Die emotionale Eruption eines zweigespaltenen Morgenmanns, der nicht weiß, wohin er sich nun wenden soll

Einakter zum Thema Mensch (-sein, -heit)

von  S4SCH4

Morgenmann sitzt, mit Armen, die über den Kopf verschränkt sind am Küchentisch und weint:

 

Oh, was habe ich nur getan?

Der Teufel ist hinter mir her! Er will mich und meinen Körper, mein Innerstes und mein Äußerstes. Voll und ganz. Hohl wie leer.

Mein Kind und meine Frau nahm er zu sich, er trägt das Gesicht gestohlener Jugend und knackt jede Sekunde das Schloss zu meinem Herzen, nur um es zu verschließen, um neuerlich wiederzukommen.

In doppelte Augen muss ich nun schauen, die gleichzeitig versprechen und versprochen seien.
In doppelten Böden lebe ich verborgen und weder Himmel noch Hölle ist für mich da.

Was habe ich nur getan?

 

Morgenmann richtet sein Gesicht auf, wischt sich die Tränen fort und schaut aus dem Fenster. Lautstark fängt er an, sich zu echauffieren:

 

Du, die falsche Zunge aus einem ertrunkenen Bewusstsein, stillend die Zeit durch Stillstand und stehst beizeiten als Schuldiger vor mir, um erneut die Unschuld zu nehmen.

Von mir willst du etwas über deine Schuld hören? Du züngelst mit deinem elenden Geflenne aus deinem Lügenmaul nur Flammen um fletschende Zähne hervor, wohlwissend, dass es beißt und brennen muss.

Deine heulende Schuld wuschest du früher in mir, hin zu einer beteuernden Trauer eines Glaubensbekenntnisses, nur um von dort die Schleusen erneut zu öffnen und alles einem Wasser hinzugeben, das unter Wasser verdichtet und über Wasser vernichtet, auf dass ein Feuer folge und du einen beschworenen Phönix anbeten dürftest.

Du tatest dies, um gleich wieder über die Welt zu kommen und den geflochtenen Zopf deiner Tochter in die Hand zu nehmen, an ihm zu reißen, als wäre er das Seil für die Kirchturmglocke und zum Totengebet deiner ertränkten Frau.
Die Zerrüttetheit deiner Familie ist nicht mein Versagen, sondern dein Verlust an einem Spieltisch, der dir Glück verheißen sollte und es auch versprach, bevor er sich jedoch mit seinen vier Beinen aufmachte und vermeintlichen Gewinn mit sich in ein Totenreich nahm, auf das du als ewiger Verlierer des Lebens, Mitleid ernten solltest, um das Casino zu entschädigen.



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Kommentare zu diesem Text


 Saira (02.11.25, 10:09)
Dieser Teil trifft mit voller Wucht, wird zum inneren Beben, das sich sprachlich in alle Richtungen entlädt.
Für mich ist das der Wendepunkt deines ganzen Zyklus: Das Ich zerreißt sich selbst zwischen Trauer, Wut, Schuld und Rechtfertigung und all das spricht mit einer einzigen, gequälten Stimme.

Die Szene am Küchentisch ist zugleich schlicht und radikal. Hier sitzt kein Held, sondern ein Mensch, der von seinen eigenen Worten überrollt wird.
Das „Was habe ich nur getan?“ klingt nicht wie ein gewöhnliches Schuldbekenntnis, sondern wie eine tiefere Frage: Was habe ich angerichtet, einfach dadurch, dass ich existiere?
Darin liegt die eigentliche Wucht und Tiefe dieses Textes.

Deine Bilder sind nicht bloß eindrucksvoll, sie arbeiten:
Das Wechselspiel von Feuer und Wasser zieht sich wie ein innerer Kreislauf durch den Text – ein Versuch der Reinigung, der zugleich in Selbstzerstörung mündet.
Das „ertrunkene Bewusstsein“ oder das „Wasser, das unter Wasser verdichtet und über Wasser vernichtet“, zeigen diese paradoxe Bewegung eindringlich.
Der Morgenmann will sich erklären, aber mit jedem Satz verbrennt er sich ein Stück mehr an seiner eigenen Sprache.

Und dass du die familiären Bilder – Frau, Kind, der Zopf – einfügst, verankert das Ganze im Körperlichen. Das Leid wird greifbar, nicht nur gedacht.
Für mich ist dieser Einakter kein Ausbruch, sondern ein inneres Tribunal:
Die Sprache erhebt Anklage, zerfällt und bleibt doch als einziges Zeugnis bestehen.
Ein starkes, schmerzhaft ehrliches Stück – ein Bekenntnis in Flammen.

 S4SCH4 meinte dazu am 02.11.25 um 14:03:
Ja, so zwiegespalten es ist, hier findet sich etwas zusammen und das Menschliche ist zu sehen, vielleicht nicht ganz im Sinne von Gesterns ursprünglichem Ansinnen (Teil 1), aber es kommt auch nicht ganz ungelegen, kann er, Gestern, doch die menschliche Sache scheinbar  für sich entscheiden und einen Märtyrer vorbereiten … kann er nur gewinnen?
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