Genie

Essay zum Thema Kunst/ Künstler/ Kitsch

von  Graeculus

Der Barockmaler Michelangelo Caravaggio erhielt von einem Kardinal den Auftrag für ein Gemälde, das den Tod Mariens darstellen sollte. Nun stand der Maler vor der Wahl, das 1723800. Bild Mariens zu malen ... oder etwas, das es noch nie gegeben hatte, das noch nie gewagt worden war.


Z


Das von ihm gemalte Bild ist weltberühmt, auch wenn der entsetzte Kardinal sich zunächst geweigert hat, das vereinbarte Honorar zu zahlen. Es zeigt eine Frauenleiche auf einem Bett, umringt von trauernden Menschen. Die unerhörte Entscheidung Caravaggios gegen die Anmutung, einfach ein weiteres Marienbild zu malen, bestand darin, daß die tote Maria die damals in Florenz stadtbekannten Züge einer Hure trug, die man unlängst ermordet aus dem Arno gefischt hatte.

Das ist es, was künstlerische Genialität von konventioneller Produktion unterscheidet: nicht bloß das Erwartbare zu tun und nicht bloß das, was ein Kunde sehen oder lesen will, sondern etwas zu tun, was bisher noch nicht getan worden ist.

Übrigens wußte Caravaggio ein Mittel, wie er dennoch an sein Honorar kam, und war auch skrupellos genug, es einzusetzen. Der Kardinal hatte ein kleines Geheimnis: seine allzu priesterliche Liebe zu Meßdienern. Ehe Caravaggio dies öffentlich machte, zahlte der Hohepriester lieber. Ein Genie kann durchaus ein Verbrecher sein.


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Kommentare zu diesem Text


 Lorolex (18.12.24, 17:15)
Hallo Graeculus, dies könnten die Anfänge des anrüchigen Sensationsjournalismus gewesen sein! Immer neue Skandale, gruseliger, profaner, niveauloser und herabwürdigender.
Ich schau ja praktisch kein Fernsehen aus eben diesen Gründen. Man kann sich prima auch im Internet informieren und v.a. man kann selbst wählen was einem vor Augen kommt!
LG Kai

 Graeculus meinte dazu am 18.12.24 um 17:43:
Caravaggio hat nicht einen Skandal (wie etwa die Ermordung einer Prostituierten oder die merkwürdigen Gewohnheiten eines Kardinals) dargestellt, sondern einen Skandal ausgelöst, und zwar durch eine völlig neue, der kirchlichen Lehre diametral entgegengesetzte Deutung der Maria: keine Heilige, keine Jungfrau, sondern eine Prostituierte.
Das veranlaßt oder kann veranlassen, eine eingefahrene und nicht mehr reflektierte Deutungsgewohnheit neu zu bedenken.
Das ist gut, und wenn Kunst das schafft, dann ist sie gute Kunst.
Heute, in der modernen Kunst, ist das Enttabuisieren schon fast zu einem Stereotyp geworden; aber damals, zu Caravaggios Zeit, war es sensationell neu.

Was wäre das Gegenteil? Was brächte der Verzicht darauf hervor? Das 1723800. Bild Mariens in traditioneller Manier.

 EkkehartMittelberg (18.12.24, 17:44)
Hallo Graeculus,
die Epoche des Sturm und Drang interessierte sich besonders für das Wesen eines Genies. Sie definierte das Genie als Originalgenie und bestätigte deine These, dass das Unerwartete, Originelle Kennzeichen des Genies ist.

 Graeculus antwortete darauf am 18.12.24 um 17:58:
Es stimmt, im Sturm und Drang war dies eine gängige Deutung des Genies.
Mir ist es, vor allem dieses völlig neue Deuten von etwas Bestehendem, erstmals bei Caravaggio aufgefallen. Dann aber auch - Du wirst Dich sicher erinnern - bei dem, was Joe Cocker aus dem durch und durch netten, harmlosen Beatles-Song "With a little help from my friends" gemacht hat und wodurch er in Woodstock auf einen Schlag berühmt geworden ist: ein Hilfeschrei nach Freunden.

Es gibt bestimmt mehr, viel mehr davon in der Kunst- und Musikgeschichte.

