Die Hetzer

Gedicht zum Thema Fan(atismus)

von  Saira

Sie rufen laut: „Ich denk allein!“,
doch sprechen nur in fremden Tönen,
sie schmieden Witz aus hohlem Schein
und schwören Treu dem eignen Stöhnen.

 

Der Held mit Klick im Abendlicht,
verkündet laut die neue Richtung,
dass „Mut zur Wahrheit“ Pflicht verspricht,
doch endet’s stets in Ich-Verkrümmung.

 

Der Spötter schreibt mit stolzem Sinn,
sein Herz im Fett der Worte badend,
und glaubt, weil er empört darin,
die Welt sei klüger, selbstbeladend.

 

Der Lautmann schreit: „Ich bin kein Feind!“,
doch seine Hand zielt auf die Schwachen.
Wer anders denkt, wer leis erscheint,
den will er stolz zu Boden lachen.

 

Der Hetzer schreibt, als wär’s Gebet,
sein Wort aus fremden Federn brennend,
und glaubt, wer schweigt und lauschend späht,
sei höherstehend, weltverkennend.

 

Die Wahrheit tanzt im grellen Licht,
in Posen süß und Sprüchen heilig,
ein jener spricht: „Ich irr mich nicht“,
und irrt sich dabei fürchterlich.

 

Sie weiß, wie Wind durchs Feuer zieht,
wie Glut verlischt in alten Steinen,
dass, wer zu laut vom Worte glüht,
sich selbst verglimmt im eignen Weinen.

 

 

©Sigrun Al-Badri/ 2025




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Kommentare zu diesem Text


 S4SCH4 (02.11.25, 10:05)
Anders als bei dem Gedicht „Der Faschist von heute“, stellt die Autorin hier ein weiteres cleveres Gedicht zum Thema, im weitesten Sinne, bei, dass, anders wie die primär politisch motivierte Komponente des Faschismus, sich eher auf ein „Denken und Handeln“ im Allgemeinen konzentriert.
 
So jedenfalls die Vermutung, beim ersten, zaghaften Tippen des Zehs in das Wasser des vorliegenden Gedichts.

Was bei näherer Beschäftigung sofort auffällt: Im Gegensatz zum eingangs genannten, verwandten Text zum „Faschismus“ setzt die Verfasserin diesmal auf ein „Potpourri“ an verschiedenen Persönlichkeiten, die jeweils die Strophen einleiten und schafft einen gelungenen werksübergreifenden Kontrast. Apropos: dieser Kontrast, also die verschiedenen Akteure, sie agieren ganz offen, sie handeln und sind nicht nur im Spiegel zu sehen. Das eingangs vermutete „Denken und Handeln“ eines Fanatismus wird in einen Vordergrund gesetzt. Treffer.

Das Gedicht sucht eine Stimme, („tanzt“, schreibt … brennend“) und will laut sein, (es wird „verkündet“, „in Worte gebadet“, „geschrien“) doch gelingt das? Nun, es gelingt in der Form, als dass es offen „da“ steht. Nichts Großes zwischen den Zeilen, es ist ehrlich und vordergründig. Es ist weniger „Show, dont tell“, als ein klares und direktes Statement, über das, was Fanatismus ist und wie er sich vom Faschismus unterscheidet.
Dies als Fazit bereits vorweggenommen, wird, in Hinblick auf einen Vergleich zum eingangs referenzierten Verwandtschaftswerk, geradezu überdeutlich.
Aber nichts zwischen den Zeilen? Oh Menno! Haha! Weit gefehlt, diese Magie des dazwischen, die der Autorin sehr eigen ist und wichtig scheint, ist diesmal und in erster Linie nicht nur innerhalb des Werkes zu finden, sondern eher konzeptionell werksübergreifend. Genial! Sich treu bleibend, dennoch abwechslungsreich und äußerst gekonnt.

Also, ein nicht belehrenwollendes, direktes eigenständiges Gedicht, das dennoch den gewohnt magischen Touch behält und gar damit im weiteren Sinne überrascht, sowie einem indirekten Aufklärungsauftrag zu gesellschaftlichen, aktuellen wie brisanten, Themen.

