Lieber Paula

Kurzgeschichte zum Thema Identität

von  AndreasG

„Drei Wünsche?“ fragte ich und beäugte mein Gegenüber misstrauisch, „das ist ein Witz, oder?“
Die kleine Gestalt schaute zu mir hoch. Halb Eichhörnchen, halb Spitzmaus, etwa einen halben Meter groß und aufrecht stehend, war dieses Wesen nicht gerade so, wie ich mir jemanden vorstellte, der Wünsche erfüllen konnte.
Keine Spur von elfengleicher Anmut oder märchenhafter Schönheit. Die kleinen nadelspitzen Zähne schimmerten gelblich braun im viel zu breiten Mund. Eine dünne Zunge zuckte wie bei einer Schlange vor und zurück, und der buschige Schwanz wippte nervös.
Zuerst hatte ich dieses hässliche Riesenfrettchen für einen Scherz meiner Freunde gehalten; für eine Marionette etwa oder für eine Handpuppe. Aber so primitiv war das Ding nicht.
Also mußte es sich wohl um eines dieser japanischen Spielzeuge handeln, die dazu entwickelt werden, um Eltern in den Wahnsinn zu treiben. Ferngesteuert vermutlich, mit elektronischem Schnickschnack vollgestopft, der die Bewegungen fließend erscheinen läßt und so unverständlich bleibt, wie der Verwackelschutz bei Kameras. Dazu ein simples Funkgerät; fertig. 
Nach dem ersten Schreck war ich vorsichtig näher herangegangen, denn Angst machte das alberne Riesenhörnchen nicht. Ohne das rosafarbene Tütü und die pinkfarbenen Stiefeletten wäre das wohl anders gewesen, aber was sollte an einem geschmacklos angezogenen Spielzeug gefährlich sein?
Ich schaute mich um und versuchte, den Witzbold mit der Fernsteuerung hinter einem der Bäume zu entdecken. Doch im Wald schien alles normal, und so fand ich mich damit ab, daß sich der Spaßvogel gut versteckte. Jetzt kam es nur darauf an, mich nicht zu blamieren.
Das chimärenartige Ding hüpfte umständlich herum und knickte mehrmals mit den hohen Absätzen um. Nein, elegant konnte man dieses Herumstolpern nicht nennen.
„Du machst das noch nicht lange, oder?“ fragte ich betont gelassen.
“Jetzt werde nicht frech zu deiner Fee“, kam es gereizt zurück.
„Fee?“ Ich grinste spöttisch. „So sehen neuerdings Feen aus?“
Winzige Finger schnippten, was mit diesen gekrümmten Krallen eine Kunst für sich war. Mit einem „Ping“ materialisierte sich ein großer Standspiegel aus dem Nichts.
Ein mulmiges Gefühl beschlich mich. Dieser Spezialeffekt war beeindruckend, geradezu kinoreif, aber garantiert zu teuer für einen einfachen Streich. In meinem Freundeskreis schmiss niemand mit Geld um sich.
Die Möchtegernfee beachtete mich gar nicht und betrachtete sich im Spiegel. „Ach du Schreck,“ zischte sie zwischen den spitzen Zähnchen hervor, „da habe ich wohl die Modelle Nagetier 17, Marder 6 und Mensch durcheinandergebracht.“
Wieder ein Schnippen mit den kleinen Fingerchen. Wieder ein „Ping“.
Diesmal hüllte eine eitergrüne Wolke das Wesen ein. Der Duft nach Äpfeln lag plötzlich in der Luft. Als sich der Rauch verzog, stand eine alte Frau mit enormer Hakennase vor mir. An ihrem Arm baumelte ein Frühstückskorb. Sie sah aus wie die klassische Hexe im Märchen, wäre da nicht ...
„Schon besser,“ stotterte ich. „Nur das Tütü und die Stiefel passen nicht so richtig.“
„Grzt,“ entfuhr es der Alten. Mit ihren arthritisch gekrümmten Fingern schnippte sie erneut und verschwand in gelbem Rauch. Diesmal roch es intensiv nach einer Hundewiese, auf der in heißer Mittagssonne die Hinterlassenschaft ihrer Besucher vor sich hin brät. Ich bemühte mich, flach zu atmen.
„Kann ich mir das mit den Wünschen noch überlegen?“ versuchte ich es diplomatisch.
Der auf den Hinterbeinen stehende Königspudel sah in der Feenaufmachung recht reizvoll aus. Okay, - die Stiefelletten mochte ich noch immer nicht, auch wenn die Schritte nicht mehr so wackelig wie bei dem Riesenhörnchen waren.
„Los jetzt, der erste Wunsch,“ drängte die Pudelfee, schaute in den Spiegel und verschwand das dritte Mal in einer – jetzt blauen – Wolke. Sauerkrautgeruch stieg in meine Nase, als sich blaue Dunstschleier im Wald verteilten und auch mich erreichten. Ein kleiner Junge mit bayerischer Lederhose und rot-weiß kariertem Hemd stand nun vor mir. So richtig paßten die pinken Stiefelchen mit den hohen Absätzen nicht dazu. Unter dem Hemd blitzte rosa Tüll hervor.
„Ich weiß nicht recht,“ stotterte ich. „Können wir nicht weitermachen, wenn du deine Ausbildung abgeschlossen hast?“ Einen kleinen Jungen vor mir, erlaubte ich mir eine etwas spitzere Zunge. „Das mit dem Fingerschnippen könntest du noch üben.“
Der Junge stampfte mit dem Fuß auf, wobei der dünne Absatz sich einige Zentimeter in den Boden bohrte. Die folgende Rauchwolke war schwarz und bedrohlich – und stank wie ein Haufen fauler Tomaten.
Zugegeben, Monster konnte diese Fee sehr gut.
Drei Meter groß, grauer Raubtierpelz, bläulich schimmernde Wildschweinhauer, blutunterlaufene Augen hinter einem Gestrüpp olivgrauer Gesichtshaare und Bärentatzen, die jeden Kodiak neidisch hätten werden lassen. Hauteng, wie angeklebt, spannte sich das rosafarbene Röckchen über mächtige Muskelberge. Und aus dem dichten Haardickicht an den Füßen schauten zwei pinkfarbene Schuhspitzen hervor. Ich schluckte.
„Dein Wunsch!“ grollte es bedrohlich.
Fieberhaft überlegte ich. Dieser Fee zu trauen war wie russisches Roulette mit einer automatischen Pistole.
„Ich möchte zuerst nach Hause,“ stammelte ich ausweichend und machte einen Schritt nach hinten. „Mich waschen, Zähne putzen und die Joggingsachen ausziehen. Und meinen Urgroßvater muß ich heute auch noch besuchen. Ich habe jetzt keine Zeit für Wünsche.“
„Also nach Hause,“ wurde die Dreimeterfee plötzlich freundlich. „Zeit – und zum Uropa, also dann...“