Bei der Althistorikerin Mary Beard habe ich kürzlich gelesen, wie begeistert sie von der "Apokolokyntosis" des oft so betulich daherkommenden Philosophen Seneca ist: die 'Dekonstruktion' des vergöttlichten Kaisers Claudius bis hin zu dessen letztem Satz: "vae me, puto, concacavi me."

 EkkehartMittelberg schrieb daraufhin am 18.12.24 um 18:10:
Magst du in einem Extra-Text mal etwas über die Apokolokyntosis schreiben? Auch für mich ist sie ein schönes Beispiel dafür, dass Genialität sich im Witz zeigen kann.

 Graeculus äußerte darauf am 18.12.24 um 23:13:
Darüber habe ich nachgedacht. Ich fürchte, daß man für das Verständnis dieses Textes so viele trockene Erläuterungen geben muß (Wer war dieser Claudius? Wie stand Seneca zu ihm? usw.), daß darüber der Witz verlorengeht.
Über witzige Texte zu berichten, finde ich eh ziemlich schwierig.

Aber ich behalte die Idee mal im Kopf.

 Graeculus ergänzte dazu am 18.12.24 um 23:14:
Einen Zusammenhang zwischen beidem hat ja schon Aristoteles vermutet; und Caravaggio ist wohl kein schlechtes Beispiel dafür.

 Saira (18.12.24, 19:00)
Lieber Wolfgang,

dein Essay beleuchtet auf eindrucksvolle Weise, was künstlerische Genialität ausmacht und wie sie sich von konventioneller Kunstproduktion abhebt.

Du stellst Caravaggio als Paradebeispiel für einen Künstler dar, der den Mut hatte, das Gewöhnliche zu hinterfragen und etwas völlig Neues zu schaffen. Indem er Maria nicht als die idealisierte, heilige Figur darstellt, sondern als eine tote Frau mit den Zügen einer ermordeten Hure, bricht er mit den Erwartungen seiner Zeit.

Du hebst hervor, dass wahre Genialität oft mit einem gewissen Risiko verbunden ist – sowohl in der künstlerischen als auch in der moralischen Dimension. Caravaggios skrupelloses Verhalten, um sein Honorar zu sichern, zeigt, dass Genialität nicht immer mit ethischen Idealen einhergeht.

Ich habe heute – dank dir – wieder etwas dazugelernt, indem ich mich mit einem Künstler befasst habe, der mir gar nicht mehr so präsent war. Danke!

Liebe Grüße
Saira

 Graeculus meinte dazu am 18.12.24 um 23:21:
Die Idee, liebe Saira, dürfte die sein, daß die eine Maria (die Mutter Jesu) und die andere Maria (die Prostituierte Maria Magdalena) sich gar nicht so sehr unterscheiden, wie es der traditionelle Heiligenkult um Jesu Mutter suggeriert.
Und das ist fast eine ganz neue Auffassung von Christentum!

Sowas auszudrücken und damit die etablierten Autoritäten vor den Kopf zu stoßen, ist natürlich hochgradig riskant. Gut, daß Caravaggio um die "kleine Schwäche" des Kardinals wußte, die, wie wir heute wissen, in der katholischen Kirche nicht gerade selten ist.

Daß Caravaggio selbst alles andere als ein Heiliger war und der Sphäre der anderen Maria nahestand, hast Du vermutlich inzwischen erfahren.

Das alles entzündet auch eine Menge an Phantasie und eigener Kreativität, meine ich ... wenn man sieht, was alles möglich ist in der Kunst.

Ich danke Dir, Saira.
Graeculus/Wolfgang

 LotharAtzert (18.12.24, 20:50)
Blödsinn. Es gibt kein Genie. Die Zusprechung des Genialischen kommt ausschließlich von denen, die selbst keine Eier in der Hose haben. Um aber beruhigt weiter leben zu können, werden alle, die mutiger und schöpferischer sind, als die Eierlosen, als Genies bezeichnet - natürlich erst, wenn sie genug Aufmerksamkeit vom Volk bekommen, sonst funktionierts nicht.
Billig, billig.

 Graeculus meinte dazu am 18.12.24 um 22:52:
Deine markigen Macho-Sprüche machen dich auch nicht größer und beeindruckender.