Und was ist nun dieser Fanatismus gemäß diesem Gedicht und was kann man inhaltlich daraus lernen? Es scheint, ohne die Zeilen sezieren zu wollen, diese zuvor erwähnte hartnäckige und motivierte Suche zu sein, die auch das Werk so eigenständig ausmacht, diese Suche in direkter wie vordergründiger nach Gründen suchender Weise, und dazu ein „LAUTES Suchen“. Nach Vorbildern, nach sich selbst und nach allem, was ganz leise wird, weil es nicht gefunden werden mag.

Lassen wir den Zauber wirken und akzeptieren...

Kommentar geändert am 02.11.2025 um 10:09 Uhr

 Saira meinte dazu am 02.11.25 um 10:55:
Moin Sascha,
deine präzise Analyse freut mich ungemein, weil sie erkennt, worauf dieses Gedicht zielt: nicht auf eine Ideologie, sondern auf die Mechanik, die sie möglich macht.
Fanatismus ist kein Erzeugnis der Politik, sondern ein Muster menschlichen Verhaltens, das sich in jeder Epoche neu verkleidet.
Er beginnt da, wo das Denken in die Einbahnstraße gerät und sich selbst für alternativlos erklärt.

Dass du den Wechsel vom „Spiegel“ zum „Handeln“ so klar beschreibst, trifft das Zentrum des Textes:
Die Figuren hier reden nicht über etwas – sie agieren; sie werden selbst zu Trägern der Sprache, die sie missbrauchen.
Ihre Worte sind heiß, überhitzt, zu grell, und genau dadurch verlieren sie Bedeutung.
Das „Laute“ ist in Wahrheit die Leere, die tönt.

Du hast recht: Diesmal gibt es weniger das Geheimnisvolle zwischen den Zeilen – die Ambivalenz liegt eine Ebene höher, im Werkzusammenhang.
Ich wollte nicht noch einmal das „Schweigen“ als poetischen Raum zeigen, sondern das Reden als Gefahr:
Wie Sprache sich selbst entzündet, wie jedes Wort ein Funke wird.

Und ja – der Vergleich zum „Faschisten von heute“ ist beabsichtigt.
Der Fanatiker ist dessen stiller Bruder, der nicht in Uniform marschiert, sondern sich moralisch aufrüstet.
Beide eint dieselbe Geste: Sie wollen recht haben, nicht verstehen.

Danke für deine klugen Gedanken und deinen Blick für den Zusammenhang.
Deine analytische Lesart zeigt mir, dass das Gedicht dort ankommt, wo es hinzielt – mitten in die Zone, in der Sprache und Überzeugung sich gegenseitig gefährlich wärmen.

Herzliche Grüße
Saira

 Hannes antwortete darauf am 02.11.25 um 11:14:
Saira, du weißt ja, ich bin kein großer 
Ausleger-Deuter-Erklärer-Interpret.
Das konnte in diesem Fall  S4SCH4 viel perfekter als ich.
Nimm's auch als von mir genauso gesehen.
Maulfaule Grüße
Der
Hannes

 Saira schrieb daraufhin am 02.11.25 um 11:31:
Lieber Hannes,

ich nehme dein „Maulfaultum“ als Qualität, nicht als Mangel … und danke dir für das leise Einverständnis.

Mit herzlichem Gruß und einem kleinen Zwinkern
Saira

 diestelzie (02.11.25, 10:24)
Die Leisen ziehen sich mehr und mehr zurück. Das ist sehr schade, weil gerade diese Menschen wirklich etwas zu sagen hätten und außerdem über großes Wissen und einen gesunden Menschenverstand verfügen. 
Diese Entwicklung ist wirklich grausig.

Liebe Grüße
Kerstin

 Saira äußerte darauf am 02.11.25 um 11:04:
Liebe Kerstin,
 
ja, die Leisen ziehen sich zurück, weil sie die Lautstärke und die Härte nicht mehr ertragen. Nicht nur draußen, in der Welt – auch hier bei uns, im KV.

Viele, deren Sprache einmal wie ein feiner Gegenklang zur Hetze war, sind verstummt oder gegangen.

 
Was bleibt, sind wenige, die aushalten – und jene, die sich noch auflehnen, obwohl der Raum enger wird.
 
Ich fürchte, das ist kein Zufall, sondern ein Spiegel des Zeitgeistes. Und so wie die Atmosphäre draußen kippt, kippt auch das Klima hier drinnen.
 
Diese Entwicklung ist mehr als nur eine ästhetische Frage – sie betrifft das Herz des Miteinanders. Denn wenn das Leise geht, verliert auch das Nachdenken seinen Ort.

