Gegenschlag

Verstand vs. Irrsinn


Eine archivierte Kolumne von  Melodia

Dienstag, 15. Mai 2012, 13:34
(bisher 1.273x aufgerufen)

Wahl und Kampf

Vor einem Jahr erblühte in Nordafrika der Jasmin und mit ihm die Hoffnung der dort lebenden Menschen auf ein gerechteres Leben, auf Chancengleichheit und, im weitesten Sinne, auch auf Demokratie. Diese Proteste und Revolutionen dehnten sich auf dem ganzen Globus aus, sogar bis nach China. Europa wird folgen… und hoffentlich richtig!

In Ägypten allein fanden bzw. finden dieses Jahr die Parlamentswahlen, die Wahlen zur Schura; das Oberhaus des Parlaments und in einer Woche die Präsidentschaftswahlen statt. Also Wahlen, bei denen die Menschen tatsächlich wählen dürfen. Aber natürlich kam es auch hier wieder zu unschönen Szenen durch Armee und regierenden Militärrat. Aber das ist nun mal der Preis der Freiheit, oder so ähnlich. Wobei ich mir die Frage stelle, wie viel Freiheit den Menschen gewährleistet wird, wenn Parteien gewinnen und Ämter besetzen, die fast ausschließlich religiöse Themen in ihrem Wahlkampf ansprechen? Aber das Volk hat gewählt. Meine Prognose: In fünf Jahren beginnt es von vorne.

Da sieht es meines Erachtens in Tunesien, dem Land, welches den Anstoß gab, etwas vielversprechender aus. Denn auch wenn die stärkste Partei Tunesiens ebenfalls religiös geprägt ist, so hat sie doch den Anspruch modern zu sein und sich „zeitgemäß“ zu verhalten. Im Prinzip als Bindemittel für eine Verschmelzung der beiden theoretischen Antipoden Religion und Moderne. Zumindest was die Gleichberechtigung von Mann und Frau betrifft scheint es bisher einigermaßen zu funktionieren. Wäre doch schön, wenn der Kleber wenigstens trocknen würde, bevor man weiter reformiert, was ich schwer hoffe.

Was in Libyen von statten geht, lässt sich in einem Wort zusammenfassen: Chaos! Auch wenn es eine offizielle Übergangsregierung gibt, ist das Land alles andere als befriedet. In manchen Gebieten herrschen unabhängige Milizen, die sich der Staatsmacht fügen wollen und sich gegenseitig bekämpfen. Die Zustände in Gefängnissen und Krankenhäusern sind teils desolat und Folter ist an der Tagesordnung. Da kann mir sonst wer erzählen, dass der Bürgerkrieg vorbei ist, aber das stimmt einfach nicht. Für Juni sind die ersten Wahlen angesetzt, doch darauf verlassen würde ich mich noch nicht. Interessant finde ich außerdem, dass ausgerechnet im einzigen Land, in dass sich der „Westen“ eingemischt hat, in Anomie versinkt. Wäre schließlich nicht das erste Mal.

Ähnlich verhält es sich in Algerien, wo sich bei den Parlamentswahlen zeigte, dass Wahlrecht alleine auch nichts verändert. Die Wahlbeteiligung betrug nur knapp über 40%. Kaum verwunderlich, wenn man weiß, dass sich ohnehin nichts ändern wird. Die alte Regierung bleibt im Amt, dieselbe, gegen die Tausende auf die Straßen gingen. Aber wenn die Macht nicht bei der Volksversammlung liegt, sondern bei korrupten Verbänden aus Militär, Wirtschaft und „Regierung“, die sich teils gegenseitig das Leben schwer machen, wen überrascht es da, dass es niemanden zur Wahlurne lockte? Warum überhaupt eine Wahl abhalten? War den Machthabern langweilig oder sollte es ein Zeichen des „guten Willens„ sein? Die Revolution ist hier noch nicht beendet.

In Syrien gehen die Proteste noch weiter. Das Verfassungsreferendum wurde zwar mit prozentual großer Mehrheit angenommen, aber die Wahlbeteiligung lag bei nicht ganz 60%. Vor allem deshalb, weil die Oppositionsbewegung zum Boykott aufgerufen hatte, da sich nichts Entscheidendes verändern würde. Mal abgesehen davon, dass das Militär weiterhin gewaltsam gegen Demonstranten vorgeht. Das schafft doch eher selten eine angenehme Stimmung. Die Parlamentswahl Anfang Mai war eher eine Fassade und Farce, als ein ernstzunehmendes Entgegenkommen der Machthaber. Trotz der neuen Zulassung von anderen Parteien, wurden einige weiterhin außen vor gelassen, darunter auch die vermeidlich stärkste Gegenpartei. Das sich die Rebellenarmee weiterhin zur Wehr setzt scheint nur konsequent. Würden sie jetzt die Waffen niederlegen, würde man sie höchstwahrscheinlich töten lassen. Wenn man schon im Mist steckt, muss man nicht noch den Kopf hängen lassen.