 LotharAtzert meinte dazu am 18.12.24 um 23:02:
Als ob's um mich gänge. Beziehe Dich doch bitte auf die Aussage. Ich kann sie auch netter formulieren, ohne daß der Sinn sich ändert. 
Wie so oft, stehst Du wieder auf der Seite der Offiziellen, wo man nichts riskiert.

 Graeculus meinte dazu am 18.12.24 um 23:10:
Deine Kategorisierung nach Offiziellen/Inoffiziellen interessiert mich eh schon nicht so stark und momentan gar nicht. Bei Caravaggio, einem Mörder! Sehr offiziell.
Wie kann man darauf so viel Wert legen, etwas zu sein oder nicht zu sein? Ist mir fremd.

Jedenfalls wird man sich noch mit Caravaggio und einigen anderen befassen, wenn über dich und mich längst Gras gewachsen sein wird.
Mein Text ist ein kleiner Beitrag zu der Frage, wovon das abhängt.
Falls Dich dieses Thema nicht berührt, dann lies und kommentiere woanders. Deine bloße Mitteilung, daß es dich nicht berührt, samt der Andeutung, daß ich eben "nicht die Eier habe", bringt mich nicht weiter, nicht einmal in Rage.

 LotharAtzert meinte dazu am 18.12.24 um 23:22:
Wie kann man darauf so viel Wert legen, etwas zu sein oder nicht zu sein? Ist mir fremd.
Habs jetzt dreimal durchgelesen und komme nicht drauf, wie Du auf obige Aussage kommst. Ich lege nicht den geringsten Wert darauf, etwas zu sein, oder nicht zu sein, außer natürlich echt, oder wie es heute heißt, autenthisch.

 Graeculus meinte dazu am 18.12.24 um 23:23:
Dieser ganze Kram mit den Offiziellen vs. Inoffiziellen mag dir wohl zur Versicherung dienen, daß du auf der richtigen Seite stehst.
Sowas kann man sich dann auf den Grabstein setzen lassen ... wenn man möchte.

Ist nicht Caravaggios Bild ein gutes Beispiel für das berühmte "Offene Weite. Keine Spur von heilig."?

 Graeculus meinte dazu am 18.12.24 um 23:34:
Ich habe das immer so verstanden, daß du Wert darauf legst, zu den Inoffiziellen zu gehören. Überhaupt, daß du Wert darauf legst, alles, was nicht mit "T/B" oder "D" anfängt, herabzusetzen. Wenn nicht, auch gut.

Da sich der Dialog oder "Dialog" jetzt aber zu überschneiden beginnt, warte ich mit der Fortsetzung erstmal bis morgen ab. Sofern es mich dann noch gibt.

 LotharAtzert meinte dazu am 18.12.24 um 23:36:
Ich mag Caravaggio sehr, auch das Barock, aber darum geht es ja gar nicht, sondern daß der Begriff Genie dazu benutzt wird, sich zu versichern, daß dieses etwas ganz ausergewöhnliches ist und wir nur gewöhnliche Menschen sind. Das sind wir nicht, wir sind nur träge, mutlos und bequem.

Im Übrigen schwebt die Maria mit den Füßen in der Luft.

 Graeculus meinte dazu am 19.12.24 um 00:17:
Der Tisch bzw. die Unterlage, auf der sie liegt, ist kürzer als ihr Körper.

Ich weiß - in meinem bescheidenen Rahmen - nicht, woher mir die Einfälle kommen; sie sind plötzlich da. Von Trägheit (= Bequemlichkeit) und Mutlosigkeit hängt das zumindest bei mir nicht ab.
Doch auf manche Einfälle, die sich mit denen bei Menschen vergleichen könnten, die ich mangels eines besseren Wortes Genies nenne, komme ich eben nicht.

Z.B. auf den, daß Zeit und Raum relative Größen, abhängig von Masse und Bewegung sind, ist nicht einmal Kant gekommen. Von dem mathematischen Beweis war ganz abgesehen.

Und ich wäre - um 1600! - auch nicht auf den Einfall gestoßen, Jesu Mutter Maria mit einer Hure zu identifizieren.

Der beliebte Spruch, Genie sei zu 10 % Inspiration und zu 90 % Transpiration, hilft mir auch nicht weiter.