Dann bleibt nur noch das Echo derer, die schreien, weil sie sich selbst nicht mehr hören können.

 
Herzliche Grüße
Sigi

 Tula (02.11.25, 11:39)
Moin Sigi

"den Gegner zu Boden lachen ..."

Ja, das ist fester Bestandteil populistischer Streitkultur, nicht nur staatliche Institutionen unglaubwürdig zu machen, sondern jeden, der es wagt, mit Fakten, Argumenten und Wissen schlechthin der post-faktischen Litanei entgegenzutreten.

Wissen als ideologische Windmühle und Ignoranz als Tugend. Das neue Leitbild in den sozialen Medien, leider auch bei einigen Hobby-Literaten ...

LG Tula

 Saira ergänzte dazu am 02.11.25 um 18:08:
Lieber Tula,

du sagst es: dieses perfide Spiel, bei dem Fakten zur Zielscheibe werden und Unwissen als Mut verkauft wird. 

 

"den Gegner zu Boden lachen ..."
Das Lachen ist hier ein Instrument:

Wer laut lacht, will nicht verstehen, sondern vernichten.


Und das Traurige: Dieses Gift sickert längst in Räume, die einmal dem Wort gehörten, nicht der Pose.  

 
Dein klarer Blick erinnert daran, dass Sprache Haltung braucht und dass Denken leiser, aber unendlich stärker ist als jedes „Zu-Boden-Lachen“.

Danke dir für deine Wachheit zwischen all dem Getöse.


Herzliche Grüße
Sigi



Danke auch für den super Link! Er bringt es auf den Nenner!

 plotzn (02.11.25, 12:36)
Gut getroffen, liebe Sigi!

Hetzer gab es schon imer, aber früher konnte man sich dabei nicht so gut verstecken wie heute unter anonymen Accounts. Das hat es inzwischen zum Massenphänomen gemacht. Sogenannte Soziale Meiden leben von Klicks, die sich mit dem Wecken von Emotionen am besten vermehren lassen. Und Wut ist eine starke Emotion, also wird gepusht, was Wut auslöst...

Friedliche Grüße
Stefan

 Saira meinte dazu am 02.11.25 um 18:20:
Lieber Stefan,
 
ja, die Anonymität … sie ist das neue Heldenkostüm für alle, die im Dunkeln tapfer sind. Man wirft mit Worten, ohne sich die Hände schmutzig zu machen, und nennt das dann „Meinungsfreiheit“.
Die Algorithmen applaudieren brav, weil Empörung Klicks bringt und Klicks, wie wir wissen, sind die Währung der Gegenwart.

Was mich daran am meisten beschäftigt:
Diese Unsichtbarkeit verwandelt Haltung in Pose und Meinung in Lärm. Man sieht nur noch Schatten, die schreien. Was früher der Pranger war, ist heute der Kommentarbereich … nur ohne Gesicht, ohne Verantwortung, ohne Scham.

 
Ich danke dir für deine kluge Beobachtung und den friedlichen Gruß – beides selten geworden und gerade deshalb so wertvoll.
Herzlichst
Sigi

 Didi.Costaire (02.11.25, 15:57)
Moin Sigi,

sie sind wie ein Geschwür und es sind nicht nur die Hetzer, sondern auch die Hetzerinnen und alle anderen Hetzenden.

Liebe Grüße, 
Dirk

 Saira meinte dazu am 02.11.25 um 18:23:
Moin Dirk,

du sagst es treffend: Das Gift kennt kein Geschlecht.


Hetze ist ein Virus, der sich durch jede Stimme fortpflanzen kann, die glaubt, Lautstärke sei Haltung.


Sie wächst im Zorn, nährt sich vom Applaus und frisst zuerst das Denken.


Danke und liebe Grüße
Sigi

 EkkehartMittelberg (02.11.25, 22:04)
Liebe Sigi,
wenn dein Text ganz allgemein auf Hetzer gemünzt ist, ist er sprachlich und inhaltlich hervorragend.
Wenn du aber Autoren dieses Forums im Auge hast, bin ich mir nicht so sicher, ob es sich um politisch unterschiedliche Sichtweisen handelt, die sich im Laufe der Zeit verschärft haben und ob nicht die Enttäuschung darüber dir das Bild von Hetzern insinuiert.
Ich bin unglücklich darüber, dass sich hier die Gegensätze so polarisiert haben, dass das Forum gespalten ist.
Herzliche Grüße
Ekki
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