Gegenschlag

Verstand vs. Irrsinn


Eine archivierte Kolumne von  Melodia

Dienstag, 07. Februar 2012, 19:29
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Spektakel Super Bowl - Superlative der Dekadenz

Gestern war es wieder soweit: Der SUPER BOWL! Das größte Einzelsportereignis der Welt ging über die Bühne und hielt nicht nur mich bis in die frühen Morgenstunden wach. Allein in Nordamerika sind es weit über 100 Millionen Menschen, die das Finalspiel der NFL (National Football League) im Fernsehen verfolgen. Die Übertragung geht in 180 Länder, in 30 Sprachen. Weltweit waren es um die 800 Millionen Zuschauer. Wie jedes Jahr.

Da ich diesen Sport liebe und auch selbst betreibe ist mein Interesse an diesem Ereignis nachvollziehbar. Allerdings nimmt der Finalsonntag in den USA fast schon beängstigende Züge an. An diesem inoffiziellen Feiertag beginnt bereits sechs Stunden vor dem eigentlichen Spielbeginn die Übertragung; mit tausend Fakten, Statistiken, Expertenmeinungen und Highlights vergangener Tage. Für mich persönlich noch vertretbar und unterhaltend, aber das, was rundum passiert ist unglaublich.

Bereits weit über ein Monat im Voraus plant ein Ami sein persönliches Super Bowl Programm, meistens mit großer Party, egal ob als Gastgeber oder Teilnehmer. Ist eben schon Tradition. Im Schnitt schauen, essen, trinken und feiern 17 Personen auf so einer Feier. Und wie könnte man das Ereignis besser zelebrieren, als mit einem neuen Fernseher? In der Woche vor dem Finale wurden um die 1,5 Millionen Geräte verkauft.

Richtige Exzesse entstehen dann bei dem Verzehr der gereichten Speisen. Der Super Bowl Sunday reicht von den konsumierten Mengen her fast an das alljährliche Truthahnmassaker zu Thanksgiving heran. Es werden circa 4.000 Tonnen Popcorn, 14.500 Tonnen Chips und weit über 3.500 Tonnen Guacamole-Dip vernichtet. Der Super Bowl ist wichtiger als Silvester! Es wird geschätzt, dass jedes Jahr um die 50 Millionen Dollar für Nahrungsmittel ausgegeben werden, um das Finale ordentlich zu feiern. Dazu gehören auch die weit über eine Milliarde verkauften Chicken Wings. Die Pizzalieferdienste spulen unglaubliche Kilometer herunter und bringen um die 4,5 Millionen Pizzen unters jubelnde Volk. Angeblich verdient ein solcher Bote ein Drittel seines Jahresumsatzes an diesem einen Tag. Kein Wunder, wenn knapp 50 Millionen Menschen sich ihr Essen liefern lassen. Das sind so viele, dass Zeitungen in ihren Ausgaben Notfallrezepte zum Selbermachen einfügten. Man weiß ja wie lange so eine Pizza brauchen kann. Aber wen verwundert es da, dass die Amerikaner ein großes Problem mit Übergewicht haben?
Auch bei der Flüssignahrung sind die Amerikaner nicht sparsam. Nach dem St.Patrick’s-Day ist der Finalsonntag der Tag mit dem höchsten Alkoholkonsum in den USA. Von rund 1,2 Milliarden Liter Bier ist hier die Rede. Selbst für die Bayern nach dem Titelgewinn der selbigen Mannschaft eine Herausforderung.

Wen wundert es da, dass die Krankmeldungen am nächsten Tag mit 6% über dem Jahresschnitt liegen. Das sind immerhin 7-8 Millionen Arbeitnehmer. Entsprechend hoch ist auch der Absatz an Kopfschmerztabletten und an Mitteln gegen Magenschmerzen. Hier sind es 20% mehr als an einem alltäglichen Montag. Man spricht scherzhaft von der „Super Bowlitis“.