Ich erkenne die Grenzen meiner Möglichkeiten. Das immerhin. Manche schaffen nicht einmal das. Homer hat in der Person des Patroklos ein eindrucksvolles Beispiel dafür geschaffen.
Seine Grenzen zu kennen und entsprechend zu handeln, halte ich übrigens für wichtig.

 Graeculus meinte dazu am 19.12.24 um 00:23:
Wenn du Caravaggio magst, habe wir übrigens etwas gemeinsam. Sehr viel gibt es davon ja nicht - um so kostbarer ist das Wenige.

Und wenn ich 100 Jahre das Gitarrespielen geübt hätte, mit aller Hingabe, wäre ich nicht darauf gekommen, "Hey Joe" oder die US-amerikanische Nationalhymne so zu interpretieren, wie Jimi Hendrix es getan hat.

 Klemm meinte dazu am 19.12.24 um 09:53:
Um aber beruhigt weiter leben zu können, werden alle, die mutiger und schöpferischer sind, als die Eierlosen, als Genies bezeichnet - natürlich erst, wenn sie genug Aufmerksamkeit vom Volk bekommen

Da hast du inhaltlich natürlich einen Punkt, Lothar, wenn auch die vulgäre, abwertende Ausdrucksweise m.E. nicht geneigt ist, um jmd. für diese Perspektive zu begeistern.

Auffälligerweise äußern solche schöpferischen Ausnahmeerscheinungen (die auch als Genies bezeichnet werden) häufig ganz und gar nicht abfällig über andere, sie schöpfen nicht nur jenseits des Maßstabs der Konventionen, sie messen auch andere nicht daran.

 LotharAtzert meinte dazu am 19.12.24 um 10:02:
Dieser ganze Kram mit den Offiziellen vs. Inoffiziellen mag dir wohl zur Versicherung dienen, daß du auf der richtigen Seite stehst.
Ich stehe außerhalb der gesellschaftliche Normen - wenn Du das als "Seite" siehst, ist es halt so. Es gibt ansonsten keine Gemeinschaft der Inoffiziellen.


Jimi Hendrix - 10% Inspiration und 90% Drogen, - in 27 Jahren alle Lebenskraft  verbraucht. Auch hier - ich mag ihn, aber genial wäre eher gewesen, wenn er sein Schicksal angenommen hätte und heute noch, wie Bob Dylan zB., wie vom Schicksal vorgesehen, lebte. Kann es sein, daß Du das im Exzessiven Vollbrachte als das Geniale siehst? Dann würdest Du den Drogen viel Macht einräumen. Schon aus dem Grund gibt es für mich keine Genies. Aber das müssen sie auch nicht sein, um von mir geliebt zu werden.

Und ich wäre - um 1600! - auch nicht auf den Einfall gestoßen, Jesu Mutter Maria mit einer Hure zu identifizieren.
Siehst Du, das ist der Unterschied zwischen uns - ich traue jedem alles zu.

 LotharAtzert meinte dazu am 19.12.24 um 10:06:
@Klemm - Überschneidung.

Auffälligerweise äußern solche schöpferischen Ausnahmeerscheinungen (die auch als Genies bezeichnet werden) häufig ganz und gar nicht abfällig über andere, sie schöpfen nicht nur jenseits des Maßstabs der Konventionen, sie messen auch andere nicht daran.
"solche schöpferischen Ausnahmetalente" sind so und so - ist das nicht schon wieder der Versuch einer Kategorisierung. Wie sagte schon Jesus Christus: "Ich bin der ich bin". Und aus die Maus!

 LotharAtzert meinte dazu am 19.12.24 um 10:19:
Ihr beiden Helden des Abendlandes - schon mal dran gedacht, daß die Grobheit eine Schutzmaßnahme sein könnte? (Angst vor zuviel Nähe, Kumpanei etc. etc.) Gell, das Problem kennt ihr gar nicht.

 Augustus meinte dazu am 19.12.24 um 12:55:
@graeculus 

Es heißt von Thomas Edison 1% Inspiration und 99 % Transpiration. 

Das sogenannte Originalgenie aus der Zeit Sturm und Drangs war mehr mit dem Ausdruck des Kraftgenies gemeint, womit die brausenden Empfindungen der menschlichen Natur/ Leidenschaften künstlerisch entsprechend gegossen wurden. 

