindheitstagen
dem heimtückischen hagen an den kragen
mit klarem sinn auch für gerechtigkeit
als echtes pfund für spät're schaffenszeit.

lg
henning

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 26.04.23 um 11:25:
Gracias, Henning, ich staune immer wieder, wie es dir gelingt, deine Kommentare in launige Reime zu kleiden.
Liebe Grüße
Ekki

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 26.04.23 um 13:48:
Hallo Armin, ich wundere mich selbst ein bisschen über meine lange Enthaltsamkeit. Doch sie hat einen plausiblen Grund. Ich galt in den sechziger und siebziger Jahren als Experte für die Untersuchung von Zeitungssprache an Schulen. So fing ich an bis zu meiner Pensionierung Schulbücher zu veröffentlichen. Heute finde ich das kreative Schreiben viel interessanter als das pädagogische.
LG
Ekki

 AZU20 (26.04.23, 10:35)
Erstaunlich, dass Du so lange gebraucht hast, Geschichten aufzuschreiben. LG

 GastIltis meinte dazu am 26.04.23 um 11:07:
Stimmt! Was ist uns alles in sechzig Jahren entgangen!
Schade drum!
LG von Gil.
kipper (34) meinte dazu am 26.04.23 um 13:17:
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 26.04.23 um 13:54:
Gracias Gil, ja mir fehlen Jahrzehnte Training im kreativen Schreiben. Aber der hoch politisierte Markt für Schulbücher war auch ein Übungsfeld, auf dem ein junger Mann viel lernen konnte.
LG
Ekki

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 26.04.23 um 14:02:
Merci Kipper,
auch mir erscheint heute Hagen als der interessanteste Charakter im Nibelungenlied. Mit seiner Geradlinigkeit und Unbestechlichkeit passte er gut zu Brunhilde.
Für das Kind Ekki war natürlich Siegfried der Strahlemann.

 Teichhüpfer meinte dazu am 26.04.23 um 15:16:
Die Südländischen Frauen sind so, Ecki, das Leben.

 Didi.Costaire (26.04.23, 14:04)
Hallo Ekki,

ich schätze, es gibt viele alte Schreiber, die sich schon in jungen Jahren kreativ versucht haben und sich irgendwann darauf zurückbesinnen, wie auch auf das (dann als angenehm empfundene) Mittagsschläfchen.

Schöne Grüße,
Dirk

 WinstonSmith meinte dazu am 26.04.23 um 14:10:
Lieber Ekki,

sehr gut gelungen! Kein Meisterwerk, aber ein Text, mit dem man sich identifizieren kann! Einfach nur schön.

Danke!

Herzliche Grüße
Winston

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 26.04.23 um 14:13:
Grazie, Dirk,
es wäre sehr interessant, wenn man die kreativen Versuche, die nicht aufgeschrieben wurden, noch lesen könnte. Einige wirken wahrscheinlich sympathisch frisch, weil sie noch nicht durch Regeln korrumpiert wurden.
Liebe Grüße
Ekki

 Graeculus (26.04.23, 14:30)
Interessant, wenn man sich zurückblickend an die ersten literarischen Versuche erinnert.
Erstaunt hat auch mich, daß es so lange gedauert hat, bis Du in reifen Jahren darauf zurückgekommen bist.

Es hat sicher etwas zu sagen (auch wenn ich nicht weiß, was), daß der größte Held der Griechen und der der Germanen diese Gemeinsamkeit hatten: nur eine einzige verwundbare Stelle am ganzen Körper. Ist das ein Topos? Findet sich das auch in anderen Kulturen?
Taina (39) meinte dazu am 26.04.23 um 14:35:
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 Graeculus meinte dazu am 26.04.23 um 14:39:
Natürlich, Achilleus mit seiner berühmten Ferse.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 26.04.23 um 17:48:
Gracias Graeculus und Taina.
Zu dem Motiv der Achillesferse habe ich bei Wikipedia dies gefunden:"Das  Motiv findet sich unter anderem in der  Nibelungensage wieder. Hier bedeckt ein  Lindenblatt eine Stelle des Rückens von  Siegfried, als er sich im  Drachenblut badete, um unverwundbar zu werden. An ebendieser einzigen verwundbaren Stelle wird er im späteren Verlauf der Sage von  Hagen mit einem Speer hinterrücks gemeuchelt.

In der  nordischen Mythologie erscheint das Motiv der einzigartigen Verwundbarkeit in der Gestalt eines  Mistelzweigs, der den  Balder verwundbar macht und schließlich auch tötet. Balder hat nämlich eines Tages einen Traum von seinem eigenen Tod, worauf seine Mutter  Frigg zu jedem Tier und zu jeder Pflanze geht und sie auffordert, einen Eid abzulegen, dass sie Balder nicht verletzen werden. Nur der junge Mistelzweig scheint Frigg zu unbedeutend zu sein, als dass sie von ihm einen Eid abnehmen sollte."
Es bleibt die Frage, weshalb sich dieses Motiv verbreitet hat: Vielleicht deshalb, weil es gelegenheit bot, die großen Helden der Menschen mit Göttern (siehe Balder) zu vergleichen.

