Knochenjob Fliegen

Roman

von  Isensee

Ich war nie gut im Warten, aber ich habe mein Leben damit zugebracht.

Schaufensterlicht. Rinnstein. Nachtwind. Kaltes Fett.

Und eine Laterne, deren Leuchten weh tut.

Du nennst mich Nutte, ich mich überflüssig wach.

Ein Engel kam in einer Nacht, ein verbeulter Übergang zwischen zwei Rechnungen.

Blaue Augen, eine Sporttasche, als wäre sie aus einer Geschichte entflohen.

Stimme wie warmes Metall.

Kippen, Kälte, Nummern.

Und du, was willst du?

Ich hab’s nicht gern, wenn man mich anschaut, als wäre ich ein verlorenes Tier.

Komischer Vogel. Ein Engel, der zu spät merkte: Fliegen ist Knochenjob.

„Ich arbeite“, sagte ich.
„Tut es weh?“
„Nur wenn ich drüber nachdenke.“
„Und tust du das oft?“
„Zu oft.“

Flügel. Nicht schön, nicht golden, sondern wie zwei schief angeschraubte Wahrheiten. Einer hing schon halb ab, als würde sie sich für ihn schämen.

Ich hielt ihn fest, bevor er wegwehte.

„Du verlierst was“, sagte ich.
„Lass“, flüsterte sie, „ich brauch’s nicht mehr.“

Ich wollte ihr widersprechen.
Aber ich kannte den Blick: Wenn jemand einen Flügel verliert, ist das nicht immer Tragik. Manchmal ist es Erlösung.

„Du bist der erste, der nicht gefragt hat, warum“, sagte sie.
„Ich frag nur, wenn's hilft.“
„Hat’s“, sagte sie leise.

Und dann ging sie.
Nicht schwebend, nicht fliegend. Gehend. Leicht. Der Boden unter ihren Schritten gab ein bisschen nach.

Ihr Flügel blieb bei mir, auf meinem Schoß, warm wie ein frisch abgeworfenes Herz.

Ich dachte daran, wie viele Frauen kamen und gingen, aber keine je etwas bei mir ließ, das nicht weh tat.

Diese aber ließ einen Flügel.

Ich weiß nicht, ob sie jemals wieder einen braucht.
Und ich weiß nicht, ob ich meinen jemals bekomme.

Aber seit dieser Nacht sitze ich nicht mehr und warte.
Ich sitze und halte einen Flügel, der sagt:

Das reicht.





Anmerkung von Isensee:


Der Wind ist Lauwarm wie Fritteusenatem 
Und die Laterne? Topfit.
Sie liebt ihr Leuchten. Macht’s freiwillig. Macht’s gern.
Ich war schon immer extrem gut im Warten.
Ich war praktisch Profi darin. Weltmeister.
Wenn Warten olympisch wäre, Gold.

Dann:
„Und du, was willst du?“
Was ich wollte?
Einen Kaffee. Schwarz. Und Ruhe.
Aber nein, jetzt steh ich hier bei Engel-Gustav.


Er schaut mich an, als wär ich ein exotisches Haustier,
das gleich von einem Doku-Team interviewt wird.
Flügel
Bitte
Das waren schlecht gefaltete Geschenkpapierreste.
Er so: „Lass, ich brauch’s nicht mehr.“
Und ich denk: Bruder, du brauchst '
Dann sagt er:
„Du bist die Erste, die nicht fragt, warum.“
Klar frag ich nicht.
Jeder, der mit einem halben Bastelflügel auftaucht, erklärt sich früher oder später freiwillig.
Und dann geht er.
Nicht mal elegant.
Mehr so: „Ups, mein Schuh knarzt.“

Sein Flügel bleibt bei mir.
Warm wie ein Toaster, der noch an war.
Und ich denk: Gut so.
Ich brauch nicht noch mehr Tesa-Flügel in meiner Sammlung.

Aber seit dieser Nacht sitze ich nicht mehr und warte.
Ich sitze und räume auf.
Weil der halbe Flügel krümelt.
Und der Flügel sagt:

„Das reicht jetzt aber wirklich.“

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