Ein Maler aus der Barockzeit kann zwar ein Genie sein, aber kein Kraftgenie. Ein kraftgenie konnte im 18 Jahrhundert nur ein Literat sein, weil er dynamisches erzeugte; manche Komponisten vllt auch, weil sie dynamische Übergänge in ihren Kompositionen erzeugen konnten. 
Ein Bild kann zwar vielsagend sein, es ist aber statisch. Grundsätzlich bräuchte man diese Unterscheidung nicht; Genie hin oder her, eine weitere Unterscheidung verschiedener Genies mag den Experten interessieren. 

Goethes „Leiden des jungen Werther“ ließ den Suizid erklären und dass dieser aus natürlichen Bedigungen entsteht und keines falls als Sünde zu deuten ist, was gegen die kirchliche Obrigkeit verstieß. Das Büchlein wurde ja auch zensiert. Moralisten wetteiferten dagegen usw. 

Die „Eigenwilligkeit“ ist durchaus ein Zug eines sogenannten Genies; eine Kraft ist dies, der Wille, nur und ausschließlich der eigenen Natur zu folgen. 

Der englsche dichter und Bühnenautor „Marlow“, ein Zeitgenosse Shakespeare, 
wurde in einer Taverne erstochen; und galt ebenfalls als Raufbold und streitsüchtig. 

Evariste Galois, ein brillanter Mathematiker,
verstarb mit 22 Jahren in einem Duell. Puschkin, russischer Dichter verstarb ebenfalls in einem Duell. 

Stolz und Ehre und Eigenwilligkeit sind anscheinend weitere Merkmale des Charakters eines Genies.

 Klemm meinte dazu am 19.12.24 um 13:04:
ist das nicht schon wieder der Versuch einer Kategorisierung.
Ja, da könntest du recht haben.



schon mal dran gedacht, daß die Grobheit eine Schutzmaßnahme sein könnte?

Klar, aber sind Schutzmaßnahmen nicht Staudämme im Fluss des Lebens?


Stolz und Ehre und Eigenwilligkeit sind anscheinend weitere Merkmale des Charakters eines Genies.
Eigenwilligkeit: ja. Stolz und Ehre: Quatsch.

 LotharAtzert meinte dazu am 19.12.24 um 15:08:
Klar, aber sind Schutzmaßnahmen nicht Staudämme im Fluss des Lebens?
Staudämme nur, wenn die Schutzmaßnahme beibehalten bleibt, nachdem der Grund weggefallen ist.

Im vorliegenden Fall bleibt es offen, wer wen vor was und warum schützt   :)

Der Rest scheint für Augustus zu sein.

 Graeculus meinte dazu am 19.12.24 um 21:36:
An Lothar Atzert:

Es ist ein bißchen viel, um auf alles einzugehen, aber ich antworte mal auf das, was bei mir eine spontane Reaktion ausgelöst hat:

1. Als ich erstmals "Hey Joe" gehlört habe, dachte ich mir: Solche Klänge hast du noch nie gehört. Und mit seiner Version der US-Nationalhymne stand es ähnlich. Diese vollkommen Neue ist für mich das Kriterium von Genialität. Von seinem Drogenkonsum wußte ich damals nichts. Ob der bei ihm oder regelmäßig mit Kreativität zusammenhängt, weiß ich nicht.

2. Jemanden ein Genie zu nennen, ist für mich eine Art, die Überlegenheit eines anderen anzuerkennen und ihm dafür zu danken, was er bei mir ausgelöst, bewirkt hat. Das ist mir wichtig!

3. Daß Du jedem alles zutraust und Du deshalb auf die großartigsten Einfälle kommst, kann ich gar nicht glauben. Wir sind doch beide eher kleine Lichter und haben keine Einfälle, die sich mit denen derjenigen Leute messen können, über die wir hier sprechen.
Wenn Du bedenkst, als was Maria damals galt, dann müßtest Du im Vergleich Döbereiner als Scharlatan und Strichjungen darstellen. Tust Du jedoch nicht - Du bist sein Schüler und bewunderst ihn.

