Die Dame geht rechts und anderes

Bericht zum Thema Kultur

von  Graeculus

1. Die Sitte ist uns, glaube ich, abhandengekommen, aber in meinen jungen Tagen gab es sie noch: Die Frau (Dame) geht rechts, der Mann (Herr) links. Irgendeinen erkennbaren Sinn hatte das nicht, auch fünfzig oder hundert Jahre vor meiner Zeit nicht mehr. Doch bis etwa Anfang des 19. Jahrhunderts hatte es einen, nämlich den folgenden: Damals trug der Herr von Stand noch einen Degen an seiner Seite. Er trug ihn als Rechtshänder – wie es die meisten sind – links. Das leuchtet uns Zivilisten nicht unbedingt ein, aber ein Rechtshänder kann den Degen tatsächlich wesentlich schneller ziehen, wenn dieser sich auf der linken Seite befindet. Wäre nun links seine Dame gegangen, hätte dies Alarmstufe Rot für ihre Beine und, schlimmer noch, für ihre feinen Strümpfe bedeutet. Daher ging die Dame rechts. Und das hat sich auffallend lange so gehalten, unabhängig von dem verlorenen Sinn. Man wollte doch in der Tanzschule nicht als Plebejer erscheinen!

2. Wenn ein Fußballspieler im Verdacht steht, seinen Gegenspieler soeben gefoult zu haben, reißt er in der Regel beide Hände hoch und zeigt die leeren Handflächen. Dies tut er selbst dann, wenn die Hände gar nicht im Verdacht stehen, an dem Foul beteiligt gewesen zu sein. Die Geste bedeutet in etwa: „Ich? Gefoult? Nie im Leben! Ich bin total unschuldig!“
In früheren Zeiten bekundeten die leeren Handflächen schlicht: Ich bin unbewaffnet. Was ja auf dem Fußballfeld ohnehin eine bewährte Vorschrift ist.

3. Ein siegesgewisser Mensch – ich meine, es sind Männer, jedenfalls habe ich die Geste bei Frauen noch nicht beobachtet – hebt die rechte Hand und spreizt dabei Zeige- und Mittelfinger. Gewöhnlich führt man dies auf das so angezeigte V zurück; es soll den Anfangsbuchstaben des englischen „Victory“ signalisieren. Ursprünglich bedeutete es wohl etwas anderes. In den Zeiten des Hundertjährigen Krieges zwischen England und Frankreich (im 14. und 15. Jahrhundert) bildeten die englischen Bogenschützen eine neue und für die französischen Ritter fürchterliche Waffe. Aus sicherer Distanz, unerreichbar für Schwert und Lanze der schwergerüsteten Franzosen, konnten sie mittels ihrer Langbögen sogar Ritterrüstungen durchbohren. Mehr als eine Schlacht ist deshalb zugunsten einfacher englischer Soldaten und zuungunsten der adelsstolzen Ritter ausgegangen. Diese versuchten sich zu wehren, indem sie gefangenen Bogenschützen Zeige- und Mittelfinger der rechten Hand abhackten, mit denen sie den Bogen spannten; so machten sie diese für den Gebrauch ihrer Waffe untauglich, ohne sie als Gefangene durchfüttern zu müssen. Wollten ab da die Engländer die Franzosen provozieren, so zeigten sie ihnen vor Beginn der Schlacht ihr Finger-V: „Seht ihr? Wir haben unsere Finger noch! Hütet euch!“

V! Euer Graeculus, links


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Kommentare zu diesem Text


 AchterZwerg (23.09.24, 06:46)
Mir wurde die 1. Sitte anders erklärt: Der Mann geht immer an der Straßenseite, damit beispielsweise ein zarter kleiner Zwerg wie ich nicht unter die Räder kommen kann! :)

 Graeculus meinte dazu am 23.09.24 um 11:35:
Der Mann geht immer an der Straßenseite, stimmt, diese Regel gibt/gab es auch. Das hat ja immerhin noch heute einen Sinn.

 Mondscheinsonate antwortete darauf am 23.09.24 um 11:49:
Ja, macht man ja auch bei Kindern.

