Gegenschlag

Verstand vs. Irrsinn


Eine archivierte Kolumne von  Melodia

Dienstag, 13. November 2012, 17:35
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Sie gaben ihre Stimme ab...

Was war letzte Woche nicht alles los! Gleich zwei Länder baten zur Wahl; und nicht irgendwelche Staaten, sondern die beiden Weltmächte, wenn man so möchte. Während die Präsidentschaftswahl in den USA Massenmedien tauglich vermarktet worden ist, wissen viele vermutlich nicht einmal, dass in China der 18.Parteitag zusammenkam, um neue Führungseliten einzusetzen. Mir ist durchaus bewusst, dass „Wahl“ in beiden Fällen nicht zwingend die richtige Wortwahl ist, aber verwenden wir einfachheitshalber den gängigen Begriff.

Der amerikanische Wahlkampf wurde weltweit verfolgt, selbst die Vorwahlen mit ihrem „Super Tuesday“ fand man in jeden Nachrichten wieder. Dabei kam mir der Eindruck, dass es sich viele Menschen zu leicht gemacht haben: Romney der Böse, Obama der Gute. Wie dieses Bild entstehen konnte, ist mir schleierhaft. Deutsche Facebook-Nutzer, die darauf hinweisen, dass sie Obama unterstützen, empfand ich sowohl als unnötig, als auch naiv. Wobei sich sicher beide Kandidaten über jede „moralische Unterstützung“ gefreut haben dürften.

Während sich Republikaner und Demokraten in ihren Werbespots sich gegenseitig beschuldigten und niedermachten, ein Reich der Ausbeutung, respektive des Sozialismus erschaffen zu wollen, konnte ich nur kopfschüttelnd darüber lachen. Ehrlich war keiner von beiden. Zugegeben, Romney, der stockkonservative Millionär, Investmentbanker und Kandidat der Reichen, hatte in meinen Augen niemals auch nur einen einzigen Sympathiepunkt. Doch dass Obama letztlich gewonnen hat, lang meiner Ansicht nach eher an sein neuen Versprechungen und weniger an seinen Leistungen der ersten vier Jahre. Das Schulniveau ist noch immer unterdurchschnittlich, die Infrastruktur ist am Boden. Von der unglaublichen Verschuldung ganz abgesehen, die mit 100% des BIP bereits ein südeuropäisches Verhältnis erreicht hat. Aber sich Wirtschaftsmacht Nummer 1 nennen.

Bei der letzten Wahl schien es Hoffnung zugeben; Obama war motiviert. Heute wirkt der mittlerweile ergraute Mann irgendwie müde und ausgelaugt. Im Land gibt es 8% Arbeitslose, Klima- und Umweltschutz wurden nicht wie versprochen verbessert und selbst Guantanamo existiert noch immer. Für ihn spricht die Einführung der ersten allgemeinen Krankenversicherung, dass er sich vehement gegen die Spaltung der Gesellschaft auflehnt und sich für die Legalisierung der gleichgeschlechtlichen Ehe aussprach. Aus US-Sicht wären da eventuell noch die Tötung Bin Ladens und die Beendigung des Irakkrieges - allerdings finde ich ein Attentat und die Verschiebung der Truppen nach Afghanistan nicht unbedingt lobend. Aber für den Nobelpreis hat es gereicht. Respekt dafür!

Die USA ertrinken in ihrem Kapitalismus. Hightech, Reichtum und Überfluss. Zumindest für die Reichen, wie der Hurrikan „Sandy“ einmal mehr half unter Beweis zu stellen. Oder findet ihr es normal, dass Krankenhäuser evakuiert werden mussten, weil Notstromaggregate nicht ansprangen? Wer Geld hat fährt weder mit dem Taxi, noch verbringt er Zeit in einem öffentlichen Krankenhaus. Es ist eine eigene Welt, die der Schönen und Reichen. Eine drastische Veränderung wäre nötig. Doch die Parteien blockieren sich gegenseitig; im Kongress und im Senat sitzen sie in ihren Schützengräben, während das Volk auf dem Schlachtfeld zugrunde geht. Aber bei uns wurde die Wahl dennoch und mal wieder, als eine Schicksalswahl dargestellt. Über das Schicksal kann man bereits spekulieren.