4. Daß Deine Grobheit ein Schutzmechanismus ist, auf diese Idee kann man kommen. In dieser Hinsicht bist Du sehr effektiv. Zumindest bei mir, denn ich habe nicht mehr den Wunsch, Dir näherzukommen.

 Graeculus meinte dazu am 19.12.24 um 21:42:
An Klemm:

Was spricht gegen Kategorisierungen? Nichts, denn ohne Kategorien können wir nicht denken. "Individuum est ineffabile - Das Individuum ist unaussprechbar" heißt es in der mittelalterlichen Philosophie. Ich kann sagen: Klemm ist ein Autor, Lothar ist ein Astrologe, Lothar ist oft grob usw. Das Prädikat eines jeden Satzes muß ein Abtraktum, angewendet auf ein Abstraktum oder ein Individuum sein.

Zu einem Genie gehört Originalität (auch wenn es auf Tradiertem aufbaut); insofern paßt Eigenwilligkeit. Stolz und Ehre gehören nicht, jedenfalls nicht zwingend dazu. Aber wer in seinen Ansichten immer nur anderen nachläuft, schafft nichts Neues.

 Graeculus meinte dazu am 19.12.24 um 21:45:
An Augustus:

Das Zitat mit dem Verhältnis von Inspiration und Transpiration habe ich mir offenbar ungenau gemerkt; auch wußte ich den Urheber nicht mehr.

Die Genies des Sturm und Drang mögen noch von besonderer Art gewesen sein. Was ich meine, gab es bereits in der Antike. Und ich möchte sogar noch weiter zurückgehen, nämlich den Pharao Echnaton nennen, der den Monotheismus erfunden und eine ästhetische Revolution initiiert hat.

 Graeculus meinte dazu am 19.12.24 um 21:48:
Noch zu Lothar Atzert:

1. Was Bob Dylan "angenommen" hat, das weiß ich nicht. Obwohl ich mich schon so lange mit ihm befasse, verstehe ich ihn nicht.

2. "Ich bin, der ich bin", das hat nicht Jesus, sondern Jahwe höchstselbst gesagt.

 Regina (19.12.24, 07:45)
Was mir an dem Bild sofort auffiel, ist, dass es insgesamt in einem bräunlichen Rot gehalten ist. Das hat sicherlich auch eine Bedeutung.

Der Einfall, Maria mit den Zügen einer Prostituierten zu versehen, war sicherlich eine Herausforderung an die Kirche. In manchen Kunstwerken sind kritische Aussagen versteckt, aus einer Zeit, als die Katholischen noch die absolute Vorherrschaft besaßen.

Musiker sagen, dass künstlerische Vollendung zu 98% aus Übung und Fleiß besteht und nur zu 2% aus Talent, Begabung, Intuition oder Genialität, wie auch immer man diesen Aspekt benennen mag.

Aber Carvaggios Werk hier ist herausragend. Und malen konnte der! Allein die Faltenwürfe in dem Vorhang würden mich zur Verzweiflung treiben.

Kommentar geändert am 19.12.2024 um 07:46 Uhr

 lugarex meinte dazu am 19.12.24 um 11:16:
Und was, wenn der Caravaggio so eine Art Künstler war, dass er – ob gewollt oder im Unterbewusstsein – ein Model brauchte oder benutzte, und dazu die ermordete Prostituierte einfach genommen hat, ohne sie oder ihre Nachkommen zu fragen? Einfach per Zufall, oder leicht erschwinglich.
Es geschieht ziemlich oft, auch mir, wenn ich zeichne. Aber niemand wird in diesem Zusammenhang bei mir über Genialität sprechen wollen…

 Klemm meinte dazu am 19.12.24 um 12:06:
Musiker sagen, dass künstlerische Vollendung zu 98% aus Übung und Fleiß besteht und nur zu 2% aus Talent, Begabung, Intuition oder Genialität, wie auch immer man diesen Aspekt benennen mag.

Anne-Sophie Mutter sagt, dass Übung durch Wiederholung nie ihr Ding war. Vielmehr käme es darauf an, die noch bestehende Schwäche korrekt zu analysieren.

 Regina meinte dazu am 19.12.24 um 13:31:
Außenseitermeinung von Anne-Sophie. Dann lies mal David Garrett.