Und dann darf man natürlich nicht die Gelder vergessen, die in der Werbung stecken. Jede Firma die etwas auf sich hält versucht einen Spot während der Übertragung zu platzieren. Nicht verwunderlich, bei den Massen an Zuschauern. Fast die Hälfte aller amerikanischen Haushalte sieht das Spiel. In der Liste der erfolgreichsten Fernsehübertragungen der USA sind acht Super Bowls in der Top10. Die Filmchen werden alle ausnahmslos extra für das Spektakel produziert und sind ein fester und wichtiger Bestandteil geworden. Manche schauen das Spiel tatsächlich ausschließlich wegen der Werbung. Der jeweilige Sender lässt sich das selbstverständlich gut bezahlen: 3,5 Millionen Dollar pro 30 Sekunden kostete eine Werbung dieses Jahr. Neuer Rekord. Bei 70 Spots kommt da ganz schön was zusammen. Die besten Spots der letzten zwei Jahre bot übrigens nach allgemeiner und eigener Meinung der VW-Konzern (2011: http://www.youtube.com/watch?v=R55e-uHQna0 und 2012: http://www.youtube.com/watch?v=0-9EYFJ4Clo ).
In eher trockeneren Regionen, wie Arizona und New Mexico, wird den Menschen übrigens geraten, nicht nur in den Werbepausen auf die Toiletten zu gehen, da es sonst gut möglich wäre, dass das Wasser einfach ausbleibt.
Den Super Bowl nutzt der jeweils übertragende Sender auch dazu, eigene Serien und Sendungen geschickt zu vermarkten. Zu dieser Gelegenheit schreiben die Autoren meist eine extra Folge, in der das Ereignis thematisiert wird. So zum Beispiel schon gesehen bei den „Simpsons“ oder bei „Friends“.

Zu Beginn gibt es die obligatorische Nationalhymne, stets von einer jungen Dame gesungen, die gerade irgendwas Wichtiges gewonnen hat oder in den Charts weiter oben steht. Dieses Jahr war es eine gewisse Kelly Clarkson. Letztes Jahr war es Christina Aguilera, die sich ein Fauxpas leistete, als sie den Text teilweise vergessen hatte und einfach eine andere Zeile sang. Zugegeben, sie hat es nicht ganz so verbrüht wie Frau Connor vor einigen Jahren mit der Deutschen, aber in den USA reicht das schon für einen mittelschweren Skandal.
Wo wir bei Skandalen sind. In der Halbzeit folgt das nächste musikalische Spektakel: die Halbzeitshow. Früher bestand sie lediglich aus der Darbietung einer Marschkapelle aus der lokal ansässigen Universität. Jedoch spätestens seit 1993 wird die Halbzeit immer weiter zu einem fast eigenständigen Erlebnis der audiovisuellen Unterhaltung ausgebaut. Damals trat Michael Jackson auf. Seit dem gab es ein wahres Starensemble zu bestaunen, zwischen den Rolling Stones, Bruce Springsteen und The Who. Dass man in den letzten Jahren eher auf Altrocker setzte lag vor allem an dem bekannten „Nipplegate“-Skandal. Bei der Show 2004 riss Justin Timberlake seinem Co-Star Janet Jackson am Ende ein Stück vom Oberteil abriss und somit eine Brust der Dame freilegte. Im Prüden Amerika glich das nahezu einem ketzerischen Akt. Seit dem wird der Super Bowl mit einigen Sekunden Verzögerung ausgestrahlt. Dieses Jahr durfte Madonna rumhüpfen und trällern. Und trotz der zeitlichen Verschiebung kam es erneut zu einem kleinen Skandal, weil eine Mitsängerin kurz den Mittelfinger zeigte. Viel zu schnell für das Übertragungsteam um zu reagieren.

Um das Spiel im Stadion selbst zu genießen, muss man übrigens auch etwas tiefer in die Tasche greifen. Das billigste Ticket kostete dieses Jahr 2.000 Dollar, der Durchschnittspreis lag bei knapp 4.500 Dollar, die teuerste Eintrittskarte kostete fast 16.500 Dollar. Die Tickets für den ersten Super Bowl 1967 kosteten übrigens gerade mal zwölf Dollar. In der Stadt selbst war es noch extremer. Die Zimmerpreise der Hotels nahmen bis zu 1.700 Prozent zu und die Parkplätze um das Stadion waren stolze 600 Dollar teuer. Die NFL investierte außerdem 250 Millionen Dollar in Fanartikel für das Spiel und dennoch lohnt es sich: Nur am Sonntag verdient die NFL über 200 Millionen Dollar. Auch für die Region rund um den Austragungsort ist der Super Bowl lukrativ. So konnte 2010 die Stadt Dallas rund 400 Millionen Dollar einnehmen.