Das einzige was uns in Europa interessieren könnte, an diesem stetigen Kampf von Not gegen Elend, ist die amerikanische Außenpolitik. Syrien und die immerwährende Kraftmeierei zwischen Israel und Iran könnten globale Auswirkungen haben. Der Wahlsieger wäre für die zukünftigen Geschehnisse jedoch relativ irrelevant, denn egal ob man Esel oder Elefant ist, Krieg und Frieden waren und sind stets Teil beider Parteien gewesen. Und in der Hand von Lobbyisten. Es regieren Geldgeilheit und fanatische Religiosität.

Aber bei uns wird der Wahlkampf zu einem Ereignis emporgehoben, das schlicht gesagt, peinlich ist. So veranstaltete ein Freiburger Lichtspielhaus, Teil einer wohlbekannten Kette, eine „Election Party“: Die ganze Wahl live, inklusive American Buffet. Hauptsache ein Grund mehr gefunden, um sich zu betrinken. Selbstverständlich gegen einen entsprechenden Eintrittspreis. Dass es, trotz aller Schulden, der teuerste Wahlkampf aller Zeiten war, kostspieliger als die Marsrover-Mission, vergisst man nur all zu schnell. Genau wie die Beteiligung von bekannten deutschen Unternehmen, wie z.B. Bayer, in Form von Geldspenden. Man weiß ja nie, womit man noch Geld verdienen kann, nicht wahr? Nebenbei kamen erneut Spekulationen von Wahlbetrug auf, als man in Ohio Wahlmaschinen entdeckte, die stets Romney wählen wollten. Brisant: Sein Sohn hatte kurz zuvor Rechte an der Firma erworben, die diese Maschinen produziert.

Am Ende stand Obama trotz allem da und rief „wir leben im großartigsten Land der Welt“. Dass er sich den Sieg erschummelt hat, scheint niemanden zu stören. Die Menschen lassen sich anscheinend gerne belügen, oder habt ihr bereits Helmut Kohl mit seinen sicheren Renten und blühenden Landschaften vergessen, um nur ein Beispiel zu nennen? Ein einziges Mal, 1979, sagte der damalige US-Präsident Carter die Wahrheit über die Lage im Land. Wie wurde es ihm gedankt? Er wurde nicht wiedergewählt. Nicht, dass Carter jetzt das politische Idealbild sein soll! Allerdings war mir das amerikanische Wahlsystem noch nie geheuer, selbst wenn alles andere korrekt von statten gehen sollte! Das haben sich die Gründerväter damals sicher auch anders vorgestellt!

Weil das alles noch nicht genug ist, haben die USA noch weiter Sorgen. Und zwar die Chinesen, die nicht nur unzählige Staatsanleihen aufkaufen, sondern auch noch ihr Militär aufrüsten. Das größte stehende Heer besitzt das Reich der Mitte ohnehin schon. Und bald auch Atom-U-Boote, mit nuklearer Bewaffnung. Schließlich pumpt China jährlich 80 Milliarden Euro in die Rüstung. Jede Menge, allerdings verstehe ich die USA nicht, die trotz Kürzungen, noch immer mehr als 600 Milliarden Euro in das Militär stecken! Ich hätte da eine Idee wegen der Staatsverschuldung… nur so am Rande.

Aber das sich dadurch die Spannungen und das Wettrüsten im Pazifik nicht gerade verringern, scheint logisch. Das Südchinesische Meer ist Konfliktgebiet zwischen mehreren Ländern, dazu kommen die Ein-China-Politik der Volksrepublik und der jüngst wieder aufgeflammte Streit um die Diaoyu-Inseln zwischen Japan und China. Es geht nicht nur um Fischereirechte sondern auch um vermutete Bodenschätze. Die USA können eventuell hoffen: China bekam letzten Donnerstag eine neue Führungsspitze. Dass sich was ändern wird bezweifle ich jedoch.

Nach zehn Jahren traten der Partei- und Staatschef Hu Jintao, sowie Ministerpräsident Wen Jiabao ab. In der Großen Halle des Volkes, direkt am Platz des Himmlischen Friedens, trafen sich circa 2300 Delegierte und Funktionäre der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) zum 18.Parteitag. Im Idealfall sollte dieser alle fünf Jahre stattfinden, aber wer sich etwas mit der chinesischen Geschichte auskennt weiß, dass dies nicht immer der Fall war. Von daher konnte man sich schon über einen friedlichen und vollkommen durchgeplanten Machtwechsel freuen.

