Zerfledderte Punk-zines
Bericht zum Thema Medien
von Koreapeitsche
Schönes Fanzine-Chaos
In U.K. sagen sie Punkzine. Hier in Tyskland sagen die meisten Fanzine oder Punk-Fanzine. Das gab mir zu denken. Da viele Fanzines aus einzelnen, zusammengehefteten DinA4-Seiten bestanden, zerfledderten die Heftchen nach kurzer Zeit, sofern sie eifrig gelesen und von Punk zu Punk weitergereicht wurden, und sie zerfielen in ihre Einzelteile. Teilweise waren die Zines zerrissen, Teile waren rausgerissen oder rausgeschnitten. Seiten waren nur noch halb vorhanden. Neben der Papierzerfetzung kam es zur Materialzersetzung. Sogar die Tonerfarbe konnte verwischen, wenn überhaupt sauber kopiert wurde.
Bald lagen unzählige einzelne Fanzine-Seiten in meinem Zimmer herum, bei denen es schier unmöglich war, diese wieder zusammen zu sortieren. Das war komplizierter als ein Puzzle, denn irgendwann wusstest du nicht mehr, welche Seite zu welchem Fanzine gehörte, wenn die Seiten überhaupt durchnummeriert waren.
Es wäre ein Mammut-Job gewesen, alles Seite für Seite wieder zusammenzupuzzeln. Also packte ich alle losen Fanzine-Seiten auf einen Stapel, der wirkte, wie die Loseblattsammlung eines Studenten on drugs. Der Stapel lag zuletzt im Regal rechts neben dem Fenster mit Südausrichtung zum Abbi-Abenteuerspielplatz.
Nur selten gingen Berichte über eine ganze Seite, ebenso die Fotostorys. Es waren meistens nur Kurztexte und Ein-Bild-Witze, Fotos mit aufgesetzten Sprechblasen und andere Fotomontagen, Sowjet-Kunst, zweckentfremdete Zeitungsfotos und Schlagzeilen, die alles pervertierten – zur Freude der Leser und zum Nachteil der Geschädigten wie Heino, Birne, der Papst, Bumm Bumm, Lady Di etcetera.
Am Stil der selbstgezeichneten Comic-Figuren konntest du erahnen, welches Blatt zu welchem Punkzine gehörte. Layoutvergleiche halfen nur bedingt weiter, ebenso Vergleiche von Collagentechniken, Scherenschnitt, schnippel schnippel, schnipp-schnapp, rumgeschnipsel, handschriftliche Textabschnitte, dafür hatte jeder Fanzine-Schreiber einfach zu viel Spielraum. Selbst Kriminalisten hätten da Schwierigkeiten gehabt, bei diesen Fledderhaufen durchzusteigen, die Urheberschaft zuzuordnen und den Schreiberling zu identifizieren. Dabei hatten die Kriminalisten längst ein Polizeiauge auf die Fanzineszene geworfen, denn es galt ähnlich wie bei der Punkplattenzensur bestrafbares Verhalten aufzuspüren. Auch bei Fanzines galt, dass Volksverhetzung, Volxverhexung, Vollverpetzung und Prollvernetzung sowie Aufrufe zur Gewalt bedingungslos unterbunden werden sollten bis hin zum Einstampfen des Printmediums und zur Strafanzeige.
Ein kieler Fanzine-Macher bekam bald sogar den Zorn der Schergen zu spüren. Nachdem er in der neuen Ausgabe seines Fanzines eine Anleitung zum Bombenbasteln abdruckte, ist das Haus, in dem der Punk bei seinen Eltern wohnte, prompt von einer Spezialeinheit der Cops gestürmt und durchsucht worden. Dies war das Ende seines Punkzines. Doch der Punk hatte noch ein zweites Standbein: die Plüschtierf*cker.
Dass ein Fanzine bei Vadder Staat aneckte, war kein Einzelfall. Es ging immer wieder um die gleichen Fallstricke wie Gewaltaufrufe, Volksverhetzung, Beleidigung, alles war denkbar, alles wurde versucht, alles konnte angezeigt werden.
VINYL BOOGIE berichtete indes, dass sie Stress mit den Cops hatten, wegen ihres Fanzine-Angebots. Die Schergen zensierten nicht, sie sammelten ein und schredderten. Angeblich hatte sogar ein Konkurrenzunternehmen VINYL BOOGIE verpfiffen. Es war von Volksverhetzung die Rede und von Skinfanzines, die gegen Gesetze verstoßen.
HAM WIR DOCH VON DER KONKU-
RENZ N VERFAHREN WEGEN VOLKS'
VERHETZUNG ANGEHÄNGT BEKOMMEN!
Natürlich ist unsere Weste
porentief rein. Aber trotzdem,
wir sind belehrt worden und
können keine Produkte(-zines)
anbieten die gegen Gesetze ver-
stoßen-Skinfanzines zB.