 Graeculus meinte dazu am 26.04.23 um 17:56:
Selbst der größte menschliche Held ist, wenn auch nur minimal, verwundbar, ist sterblich, ist kein Gott.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 26.04.23 um 18:06:
Das stimmt selbstverständlich. Aber die Größe der menschlichen Helden liegt darin, dass man überhaupt versucht ist, einen Vergleich mit den unsterblichen Göttern anzustellen. Der Vorwurf der Hybris liegt nahe, aber der Vergleich lässt sich nicht aus der Welt schaffen.

 Graeculus meinte dazu am 26.04.23 um 18:20:
Darüber muß ich nachdenken, weil ich selbst einen menschlichen Helden noch nie mit unsterblichen Göttern in Verbindung gebracht habe - dazu ist die Betonung auf "die Unsterblichen vs. die Sterblichen" in den griechischen Mythen zu stark.

Spontan:
Es gibt zwar komische Gestalten bei den Göttern (der Hahnrei Hephaistos, die in der Schlacht angeritzte Aphrodite), aber keine tragischen. Weder agieren sie unter Einsatz ihres Lebens (wie Achilleus) noch unterliegen sie der Verdammnis (wie Sisyphos, Tantalos, Ixion).
Auf der anderen Seite sind Helden natürlich Helden, d.h. sie verkörpern das Höchstmaß an menschlicher Leistungsfähigkeit und erzeugen daher Bewunderung (Alexander d. Gr. --> Achilleus).

Und dann gibt es noch diejenigen Gestalten, die sich im Zwischenraum zwischen Menschlichkeit und Göttlichkeit bewegen (Halbgötter wie Herakles: sterblich, dann aber zur Unsterblichkeit begnadigt).

Es ist kompliziert. Dein Text regt an.
Taina (39) meinte dazu am 26.04.23 um 21:01:
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 Graeculus meinte dazu am 26.04.23 um 21:42:
Bei den Germanen kenne ich mich nicht aus, ich dachte an die griechischen Götter. Das wäre dann ein Unterschied.

 Quoth meinte dazu am 03.05.23 um 09:53:
Und ich dachte, Du, Graeculus, würdest in Hagen von Tronje sogleich Hagen von Troja erkennen - denn so germanisch oder gar arisch wir sind, ohne ein bisschen Bezug auf die Antike kommen wir nicht aus ...  8-)
Teolein (70)
(26.04.23, 14:53)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 26.04.23 um 17:56:
Vielen Dank, Teo. Ich weiß, dass uns Selbstironie gemeinsam ist: "Gute Früchte brauchen Zeit zur Reife."
Liebe Grüße
Ekki

 Dieter_Rotmund (26.04.23, 17:07)
Gerne gelesen, aber sich selbst zuzuschustern, man schreibe "poetische Texte", sorry, aber das klingt schon sehr nach Selbstbeweihräucherung.
Nichts für ungut!

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 26.04.23 um 18:18:
@ Dieter_Rotmund: Selbstbewusstsein ist keine Selbstbeweihräucherung.

 Dieter_Rotmund meinte dazu am 26.04.23 um 18:33:
Ja, sicher, aber ich finde es grenzwertig, wie man so schön sagt.

 plotzn (27.04.23, 10:13)
Servus Ekki,

wow! (oder zu Deutsch: sagenhaft!) Schon mit vier Jahren die erste eigene Sagenadaption. In dem Alter hatte ich mit Literatur noch nix am Cowboyhut.
Schön, dass Du später dann wieder zu diesen Wurzeln zurückgekehrt bist...

Liebe Grüße
Stefan

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 27.04.23 um 10:26:
Vielen Dank, Stefan, auch ich habe mich
 gefragt, wie das in dem frühen Alter möglich war. Zwei Umstände haben es begünstigt. Die Darstellung des Drachens und der Ermordung Siegfrieds waren sehr suggestiv, sodass sie mein Bewusstsein besetzten. Das regelmäßige Vorlesen meiner Mutter aus der Nibelungensage  hielt mich in dieser Fixierung fest, dass meine Gedanken ständig um den Tod Siegfrieds kreisten.

Liebe Grüße
Ekki
Agnete (66)
(28.04.23, 13:30)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 28.04.23 um 21:31:
Merci, Agnete, es ist eine Freude, beim Fabulieren Begleiterinnen wie dich zu haben.

LG
Ekki

 Saira (29.04.23, 10:26)
Lieber Ekki,
 
insofern bin ich deiner Mutter aber sehr dankbar, dass sie auf deinen täglichen Mittagsschlaf bestanden hatte. Ein klein wenig erinnert mich deine Geschichte an meine eigene. Mein knapp vier Jahre jüngerer Bruder musste auch stets seinen Mittagsschlaf halten. Das sah mein Bruder mit drei und vier Jahren aber anders und so quängelte er stets. Damit ihm keine Dresche drohte, legte ich mich mit ihm hin und erzählte ihm erdachte Kindergeschichten. Meist schlief er dann für ein Stündchen ein.
 
Ich wünsche dir noch viele Jahre Gesundheit und Kreativität, auch aus Eigennutz 😊!
 
Herzliche Grüße
Sigi

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 29.04.23 um 18:25:
Vielen Dank für deine guten Wünsche, Sigi. Wenn wir gemeinsam mit dem Stoff der Nibelungensage fabuliert hätten, wären Brunhild und Kriemhild charmanter und nicht so rachedurstig geworden.
Herzliche Grüße
Ekki
Kämpfernatur (31)
(29.04.23, 22:29)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 30.04.23 um 13:33:
Merci, Kämpfernatur, das kann ich unterschreiben.

LG
Ekki
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