Jetzt sitze ich hier, stütze mein Kinn in die rechte Hand und halte mit links den Kopf meines Urgroßvaters. „Tolle Fee,“ geht es mir durch den Sinn. „So genau hätte es nicht sein müssen.“ Schön weiß und glatt ist der Knochen des Schädels. Er fühlt sich gut an in meiner Hand.
Zeit habe ich nun wohl, soviel ich will. Meine Haare sind noch naß vom Baden, die Zähne glänzen weiß wie Marmor und die Joggingsachen bin ich los. Soweit ist alles erfüllt. Nur die Sache mit dem „zu Hause“ hatte ich mir anders vorgestellt. An den afrikanischen Urwald habe ich wirklich nicht gedacht.
Hinter mir höre ich Paula rufen, und ich drehe mich zu ihr um. Sie lächelt mich liebevoll an. Ihr dunkles Fell glänzt wie frisch geölt und duftet verführerisch.
„Komm zu Deiner Familie und laß die Toten ruhen,“ grunzt sie mit ihrer herrlichen Stimme und lächelt erneut.
Ich lächle zurück und klopfe mit dem Daumennagel spielerisch gegen meinen rechten Eckzahn. Ich richte mich nicht auf den Hinterbeinen auf, um mir auf die Brust zu trommeln; ich bin zivilisiert. Stattdessen ziehe ich Paula an mich und streichle ihren drahtigen Schimpansenkörper.
„Lass uns zu unseren Kindern gehen,“ schnurrt Paula, „komm nach Hause.“
Einen letzten Blick werfe ich noch auf den ausgebleichten Schädel, der im Gras liegt. Zwei Wünsche stehen noch aus. Ob die Fee wohl Bananen kann?

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Kommentare zu diesem Text

Yennayah (38)
(01.03.05)
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 AndreasG meinte dazu am 02.03.05:
Freut mich. Freut mich wirklich. Bin ganz überrascht... Öhm... Hätte ich nicht mit gerechnet. *vorurteilewegräum* - Danke, dass Du meinen Humor doch verstehst. Man(n) lernt nie aus.
Kriegst 'nen lieben Gruß, Andreas *verdutztkuck*
Kinghorst (62)
(01.03.05)
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 AndreasG antwortete darauf am 02.03.05:
Hallo Jürgen.
Danke für das Lob. Von Dir bekomme ich es besonders gerne.
Liebe Grüße, ANdreas
Schroebibri (48)
(01.03.05)
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 AndreasG schrieb daraufhin am 02.03.05:
Ich hoffe, dass der Tag ansonsten auch ganz gut wurde... Gruß, Andreas

