Gegenschlag

Verstand vs. Irrsinn


Eine archivierte Kolumne von  Melodia

Dienstag, 23. Oktober 2012, 17:10
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...doch Gästen gib reichlich

Nun, habt ihr erraten, womit es weitergeht, beim Vergleich von Ost und West?

Ja, ich möchte auf das Essen zu sprechen kommen. Allerdings nicht auf die diversen Speisen die es dort zu verköstigen gibt, denn sonst beginne ich wieder zu schwärmen. Vielmehr möchte ich auf die Essgewohnheiten eingehen. Prinzipiell wird alles, außer Suppen, mit Stäbchen gegessen. Die Handhabung ist reine Übungssache. Kleine chinesische Kinder fangen damit an, die Stäbchen weit unten zu halten und wandern nach und nach weiter nach oben. Die Chinesen vergleich das gerne mit dem Erwachsenwerden: Man entfernt sich immer mehr von den Eltern, bzw. versucht von ihr zu fliehen, was nicht gerade leicht ist im Reich der Mitte.

In China geht man oft essen, um nicht zu sagen ständig. Essen ist so zu sagen einer der wichtigsten Lebensinhalte. Es gibt überall kleine Imbissbuden, mobile Stände und Restaurants. Wichtig dabei ist nur, dass man niemals alleine Essen geht, sondern immer in einer Gruppe; Pärchen ausgenommen. Des weiteren bestellt nicht jeder sein eigenes Gericht, wie hier üblich. Es wird gemeinschaftlich für alle bestellt und immer (mindestens) ein Gericht mehr als Personen am Tisch. Die Speisekarten sind, zumindest in Großstädten, sehr oft vollständig mit Bildern versehen, wodurch sich hin und wieder auch die sprachlichen Barrieren erübrigen. Und das wichtigste: Die Gerichte sehen alle exakt so aus wie auf der Karte! Größere Gruppen werden an einen runden Tisch gesetzt, der mit einer drehbaren Platte versehen ist, damit jeder an alle Speisen drankommt. Denn so wird in China gegessen. Einer bestellt, alle essen, einer zahlt. Beim nächsten Mal ist jemand Anderes an der Reihe.
Ich finde, wenigstens das könnte man in deutschen Chinarestaurants übernehmen, wenn das Essen schon nicht „original“, da westlich angepasst, ist. Mal abgesehen davon, dass es sich oft nicht um Chinesen handelt die hinter dem Wok stehen. Aber ich schweife ab. Der Hygienestandard in China mag gerade in kleineren Restaurants nicht dem Westlichen entsprechen, aber ich lebe auch noch und hatte bisher nie Magenbeschwerden oder sonstige gesundheitliche Probleme. Allerdings ist eine Person, die Sambal Oelek wie Butter benutzt und jede Speise mit Chili würzt, vermutlich nicht für Ernährungstipps geeignet.

Ein schöner Brauchtum, der leider auch zu verschwinden scheint, ist das Übergeben von z.B. Geld und Visitenkarten mit beiden Händen. Dem sollte man im Idealfall noch ein leichtes Nicken und ein Lächeln beifügen; vielleicht noch ein Danke. Irgendwie ist es eine höflichere Umgangsart, die aber vermutlich auf Grund der Moderne und dem schnellen Leben nach und nach vernachlässigt wird. Allerdings fand ich es schön, wie sich Kassierer und Kellner stets gefreut haben, wenn man ihnen das Geld traditionell übergeben hat. Versucht das mal bei der netten Dame im Supermarkt eurer Wahl und ihr erntet vermutlich einen giftigen Blick. Zumindest ging es mir so, als ich aus Gewohnheit das Geld mit beiden Händen hinüberreichte. Verwunderung, Verwirrtheit und eine ordentliche Portion Skepsis schlugen mir entgegen, abgesehen von dem Gejammer des Typen hinter mir, dem das Ganze nicht schnell genug ging. Klar, so drei Sekunden können schon kostbar sein.

Früher waren diese ganzen gesellschaftlichen Gepflogenheiten in China mehr oder minder Pflicht. Denn wer sich anders verhielt, oder unrühmliches Verhalten an den Tag legte, der lief Gefahr sein „Gesicht zu verlieren“, also seine Reputation. Kritik, Zurechtweisungen und Unwissen können Ursachen für einen solchen Ansehensverlust sein, der auch heute noch von enormer gesellschaftlicher Bedeutung ist. Vielleicht liegt es auch daran, dass ein Chinese dir lieber eine falsche Information auf Fragen gibt, als zu sagen, dass er es nicht weiß. Wer also nach dem Weg fragt und merkt, dass kurz gestutzt und überlegt wird, der sollte noch jemand ansprechen. Aber warten bis die vorherige Person außer Sichtweite ist!

