Gegenschlag

Verstand vs. Irrsinn


Eine archivierte Kolumne von  Melodia

Dienstag, 12. Juni 2012, 16:57
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Wir schaffen Misstrauen

„Verdammt! Ferrari in der Werkstatt und vergessen den Hummer zu tanken! Muss wohl doch der Helikopter herhalten, um nach Monaco zu kommen. Vielleicht kleiner Zwischenstopp in Zürich!“ Microblogs dieser ironischen Art konnte man die vergangene Woche des Öfteren auf Twitter und Konsorten lesen. Grund: Die ohnehin so beliebte Auskunftei SCHUFA plane, zusammen mit dem Hasso-Plattner-Institut (ist übrigens der Gründer und Aufsichtsratsvorsitzende von SAP), soziale Netzwerke á la Facebook, sowie andere Internetdienste als Quelle für ihre Datenbanken zu benutzen und zu erforschen.

Für jene, die es nicht wissen; die SCHUFA ist ein privatwirtschaftliches Unternehmen, welches von diversen Kreditanstalten gestützt wird und Daten von Bürgern sammelt, um deren Kreditwürdigkeit zu prüfen. Also bei mir klingeln bei der Kombination wieder die Glocken, aber sei es drum. Immerhin ist der Verein in Besitz von knapp 500 Millionen Daten von circa 75% aller Deutschen! In dem Zusammenhang habe ich mal den Ausdruck „Kreditstasi der Banken“ gehört. Ist der so genannte Scoringwert einer Person nicht zufriedenstellend, weil er, z.B. auf Grund von durchschnittlich über 6% Zinsen seines Kredites, Schulden bei der Bank hat, wird er manche Dinge nicht erwerben können. Wie viel Zinsen bekommt man eigentlich auf das Girokonto? Die Kontogebühr noch nicht abgerechnet? Egal anderes Thema.

Nehmen wir also an, die verschuldete Person von der wir reden, braucht aus beruflichen Gründen dringend ein Handy. Wenn er Glück hat, übernimmt es sein Arbeitgeber. Wenn nicht, kann es sein, dass er auf Grund seiner SCHUFA-Einträge keinen Vertrag abschließen kann. Ja, richtig gelesen! Die meisten Telefonanbieter überprüfen das tatsächlich. Auch bei manchen Miet- und Kaufverträgen in gewissen Wohngegenden wird Auskunft verlangt. Meiner Meinung nach sollte die SCHUFA ihren Slogan „Wir schaffen Vertrauen“ in „Wir schaffen Misstrauen“ umformulieren. Wäre in diesem Wirtschaftssystem, indem jeder vom anderen erwartet, über den Tisch gezogen zu werden, realitätsnaher.

Bis zu einem gewissen Punkt verstehe ich den Wunsch der Wirtschaft, zu wissen, mit wem man sich einlässt. Blöd nur, dass es umgekehrt wenig Möglichkeiten gibt. Und das Argument aller Auskunfteien, sie würden mit ihrer Arbeit Bürger daran hindern, sich zu verschulden, ist unhaltbar. Wer nicht mit Geld umgehen kann, wirft es woanders zum Fenster hinaus. Muss ja kein Handy sein. Abgesehen davon, lässt sich noch weitere Kritik anbringen. So kann man zwar fordern, dass keine Daten herausgegeben werden, muss aber für spätere Geschäfte damit rechnen, noch schlechter da zustehen. Bis 2001 das Einholen einer Eigenauskunft gleichbedeutend mit einem negativen Eintrag. Wie ein solches Scoring zustande kommt, ist ohnehin (noch) ein Geheimnis. Im November 2011 wurde die SCHUFA verurteilt, ihr Verfahren für jeden offenzulegen. Allerdings ist das Urteil noch nicht in Kraft getreten. Die Auskunft gibt Auskunft.

Was auch bitter nötig ist, in Anbetracht von einer Fehlerquote, die an russische Wahlergebnisse erinnert. Fast 70% aller Daten sind fehlerhaft, veraltet oder lückenhaft. Auch wenn die SCHUFA selbst das ganz anders sieht. Und mit diesen Voraussetzungen wollen sie jetzt die unendlichen Weiten des Internets zur Datenakkumulation nutzen. Wer merkt noch den Fehler? Das Internet, ein Medium, indem jeder tun und schreiben kann was er will, soll Datensätze ergänzen und vervollständigen. Darf ich an den anfänglichen Kommentar erinnern?! Ich finde das extrem kurzsichtige Verhalten der SCHUFA eher zum brüllen, als die Tatsache, dass sie öffentliche Netzwerke „ausspioniert“. Ist doch jeder selbst Schuld, wenn er Bilder von seiner Tour durch die Rotlichtetablissements oder dem letzten Komasaufen für alle zugänglich macht. Dennoch ist der Aufschrei groß. Allen voran auch Politiker, die mit so Phrasen daherkommen wie: „Die SCHUFA darf nicht zum Big Brother des Wirtschaftslebens werden". Interessant, meine lieben Frauen Verbraucher- und Justizministerinnen. Man sollte meinen, dass genau die zwei beiden… naja Damen, wissen wovon sie reden, oder? Tatsache ist, dass die SCHUFA das per Gesetz § 29 Abs. 1 Nr. 2 BDSG u.a. darf! Womit wir bei den Politikern wären! Oder wer schafft solche Rahmenbedingungen? Hauptsache man kann sich danach populistisch hervortun, andere beschuldigen und politischen Gewinn daraus ziehen. Dann ist ihre Welt in Ordnung.