Da wirken die Ausgaben für den Siegerpokal, die Vince-Lombardi-Trophy, mit 25.000 Dollar fast wie Peanuts. Ähnlich ist es mit den Super Bowl-Ringen, welche die Mannschaft von der NFL bezahlt bekommt. Die Ringe sind typischerweise mit Diamanten und Gold versehen und kosten 5.000 Dollar das Stück. So zierten mehr als 100 Diamanten die Ringe des letztjährigen Siegers. Dekadenz in seiner Vollendung.

Gleichzeitig sinkt die Kriminalitätsrate im ganzen Land wie zu keinem anderen Event. Auch die Wettbüros erfreuen sich an diesem Sonntag über ihre größten Umsätze. Von 10 Milliarden Dollar ist hier die Rede und es kann praktisch auf alles gewettet werden; auf den Münzwurf, das Ergebnis aber auch ob sich die Trainer am Ende die Hand geben oder wie viele Yards insgesamt erspielt werden.

Auch für Kardiologen scheint der Super Bowl immer interessanter zu werden und das nicht nur wegen dem extrem hohen Cholesterinspiegel auf Grund des ganzen fettigen Essens. Statistiken scheinen zu zeigen, dass männliche Fans der Verlierermannschaft eine 15% höhere Wahrscheinlichkeit aufweisen, an einem Herzinfarkt zu sterben. Die weiblichen Fans sind mit 27% noch stärker betroffen.


Es ist geradezu unglaublich, dass selbst Familien, die in der Wirtschaftskrise kaum Geld haben, horrende Summen für eine Party oder gar für Tickets ausgeben. Am Superbowl-Sonntag ist es fast so, als ob ganz Amerika ihre Probleme vergessen würde. Weder die wirtschaftliche Lage, die Kriege und die anderen innerstaatlichen Konflikte können an diesem einen Tag nicht am nationalen Selbstbewusstsein rütteln. Für einen Tag ist es so, als wären die USA immer noch ein Land mit unbegrenzten Möglichkeiten, eine Weltmacht in der jeder Bürger genug hat und glücklich ist. Eine dekadente Show, die alles vergessen lässt.

Dass Sport für manchen wichtig sein kann, verstehe ich gut. Dass man Fans glücklich machen möchte ebenfalls. Aber für alles gibt es Grenzen. Egal ob Fußball oder Football, egal ob rund oder eiförmig, Geld regiert nicht nur die Welt, sondern leider besonders den Sport.

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Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag


 Dieter_Rotmund (08.02.12)
Nun, nichts gegen American Football (Rugby ist dennoch besser!), aber angsichts der Zahlen wird klar, dass das nichts mehr mit Sport zu tun hat. Aktuell: Momentan wird wieder um die deutschen exklusiven Fußballübertragungsrechte gefeilscht, es sind 412 Millionen Euro gefordert.
Es fehlt der Kolumne ein bisschen die persönliche Note, Melodia! Was hast DU für Bier getrunken und Chips gegessen...?

 Melodia (08.02.12)
@dieter: ja das mit rugby vs football ist ein leidgies thema.. hab ein freund der rugby spielt, ich eben football... da wird immer gestichelt. ich finde es hat beides was, aber der mit der ausrüstung gefällt mir halt doch besser.
ja das was um den sport passiert ist furchtbar, das auf dem rasen bleibt weiter sport. kann nur jeden mal ins training einladen, oder wenigstens mal videos von trainingseinheiten der profiteams anzuschauen. da gibt es nichts zu lachen.^^
der fussball geht auch langsam in diese richtung. da hat man ja noch den vorteil, dass er insgesamt globaler vertreten ist. also noch viel mehr geld unterwegs ist.
übrigens saß ich mit meinen team zusammen und wir haben selbstgemachte burger und schnitzel gegessen und das spiel auf einer großen leinwand verfolgt.

@iseabail: geldverschwendung ja, und wie! aber die scheinen das zu brauchen fürs ego. naja. das einzige was man der nfl und den spieler zu gute halten kann ist, dass sie viele soziale projekte leiten und mitfinanzieren. aber wird auch nur ein bruchteil dessen sein, was da sonst so an gelder fließt.

lg an euch beide!

 Melodia (08.02.12)
und dir auch mein lieber BBA! dir auch!
*rotes gesicht*

lg
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