 Klemm meinte dazu am 19.12.24 um 13:55:
Menschen sind verschieden, talentierte Menschen gleichen einander nicht mehr als untalentierte. So wenig wie es ein Patentrezept fürs Leben gibt, gibt es eins für die Kunst.

Es ist aber durchaus interessant, dass die Kunst in Phasen, da die Melancholie als Krankheit und Gefahr verpönt wird, zum bloßen Handwerk degradiert wird. So war es im Mittelalter, so ist es jetzt.

 Regina meinte dazu am 19.12.24 um 14:00:
Handwerk ist nicht alles aber ohne Handwerk geht nicht viel.
Oder mal mal oben auf dem Bild den Faltenwurf des Vorhangs ab, dann merkst du, dass du Handwerk brauchst.

Antwort geändert am 19.12.2024 um 14:02 Uhr

 Klemm meinte dazu am 19.12.24 um 14:16:
So malt doch heute kein Mensch mehr.

 Regina meinte dazu am 19.12.24 um 14:22:
Dann versuch mal einen Schrank aus Holz zu bauen ohne Handwerk. Kläglich wirst du dir die Finger absägen und dein Möbelstück bleibt nicht stehen. Nicht mal ein Zimmer tapezieren kannst du ohne zu wissen, wie.

 Klemm meinte dazu am 19.12.24 um 14:39:
Hier geht es aber um Kunst. Ein Schrank kann ein Kunstwerk sein, aber ich würde mal behaupten, die meisten Schränke sind keine.

 Regina meinte dazu am 19.12.24 um 16:24:
Dann versuch dich an einem Schrank-Kunstwerk ohne Handwerkskönnen. Die alten Bauernschränke sind mit Blumen bemalt. Sicherlich kannst du auch das nicht.
Aber schreiben kannst du wie berühmt.

 Graeculus meinte dazu am 19.12.24 um 21:51:
An Modellen, lugarex, wird es Caravaggio nicht gemangelt haben - hat es doch eigentlich nie in der Kunstgeschichte. Sich bewußt für eine Prostituierte entschieden zu haben, ist das, was zu Caravaggios Kunst und Charakter paßt. Er bewegte sich in dieser Szene.

 Graeculus meinte dazu am 19.12.24 um 21:59:
An Regina und Klemm:

Inwiefern zur (genialen) Kunst auch handwerkliches Vermögen gehört, ist eine interessante Frage. Ich kann nur eine Hypothese äußern:
Ich hatte lange den Verdacht, daß Joseph Beuys seine Fettecken u.ä. hergestellt hat, weil er nicht richtig malen bzw. zeichnen konnte. Diese Annahme war falsch.
Aber eigentlich ist meine Meinung immer noch die, daß jemand, der die Regeln des Schreibens und andere handwerkliche Techniken nicht beherrscht, schlecht wird, sobald er sich völlig darüber hinwegsetzt. Erst wenn er sie zwar beherrscht, sich aber dennoch davon löst, wird es interessant. Unvermögen erscheint mir als ein dürftiges Motiv für den Regelbruch.

Falls Klemm jetzt wieder sagt, daß das eine Sache des persönlichen Geschmacks sei, dann muß ich das so stehenlassen. Ich kann mit Texten, Gemälden usw., die überhaupt nicht mehr erkennen lassen, daß jemand es auch "richtig" könnte, nichts anfangen.
In der Musik wäre Punk wohl ein passendes Beispiel.

 Graeculus meinte dazu am 19.12.24 um 22:06:
Ich halte die monochrome Malerei, z.B. einfach eine anthrazitfarbene Fläche, für eine Sachgasse. Das ist eine Idee, zugegeben, und eine, die beim ersten Mal originell war. Von einer solchen Kunst - die übrigens auch noch theoretisch untermauert wird - dürfte es genau genommen nur ein einziges Gemälde geben. Alles andere, z.b. preußischblau, wäre lediglich abgekupfert.

 Graeculus meinte dazu am 19.12.24 um 22:21:
Daß heute niemand mehr "so" (exakt, präzise, detailreich) malt, stimmt übrigens nicht; es gibt sogar u.a. den Hyper- oder Superrealismus.

 Klemm meinte dazu am 20.12.24 um 01:47:
Mit "so" meine ich aber nicht exakt, präzise, detailreich, Graeculus. Ein zeitgenössisches hyperrealistisches Bild sieht doch nicht aus wie ein Gemälde aus dem 16. Jahrhundert.