Die Wahlen in Russland werde ich hier nicht Ansprechen. Denn in einem vermeidlich demokratischen und modernen Land, in dem ein ehemaliger KGB-Offizier und FSB-Direktor sich seit 1999 an der Macht hält, in dem Oppositionelle und Kritiker auf mysteriöse Weise in Krankenhäuser landen, um dort noch rätselhafter zu sterben und besagter Mann bei „Wahlen“ mit ca. 64% der Stimmen gewinnt, in solch einem Land habe ich starke Zweifel, ob es mit rechten Dingen zugeht.

So schließt sich langsam der Kreis und wir kommen nach Europa. Bis auf eben Russland gibt es hier zwar nicht direkt oder offensichtlich so was wie Diktaturen, aber nichts desto trotz einen gewaltigen Unmut über Politik und Wirtschaft. Bei den jüngsten Wahlen in Frankreich und Griechenland zeichnete sich vor allem eins ab: Ein (leichter) Linksruck. In Frankreich zwar richtig knapp und vermutlich genauso wirkungslos wie ein politischer Wechsel zwischen CDU und SPD in Deutschland. Mit Skandalen geizt die neue Regierungspartei auch nicht gerade, nicht wahr Herr Strauss-Kahn?! Aber immerhin steht im Namen „sozialdemokratisch“. Monsieur Hollande wird den Atomstromanteil des Landes auf 50 % senken; nicht genug wenn man mich fragt, aber gerade genug, um Stimmen zu gewinnen. Die Kritik an Sarkozy, er habe die Herabstufung der Bonitätsniveaus Frankreichs zu verschulden, sollte jedem in das eine Ohr rein und in das andere Ohr raus gehen. Ratingagenturen: geldgeiler Hexensabbat mit staatlicher Genehmigung zum Freischuss.

Griechenland ist da schon interessanter. Keine Partei konnte bei den Parlamentswahlen über 20% kommen und nun gehen die Koalitionsverhandlungen in die gefühlt hundertste Runde, wie es immer so schön heißt. Die beiden großen Parteien mussten auf Grund der Finanzkrise erhebliche Verluste hinnehmen, wodurch die kleinen, wohlwollend formuliert, teils radikaleren Fraktionen ins Parlament ziehen. Darunter das Linksbündnis als zweitstärkste Partei und erstmals auch die Neonazis. Linksruck ja, aber vor allem ein Umbruch zum Radikalen. Es wird schon befürchtet, dass das Land unregierbar wird. Das wäre auch das schlimmste, was den Griechen passieren könnte, oder?

Der Kapitalismus fordert langsam seinen Tribut und wird sich mit Griechenland alleine nicht zufrieden geben. Portugal, Spanien, Irland und Italien werden folgen. Schon jetzt gibt es in Madrid und Barcelona fast täglich Demonstrationen auf Grund der Finanzkrise und der auch damit zusammenhängenden Arbeitslosigkeit. Die liegt momentan immer bei knapp 25 %! In Italien gibt es Proteste gegen die Finanzbehörden und die dubiosen Sparpakete der Regierung.

So sitze ich hier, denke, schreibe und genieße die Entropie und den Aufbruch. Ich hoffe inständig, dass sich die nordafrikanischen Staaten, Syrien, Jemen usw., insofern sich wirklich ein demokratischer Wandel einstellen wird, nicht denselben Fehler machen werden, wie die europäischen Länder und dem Irrglauben der kapitalistischen Verlockung vom Wohlstand verfallen werden.
Ständiges Wachstum führt zum Kollaps. Das kann euch jedes Kindergartenkind, das mit seinen Bauklötzen spielt, erklären! Auch die darauf folgenden Auseinandersetzungen mit den anderen Kindern, weil sie einen Klotz auf selbigen bekommen haben. Bis eines weint. Nach dieser Devise wird solange weitergemacht, bis man selber an der Reihe ist. Und früher oder später ist jeder an der Reihe.

Darum habe ich schon früher lieber gemalt.

Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag


 Melodia (21.05.12)
na ist doch so, oder?^^... eigentlich gar nicht lustig, aber gut...

wieder mal vielen dank
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram