mörike

Kurzgedicht

von  Redux

es war immer langweilig

besonders in den ferien

nachts donnerten die transporter über die bundesstraße

in den ställen knisterten glühbirnen
schrien schweine zur fütterungszeit

und wir waren mitten am ende der welt

auf dem alten kirchplatz

kippten wir dieses billige dosenbier in uns hinein
spät nachts waren wir
zu dritt oder viert und betrunken
die einzigen menschen auf dieser erde

im april kamen die ersten warmen schwaden

die nächte waren kalt wie schneewasser

und dennoch wehten

mörikes blaue frühlingsbänder

unsichtbar durch blutjunge nächte

kaum dass sie ins herz ritzten

waren sie schon erinnerung

und unvergessen

 



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Kommentare zu diesem Text


 Gabyi (02.06.23, 17:40)
Ach ja, ich erinnere mich dunkel: Eduard Mörike. Hatte ich komplett vergessen. Frühling schickt sein blaues Band oder so ähnlich.
Schöner Text. LG, Gabyi

 Redux meinte dazu am 02.06.23 um 23:44:
Genau, liebe Gabyi, der Schwabe hatte es- auf seine Art und Weise- drauf....

 AchterZwerg (02.06.23, 17:55)
Ein moderner Bezug zur Naturidylle der Romantiker. 8-)
Aber auch der späte Möricke selbst wendete sich dem Realismus zu und verfasste einige Neufassungen seiner Gedichte.
Ob das berühmte "blaue Band" dabei ist, weiß ich jedoch nicht.

Liebe Grüße
der8.

 Redux antwortete darauf am 02.06.23 um 23:45:
Ganz ehrlich, so ganz genau weiß ich das auch nicht, aber seine flatternden blauen Bänder, die haben mich beeindruckt und die habe ich nie vergessen.

 Dieter Wal (02.06.23, 19:47)
Schrieb begeistert Parodien auf Mörikes "Er ist's". Dieses Zeitgedicht hat was. Mörikes Gedicht wird es mit den Worten:


und dennoch wehten
mörikes blaue frühlingsbänder
und zerfetzten die stille
noch nicht gerecht. Denn darin hört man höchstens verhalten flatternde Bändchen und einen leisen Harfenton.



Frühling lässt sein blaues Band
Wieder flattern durch die Lüfte;
Süße, wohlbekannte Düfte
Streifen ahnungsvoll das Land.
Veilchen träumen schon,
Wollen balde kommen.
Horch, von fern ein leiser Harfenton!
Frühling, ja du bist's!
Dich hab‘ ich vernommen!
Da wird nix zerfetzt. Doch was nicht ist, kann werden. Mach ein perfektes Gedicht daraus.

Kommentar geändert am 02.06.2023 um 19:48 Uhr

 Redux schrieb daraufhin am 02.06.23 um 23:43:
Lieber Dieter, dein Einwand ist berechtigt und motiviert mich . Mal schauen, ob da nicht mehr Mörike drin ist.
Danke...einstweilen.
Und liebe Grüße
Redux

Antwort geändert am 02.06.2023 um 23:57 Uhr

Antwort geändert am 02.06.2023 um 23:57 Uhr

 Redux äußerte darauf am 02.06.23 um 23:56:
besser?

 Dieter Wal ergänzte dazu am 03.06.23 um 08:13:
Besser.

Noch besser, statt "unsichtbar durch unsere blutjungen nächte", einfach:


unsichtbar durch blutjunge nächte

 JohannPeter meinte dazu am 03.06.23 um 23:48:
Einer meiner von mir sehr geschätzten Lehrer meinte in einem Seminar einmal, nach der Landung von Armstrong und Aldrin könne man den Mond nicht mehr sehen und besingen, wie ihn Claudius oder auch Paul Gerhard noch gesehen und besungen hatten.
Der DDR-Liedermacher Arno Schmidt (nicht zu verwechseln mit Arno Schmidt, Bargfeld) sang dann:

Der Mond ist aufgegangen
die goldnen Sternlein prangen
schon längst nicht mehr so klar
Der Wald steht schwarz (hier markante Pause) und schweiget
und aus den Wiesen steiget
ein grauer Nebel sonderbar.

Freilich lebte und wirkte das natürlich durch seine Art des Vortrags, aber ich glaube auch, daß wir gut daran täten, die Alten einmal auf heutige Aussagekraft hin zu prüfen.
Den Versuch finde ich dafür unbedingt anregend.

 Redux meinte dazu am 04.06.23 um 09:59:
Vielen Dank für deinen ausführlichen Kommentar.
Und ich gebe dir vollkommen recht. In unserer heutigen Zeit, die geprägt ist durch Schnelligkeit, Digitalisierung und Reizüberflutung ist uns etwas abhanden gekommen, Werte, die die Alten viel höher schätzen konnten und die dennoch zeitlos sind.

 JohannPeter meinte dazu am 04.06.23 um 10:13:
Ich übersehe natürlich die Gefahr und Verfänglichkeit von Nostalgie nicht. Und man sollte auch immer eingedenk der Tatsache sein, daß die (deutsche) Romantik nicht inspiriert ist von der blauen Blume und sich darin erschöpft, sondern Reaktion ist von Künstlern und Geistesschaffenden auf das Scheitern der franzöischen Revolution in Hinblick auf auch kulturelle Erneuerung, die tatsächlich ja nicht stattfand, ihrer Ansätze letztlich im Jakobinismus beraubt wurde.

 Dieter Wal meinte dazu am 04.06.23 um 10:14:
Sorry fürs Dazwischengrätschen.

Mörike schrieb "Er ist's" am 9. März  1829.

Da gab es noch keine Automobile, Radios, TV, Telefone, Züge, Flugzeuge, Internet, Weltklimaerwärmung. Die Industrialisierung begann erst Jahrzehnte später.

Sehr schön finde ich nach einem Blick in Wikipedia, dass nur drei Tage später, also am 11.3.1829 Felix Mendelssohn Bartholdy Bachs Matthäuspassion wieder aufführte und damit die J. S. Bach-Renaissance einleitete.

Antwort geändert am 04.06.2023 um 10:16 Uhr

 Redux meinte dazu am 04.06.23 um 10:25:
Ich habe, da es wunderbar zum Thema passt, gerade eben einen älteren Text ( Die gute alte Zeit) gepostet.
Danke an euch.

 Oops (04.06.23, 09:28)
...hm, es liest sich gegensätzlich , krasse Realität geht über in Romantik und Poesie, ein Mix lese ich  den ich äußerst interessant finde, und der Deine Schreibweise aus macht wie ich finde. Es bleibt immer irgendwie etwas Warmes. Besser kann ich es nicht formulieren.

LG eine Leserin

 Redux meinte dazu am 04.06.23 um 10:01:
Liebe Leserin Oops....du hast es aber wunderbar formuliert. Wenn etwas Warmes zurückbleibt, ist alles erreicht.
Danke

 Quoth (11.06.23, 10:14)
Schönes Bild einer einsamen Dorfjugend, die sich an ein Restchen bürgerlicher Bildung klammert, weil sie nichts anderes hat. Aber drangen per Radio und Single nicht auch ganz andere Töne schon zu ihr durch?

Kommentar geändert am 11.06.2023 um 10:20 Uhr
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