 Regina meinte dazu am 20.12.24 um 04:16:
Das hat ja niemand behauptet.
Die naturalistische Malerei hatte in der Renaissance ihre Blütezeit (Beispiel Albrecht Dürer).
Aber Faltenwurf wird an der Kunstakademie noch immer studiert und gehört zum Können.
Ob der Maler all sein technisches Können in ein Bild einbringt, ist eine andere Frage.
Aber freilich gibt es Projekte, die ohne den Hintergrund eines Studiums auskommen und die Fotografie hat die naturalistische Darstellung weitgehend abgelöst.

 Regina meinte dazu am 20.12.24 um 04:19:
Carvaggio hier hat sich inhaltlich Freiheit herausgenommen, was provokativ wirkt.

 Graeculus meinte dazu am 20.12.24 um 23:31:
Nein, man malt heute natürlich nicht mehr wie um 1600. Aber welche Rolle spielt das? Es kommt m.E. darauf an, was Regina geschrieben hat: das Sensationelle an diesem Bild ist nicht seine Maltechnik, sondern die Gestaltung seines Themas.

Seit der Entwicklung der Photographie haben die Erwartungen an die realistische Seite eines Gemäldes stark abgenommen; doch einige Kunstrichtungen des 20. Jahrhunderts zeigen, warum eine ausgefeilte Darstellungstechnik trotz Photographie noch eine Bedeutung hat: Surrealismus, Phantastischer Realismus usw. Also, so könnte man sagen: das Nichtreale realistische zu malen.

 Klemm meinte dazu am 21.12.24 um 13:11:
Das Sensationelle an diesem Bild ist nicht seine Maltechnik, sondern die Gestaltung seines Themas.

Ja, natürlich - im Kontext seiner Zeit. Damit möchte ich das Bild oder den Stil nicht herabwürdigen, nur darauf hinweisen, dass Kunst nicht statisch ist.

 Graeculus meinte dazu am 21.12.24 um 16:08:
Kunst ist nicht statisch, das stimmt. Und diejenigen, in in beeindruckender, wirkmächtiger Weise etwas Neues bringen, das sind die, die ich "Genies" nennen möchte. Sozusagen als Verbeugung.

 AchterZwerg (19.12.24, 10:32)
Hallo Graec,

die Sache mit der Hure ist die eine (mir leider bisher unbekannte), die andere die für mich offensichtliche Schwangerschaft Marias.

Die bedeuten würde, dass sie vor (!) der Geburt Jesu verstorben war und wir alle noch immer (unerlöst) auf den Messias warten müssten ...

Tja.

 Quoth meinte dazu am 19.12.24 um 11:42:
- oder dass sie nach der Geburt Jesu noch einmal schwanger wurde, dieses Mal vielleicht von Joseph, und in schwangerem Zustand starb. Irgendwo in den alten Texten soll es auch Hinweise auf  Geschwister Jesu geben, die wären dann schon da, und hier kündigte sich ein weiteres an.

Antwort geändert am 19.12.2024 um 11:46 Uhr

Antwort geändert am 19.12.2024 um 11:51 Uhr

Antwort geändert am 19.12.2024 um 11:52 Uhr

 AchterZwerg meinte dazu am 19.12.24 um 13:19:
Oder dass Joseph die Befruchtung durch den Heiligen Geist einfach nicht realisieren wollte ... :D
Der Kleingläubige!

 Regina meinte dazu am 19.12.24 um 13:48:
...oder das soll gar kein Hinweis auf Maria sein, sondern auf das Verhalten von Päpsten, die zu Huren gehen oder sich Konkubinen halten.

 Graeculus meinte dazu am 19.12.24 um 22:02:
Brüder von Jesus werden manchmal erwähnt, ja. Brüder im Geiste? Auch Maria als Jungfrau könnte einfach eine junge Frau meinen.
Das ist alles nicht so klar.

Danke, AchterZwerg, für den Hinweis, daß die hier abgebildete Maria offenbar schwanger ist. Das war mir nicht aufgefallen! Im Hiblick auf das katholische Dogma setzt das noch einen drauf.
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