Das einzige was man verlangen kann ist, dass man SCHUFA und andere Auskunfteien gesetzlich strikter beschränkt als bisher oder sie komplett abschafft. Aber dann würden die Banken auf die Barrikaden gehen und für wen würden sich machthungrige Staatsmänner entscheiden? Für die überforderten, unwissenden und politikverdrossenen Bürger oder den Finanziers ihrer teuren Wahlkampagnen? Kleiner Tipp: Wir werden nicht zum Abendessen eingeladen. Das Hasso-Plattner-Institut ist mittlerweile aus dem Vertrag wieder ausgestiegen. Begründung: „Angesichts mancher Missverständnisse in der Öffentlichkeit über den vereinbarten Forschungsansatz und darauf aufbauender Reaktionen könne ein solches wissenschaftliches Projekt nicht unbelastet und mit der nötigen Ruhe durchgeführt werden“. Beim nächsten Dinner wird sich schon etwas Neues finden.

Man weiß gar nicht, ob man sich mehr über die Äußerungen der Politiker ärgern soll, oder über die Datenschützer, die anscheinend ohne Kenntnis der Sachlage, mal wieder in alle Richtungen ausschlagen. Ich bin ebenfalls der Meinung, dass Datenschutz und Privatsphäre jederzeit gegeben sein müssen. Aber wer ist so blauäugig und glaubt, dass dieses „ausspionieren“ tatsächlich noch nicht stattfindet? Vermutlich war das nur der Versuch, damit an die Öffentlichkeit zu gehen. Wenn selbst vermeidliche zukünftige Arbeitgeber das Internet nach Informationen zu meiner Person durchforsten, was werden dann wohl Kreditanstalten und Auskunfteien tun?

Wo die Datenschützer ansetzen können, wäre z.B. bei der neuen Idee von Intel. Die Firma möchte nämlich eine Set-Top-Box (DVD-Player und Receiver sind z.B. solche Geräte) auf den Markt bringen, die mit ihrem Chipsatz Informationen zu Alter und Geschlecht des Zuschauers scannt, speichert und weiterleitet, damit dann gezielt Werbung für die Zielgruppe gesendet werden kann. Muss ich hierzu noch irgendetwas sagen?! Die guten 0,1% Hoffnung die ich in dieser Idee habe, bestehen darin, dass dadurch die hochgerechneten Einschaltquoten obsolet würden und so tolle deutsche Formate wie „Bauer sucht Frau“ mitsamt ihren Schöpfern dahin verbannt werden könnte, wo sie herkamen und hingehören; um ohne anstößige Begriffe auszukommen. Warum habe ich wohl noch nie Fernsehen beantragt?!

Oder, um beim Thema öffentliche Netzwerke zu bleiben, könnten sich Datenschützer auch gegen die Betreiber von Facebook wenden. Diese planen das sowieso viel zu niedrige Mindestalter für die Anmeldung von 13 Jahren zu senken. Kontrolliert wird indes ohnehin nicht. Da schummelt man beim Alter und man ist mit dabei. Ob Kinder in diesem Alter sich auch nur ansatzweise bewusst sind, was sie tun, bezweifle ich. Aber die Verlockung von Kontakten und Onlinespielen scheint sowohl Kinder als auch die Großfamilie Zuckerberg geradezu magisch anzuziehen. Die Kleinen der Unterhaltung, die Großen des Geldes wegen.

Vielleicht sammelt die SCHUFA demnächst auch Daten von Dreijährigen. Die werden dann staunen, wenn sie dreißig Jahre später ein Haus kaufen wollen und es heißen wird: „Tut mir leid, aber in ihren Akten steht, sie hätten ihre Eltern auf Grund ihrer Brei- und Milchsucht beinahe in den Ruin getrieben. Von einer Reha steht hier nichts, also müssen wir davon ausgehen, dass sie noch immer nach der Pampe lechzen!“ Wundern würde mich das auch nicht mehr. Man kann auch geistig auf Kredit leben.

So ist es halt, heutzutage kommt auf 1.000 Menschen ein Gläubiger und auf 1.000 Gläubiger ein Mensch.

Oder so ähnlich. Am besten mal bei der SCHUFA nachfragen.

Die wissen Bescheid.

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