 Bellis (01.03.05)
Das Ende verstehe ich nicht wirklich - aber was macht das schon, wo doch die ganze Geschichte wahnwitzig ist? ;o) Rosa Tütü... klasse!! ;o))
Yennayah (38) äußerte darauf am 01.03.05:
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 Bellis ergänzte dazu am 01.03.05:
Irgendsowas ahnte ich... ;o) Aber es erschien mir bißchen zu weit hergeholt und zu hintersinnig für eine so schusslige Fee. Ich kichere aber immer noch über ihr Outfit. ;o)))

 AndreasG meinte dazu am 02.03.05:
Darf ich mich einmischen? Oder ist es eine Privat-Party?
Ich erkläre die Entstehung, nicht den Text. Ja? - Die Inspiration war das Bild eines Schimpansen, der in Denker-Pose einen menschlichen Schädel in der Hand hielt. Dazu der Satz: "Und die Fee..." - Mir fiel dazu diese Geschichte ein. Vermutlich ist meine biologisch-naturwissenschaftliche Verbildung daran Schuld. Halte ich die Evolution doch wirklich für real; so 'was aber auch... ts, ts, ts.
Natürlich ist das Bild nicht ganz korrekt, aber darauf gehe ich besser nicht ein...
Gruß, Andreas

 Bellis meinte dazu am 02.03.05:
Interessante Entstehungsgeschichte. Interessantes Bild. Wo hast Du´s gesehen? Ich will mich auch inspirieren lassen! ;o) Gruß, Bellis.

 AndreasG meinte dazu am 03.03.05:
@Bellis: Das Bild war irgendwann im SPIEGEL, aber da hatte ich es nicht beachtet. In der Schreibwerkstatt bekam ich es dann zum Thema "Und die Fee schnippte mit dem Finger..." als Inspiration (die Kursleiterin sammelt seit zwanzig Jahren Bilder für diesen Zweck). Ich weiß nicht, ob so etwas auch im stllen Kämmerlein funktioniert... Darum empfehle ich nachdrücklich: SCHREIBWERKSTATT ausprobieren. Liebe Grüße, Andreas
LyraBerethil (21)
(01.03.05)
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 AndreasG meinte dazu am 02.03.05:
Danke Lyra. Von Dir höre ich auch einen kurzen Kommentar gerne, wo Du sonst so wortkarg bist.
Liebe Grüße, ANdreas

 BrigitteG meinte dazu am 02.03.05:
Hihi.

 Triton (01.03.05)
Nette Geschichte, mal anders, überzeugend umgesetzt. Besonders darin gefällt mir der sarkastische Humor. Gerne mehr davon. LG Triton

 AndreasG meinte dazu am 02.03.05:
Schön, dass ich Dich nicht nur mit Haien locken kann. Und schön, dass die Geschichte Dir gefällt.
Liebe Grüße, Andreas
eldude (29)
(07.03.05)
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 AndreasG meinte dazu am 08.03.05:
Hai Dudi Du.
Eigentlich überlasse ich die Interpretation meiner Texte dem Zuhörer oder -leser. Ich kann die Eindrücke ja doch nicht ändern und will es auch gar nicht. Vielmehr möchte ich erfahren, was so ankommt. Nur dann kann ich abschätzen, ob ich etwas schlecht rübergebracht habe und es in Zukunft vielleicht besser machen. Der Text gehört mir ja nicht mehr... In Juristensprache: Er ist mein Eigentum, aber nicht mein Besitz.
Was Dir fehlt würde ich gerne erfahren. Los, denk' nach.
Der Titel... Na ja. Es ist der Bezug zum dritten Wunsch (dachte ich mir so). Will ich nach Paula und den Bananan nach Hause - oder (...hier Titel einsetzen...)?
Aber ich bin da nicht dogmatisch. Meinetwegen kann es auch für einen Tippfehler gehalten werden. hihi
Liebe Grüße, Andreas

 Traumreisende (17.04.05)
ist das genial geschrieben!!!!!, dafür bekommst du echt Bananen und noch mehr.... lg von einer Lachenden )))))))))

 AndreasG meinte dazu am 19.04.05:
Hallo Traumreisende.
*bananen-nehm* - Danke für Lob und Obst.
Freut mich, Dein Lachen. Schreckt hoffentlich die Reisende nicht aus ihrem Traum.
Liebe Grüße, Andreas
LaPerla (34)
(26.07.05)
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 AndreasG meinte dazu am 28.07.05:
Hallo LaPerla.
Danke schön. - Ist halt wie im richtigen Leben: pass auf, wer Dir Deine Wünsche erfüllen will.
Liebe Grüße, Andreas
Hamilkar (25)
(28.07.05)
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 AndreasG meinte dazu am 31.07.05:
Hallo Hamilkar.
Ich habe den Protagonisten gefragt, aber die Antwort leider nicht verstanden... Aber zur Beruhigung : er macht einen zufriedenen Eindruck.
Abgesehen davon wäre das Ende der Geschichte irgendwie langweiliger, wenn der Hauptdarsteller anders reagiert hätte, oder?
Liebe Grüße, Andreas
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