(Zitat, Pissgelbe Punkliste)
Einige Fanzines erinnerten mich von der Machart an die Pissgelbe Punkliste von Vinyl Boogie, die teils Collagenstyle, teils mit Trash-Effekt kopiert und stets pissgelb war (Ausnahmen bestätigen die Regel). Es wurde überall abgekupfert, aus Comics, aus Zeitungen und Illustrierten, aus der Bravo, von Plattencovern, aus dem Katalog des berliner Szeneladens Blue Moon, aus Werbeannoncen – nur um Witze am laufenden Band zu generieren. Einzelne Elemente waren mehrfach kopiert, Grauabstufungen gingen verloren, Trash-Effekte wurden mehr oder weniger absichtlich erzeugt, diese Elemente schließlich in die Liste kopiert, sodass manch einer rätselte, was dies Element darstellen sollte. Diese Techniken waren in fast allen Fanzines gegenwärtig. Fotos waren selten horizontal an den Seitendimensionen ausgerichtet, sondern befanden sich stets in Schräglage. Das war Punk. Leo: „Das ist Punk!“ Da machte es gar nichts, dass ein Fanzine zerfledert in alle seine Einzelteile zerlegt in eine Loseblattsammlung umgewandelt war. Für einen subkulturellen 80er-Flashback reichte der Stapel allemal.
Inzwischen florierte der Fanzine-Handel. Aus den USA wurde Maximum Rocknroll beschafft und pissgelistet. VINYL BOOGIE hatte obendrein der Punkgemeinde angeboten, deren selbstgeschriebene Fanzines einzusenden und bei der nächsten Bestellung verrechnen zu lassen. Demnach gab es für 20 abgegebene Fanzines eine LP gratis.
Wenn ihr Punkfanzines
macht, könnt Ihr 20 im
Tausch gegen Platten
herschicken-ohne vor-
her zu fragen.
Fanzinekritik:Eure hal-
tet Ihr ja sowieso für
besser als andere.Ver-
sucht mal die mitte zwi-
schen Infozine&Alkzine
zu treffen
(Zitat, Pissgelbe Punkliste)
VINYL BOOGIE zog einen regelrechten Fanzinehandel auf, nahm Fanzines in Zahlung, listete sie in der Pissgelben und vertickte sie zu geringen Preisen.
EURE FANZINES / INFOZINES / WIXZINES NEHMEN WIR IN ZAHLUNG GEGEN PLAT TEN. MUSTER SCHICKEN, ANRUFEN UND DANN 15-25 SCHICKEN.
(Zitat, Pissliste, Nov. ’83)
Unter der Rubrik „VINYL FANZINE LISTE“ wurden Liste für Liste die aktuell lieferbaren Fanzines angeboten. Darunter waren bedeutende Printmedien wie ALKOHOLIX, AUFSCHWUNG (Ex PORREE), CHAINSAW (Englands Antwort auf MRR), HUSTENSAFT (Bergkamen), JINX (Köln), MAXIMUM ROCK N ROLL (US), PROTOY (Düsseldorf), TPK (Schaffhausen- Schweiz), UNDERGROUND (Darmstadt), MÜLLEIMER, PORREE, EXZESS, FEHLSCHLAG, LETZTE HOFFNUNG, KRAWALL 83, KP, DONALD PUNK: NAZI DUCKS FUCK OFF, HÖLLENQUAL (PIXZINE), HARDCHOR, ANTISYSTEM, TÖDLICHE TAFELRUNDE, SPUTNIK, OBERSTER SOVIET, NIVEAULOS, INFERNO, ZUKUNFTSFAKTEN, GULP, NDT, RESISTENZIA, FITMACHER und DIE BIBEL.
Schlussendlich zog der Plattenversand aus der Gleditschstraße die Reißleine. Vinyl musste eingestehen, dass der Fanzine-Handel aus dem Ruder gelaufen war. Deshalb wurde dies Standbein ausgegliedert.
ACHTUNG! FANZINELISTE
Weil uns das mit den Fanzines
über den Kopf gewachsen ist ,geben
wir das ab. Eurer Bestellung legen
wir die Liste vom SFV (Spandauer
Fanzine Vertrieb) bei. falls Ihr
Interesse habt. Bestellen müßt
ihr dann direkt. ebenso, wenn Ihr
eigene Fanzines vertreiben
lassen wollt. Adresse:
Andreas T ....
(Zitat, Pissgelbe Punkliste, Nr. 47, Febr. ’85)
Ich bewahrte nicht nur zerfledderte Fanzines auf, sondern auch die Pissgelben Listen, darunter auch die Reggae-Liste, Independent-Liste, T-Shirt-Listen. Diese Listen ergaben ebenso einen zerfledderten Stapel.
Fanzines zu bestellen war offensichtlich sehr beliebt, denn sie waren schnell vergriffen.
Fanzines:Von den meisten
sind im Moment sehr wenig
da,wundert Euch nicht,wenn
nach 10 Tagen fast alles
weg ist.Am besten Ihr be-
stellt einfach die neusten
die da sind.
(Zitat, Pissgelbe Punkliste, Nov. ’83)