Den höflich-rituellen Umgangsformen steht das Schamgefühl entgegen, bzw. nicht, denn man kann sich nicht dem Gefühl erwehren, dass ein solches nicht vorhanden ist. Wer also, wie bei uns, in der Bahn immer schön alleine eine Sitzgruppe besetzt, wird sich in China sehr schnell umzingelt sehen. Körperkontakt ist normal, egal ob U-Bahn, Bus oder Einkaufsstraße. Das gleiche gilt, wenn es etwas Aufsehenerregendes gibt. Denn dann bildet sich innerhalb kürzester Zeit eine Menschentraube, die auch lautstark kommentiert, egal ob es sich um einen Unfall, einen Streit oder etwas Belanglosem handelt.
Als Europäer wird man sich aber vermutlich am wenigsten an den Umgang von und mit kleinen Kindern gewöhnen. Um gleich Missverständnisse vorzubeugen: Chinesen lieben ihre Kinder und sind extrem fürsorglich. Ich dachte an für uns fragwürdig öffentliches Verhalten. Es ist nämlich vollkommen normal, dass kleine Kinder sich mitten auf der Straße hin hocken, um Wasser zu lassen. Das kann vor Restaurants oder in Museen passieren. Auch dieser „Brauch“ nimmt ab, da den meisten Kleinkindern mittlerweile Windeln angelegt werden. Davor wurden ihnen Strampler mit einer großen Aussparung angezogen. Manchmal sieht man auch heute noch halbnackte Zweijährige, die durch die Gassen stolpern.

Als Fremder hat man es anfänglich ohnehin etwas schwerer, da einem, außerhalb von Hotels und Jugendherbergen, zunächst Zurückhaltung und Misstrauen entgegengebracht wird. Gruppenbildung und –denken ist sehr ausgeprägt und es braucht etwas Zeit, bis man eingebunden wird. Selbst ein einfaches „Danke“ oder „Bitte“ kann dann eine Seltenheit sein. Ist man aber erst einmal als Teil der Gemeinschaft integriert, wird man als Freund geradezu von Gastfreundschaft und Zuvorkommens überhäuft, so dass es in das andere Extrem abgleiten kann.

Natürlich sind dies alles persönliche Erfahrungen und Wahrnehmungen, die zwar teilweise sicher ihre Legitimität haben, doch in einem Land, dass fast so groß ist wie Europa, mit über 50 Ethnien, noch mehr Dialekten und regionalen Bräuchen, ist es recht schwer eine Allgemeingültigkeit auszumachen. Außerdem war ich noch nicht in jeder Provinz und möchte mich daher nicht zu weit aus dem Fenster lehnen.

China hat schon immer seine Nachbarländer beeinflusst und in den Zeiten der Globalisierung vermischen sich Tradition, Moderne und Fremdeinflüsse. Konfuzius hat mal sinngemäß gesagt, dass man das Rad nicht neu erfinden muss, wenn es bereits etwas gibt, das gut funktioniert. So lassen sich auch die vielen Raubkopien erklären, die für China, als Kollektiv schon immer dazugehört haben. An dieser Stelle könnte ich mich wieder über die Formulierung der Mama Merkel aufregen, die dereinst sagte: „China muss lernen, mit dem geistigen Eigentum so umzugehen, wie wir das gewöhnt sind, denn das ist Raub, wenn man da einfach kopiert.“ Wie wir das gewöhnt sind. Es dreht sich nicht alles um uns. Es gibt noch andere Kulturen und diese westliche Selbstgefälligkeit ist anbiedernd. Wir sind nicht das Reich der Mitte und selbst das würde sich in keine ausländische Innenpolitik einmischen.

Aber Politik soll hier kein Einzug erhalten, denn Politik hat, meiner Ansicht nach, nichts mit Kultur zu tun. Von fremden Zivilisationen kann man vieles lernen und sich neue Ansichten aneignen. Nicht alles mag brauchbar sein, doch alles ist nötig.

Denn ein chinesisches Sprichwort besagt, solange du dem anderen sein Anderssein nicht verzeihen kannst, bist du noch weit weg vom Weg der Weisheit.

Und war der Weg nicht das Ziel?

Zaijian!

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Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag


 Melodia (24.10.12)
vielen dank! eigentlich haben mir alle kolumnen bisher spaß gemacht (okay bei einigen musste ich mich schon nebenher aufregen^^)

ja zuneigung ist durchaus treffend... fühle mich dort sehr wohl.

ich werde schreiben bis mir nichts mehr einfällt^^

der gute Kongzi hat schon viele gute ideen gehabt (nicht nur...)

lg und nochmals danke!
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