 Pfeiffer schrieb daraufhin am 23.09.24 um 12:54:
Lieber Graeculus, liebe Heidrun, liebe Sonate,
eure Hinweise stimmen - sofern man davon ausgeht, dass man nicht nur rechts fährt, sondern auch auf der rechten Straßenseite geht, die linke Seite also die Gefahrenseite ist.
Unterschätzt wird dabei, welche Gefahren (für das schönere Geschlecht) auf der rechten Seite lauern in Form von verlockenden und verleitenden Schaufenster-Auslagen.
Die Sache hat, wie so vieles, buchstäblich zwei Seiten. Ein heikles Thema...
Gruß von Fritz

 Graeculus äußerte darauf am 23.09.24 um 16:28:
Ich habe mich gefragt, was passiert, wenn die beiden Regeln miteinander kollidieren: weil zwar die Dame rechts geht, aber gerade von dort der Autoverkehr droht.
Da wir keine Degen mehr tragen, plädiere ich für die Priorisierung der Autogefahr.

Was mögen emanzipierte Frauen von derlei Höflichkeiten halten?

Bei den Kindern, von denen Mondscheinsonate schrieb, ist es ein klares Muß.

 Graeculus ergänzte dazu am 23.09.24 um 16:37:
Dazu gehört auch die Erfahrung, die ich einst mit einer emanzipierten Frau gemacht habe und von der ich unten, bei Ekkehart, berichte. Man kann mit intendierter Höflichkeit auch anecken.
Geist (99)
(23.09.24, 09:12)
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 Graeculus meinte dazu am 23.09.24 um 11:34:
Das Peace-Zeichen? Das habe ich ja noch nie gehört. Für "Victory", das ja. Worin soll denn da die Erklärung bestehen?

 Graeculus meinte dazu am 23.09.24 um 11:37:
Ob Mädchen/Frauen das Zeichen verwenden, da war bzw. bin ich mir unsicher - ich habe es einfach noch nicht gesehen ... und empfand es in seiner triumphierenden Art auch als eher männlich.

 EkkehartMittelberg (23.09.24, 11:41)
Selbst wenn die ursprünglichen Motive für Regeln des guten Benehmens nicht mehr zutreffen, sind sie nicht sinnlos geworden, denn wenn ich eine Dame rechts gehen lasse, signalisiere ich ihr meine Bereitschaft, mich höflich ihr gegenüber zu verhalten.

 Graeculus meinte dazu am 23.09.24 um 16:33:
Das ist eine sehr feinsinnige Haltung.

Mir ist es allerdings einmal (!) passiert, daß ich bei einer Frau vorausgegangen bin, um ihr die Tür aufzuhalten, und sie mich dafür harsch kritisiert hat, weil sie eine emanzipierte Frau sei: sie könne selbst eine Tür öffnen.

Ein wenig widersprüchlich ist das schon, wenn Frauen einerseits gleichberechtigt sein sollen und andererseits es genießen, aus männlicher Höflichkeit bevorzugt behandelt zu werden.
Das beginnt eigentlich schon dort, wo standardmäßig von "Meine Damen und Herren" gesprochen wird und eben nicht/nie von "Meine Herren und Damen".

Wenn man es allen in allem recht machen will, ist die Welt voller Fallen.
Geist (99)
(23.09.24, 12:39)
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 Graeculus meinte dazu am 23.09.24 um 16:35:
Obwohl ich ja nun ein Angehöriger dieser Generation bin, ist das völlig an mir vorbeigegangen. Schlimmer noch: ich verstehe es nicht. Wie konnte aus dieser durch und durch militanten Geste ein Friedensgruß werden?
Bist Du Dir Deiner Sache sicher?
Geist (99)
(23.09.24, 16:54)
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 Graeculus meinte dazu am 23.09.24 um 20:20:
Nun, ich bezweifle es nicht, verstehe es allerdings auch nicht.

Ansonsten sperre ich jetzt wieder die Kommentarfunktion für Gäste, um mir Verlo vom Leib zu halten, der Dich törichterweise für Dieter Wal hält. Wir wissen es besser.
Verlo2 (65)
(23.09.24, 16:57)
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Verlo2 (65)
(23.09.24, 18:00)
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 Regina (24.09.24, 11:25)
Das mag ja alles seinen Sinn haben, aber niemand kann mir erklären, warum sich einer in der größten Sommerhitze in Anzug, langärmeliges Hemd und Krawatte wirft.

 Graeculus meinte dazu am 24.09.24 um 16:11:
Stimmt. Schon bei der Erfindung der Krawatte stehe ich vor einem Rätsel. Wer kommt warum auf sowas?
Habe seit 50 Jahren keine mehr getragen. Aber manchmal, wenn ich merke, daß jemand Angst vor mir hat, reiße ich die Hände hoch und zeige die leeren Handflächen.
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