Die neue, 5.Führungsgeneration besteht aus dem bisherigen Vizepräsidenten Xi Jipeng und dem ehemaligen stellvertretenden Ministerpräsident Li Keqiang, die beide einfach aufgerückt sind. Beide gelten als Reformer, wenn auch sehr vorsichtig, sowie als Befürworter einer Weiterführung der wirtschaftlichen Öffnung. Wenn das Marx, Lenin und Stalin wüssten! Doch auf dem, insgesamt ungefähr eine Woche dauernden Treffen wurden unter anderem auch das Zentralkomitee, aus 200 Mitgliedern bestehend, das übergeordnete Politbüro mit 25 Funktionären und dessen Ständiger Ausschuss, die eigentliche, neunköpfige Führungsriege des Landes. Bei circa 82 Millionen Parteimitgliedern und 1,3 Milliarden Einwohnern ein doch recht überschaubarer Zirkel der Macht.

Sollte man zumindest meinen. Denn was in den heiligen Hallen geschieht, entzieht sich dem Auge des Bürgers. Die so genannte „Einheitslinie“ der Partei und ihre Geheimhaltungspolitik verhindert jedwede Einmischung von außen. Kurz gesagt, kein Normalsterblicher Chinese weiß, was genau von statten geht, noch warum. Dies gilt auch für die Spitzenpolitiker. Und wir haben bereits Probleme zu durchschauen, was unseren Staatsmännern durch das wenig Resthirn schießt! Zumindest innerparteilich möchte man wohl etwas „demokratischer“ werden, um Debatten und Entscheidungen zu optimieren. Dazu soll in Zukunft wohl auch der Ständige Ausschuss auf sieben Personen reduziert werden. Klar, je weniger mitreden, desto schneller passiert was; eines der Vorteile einer Diktatur. Dass die Staats- und Parteisicherheit bei aller „Öffnung“ aber stets an erster Stelle steht, brauche ich wohl nicht zu erwähnen. Es wird mehr Geld für Staatssicherheit ausgegeben als für das Militär. Wer’s hat.

Hu Jintao hielt zum Abtritt noch eine lange Rede, in der nicht nur seine politischen Erfolge verteidigt, sondern die Delegierten auch auf die Probleme der Zukunft hingewiesen wurden. Beides erscheint nötig zu sein. Viele Menschen haben Hu kritisiert; seine verpassten Reformen, stagnierende Politik. Seine Amtszeit wurde sogar als „verlorenes Jahrzehnt“ bezeichnet. Und es lässt sich nicht von der Hand weisen, dass sich China in den zehn Jahren zu einer Wirtschaftsmacht entwickelt hat. Allerdings gibt es auch trotz blühender Infrastruktur und noch nie da gewesenem Wohlstand für den Mittelstand auch negative Aspekte. So wurde viel Geld falsch investiert. Außerdem sollte man sich mehr auf dem heimischen Markt konzentrieren, zumal viele ausländische Einnahmen dank der Wirtschaftskrise weggefallen sind. Der Kapitalismus trifft jeden, egal wie viele Sterne man auf der Flagge hat.

China befindet sich in einem ständigen Wandel und hat mehrere Herausforderungen gleichzeitig zu bekämpfen. Es leben 800 Million Bauern im Land und es gibt keine Sozialversicherung. Ähnlich verhält es sich mit den über 200 Millionen Wanderarbeiter, die so gut wie keine Rechte besitzen. Von den verbotenen Gewerkschaften ganz zu schweigen. Auch wenn viele Chinesen zum ersten Mal in den Urlaub fahren können oder ein Auto besitzen, doch die Schere zwischen Arm und Reich ist noch krasser als in den USA: Über eine Millionen Millionäre und vermutlich 600 Milliardäre leben in China. Doch zusammen machen die Reichen nicht einmal 1% der Bevölkerung aus.

China braucht weiterhin ein hohes Wirtschaftswachstum, um Arbeitsplätze garantieren zu können. Doch dieses ist gesunken, von 10% auf 7,4%! Das treibt hierzulande zwar Tränen in die Augen von „Wirtschaftsexperten“, ist für China aber schon fast zu wenig. Hinzu kommt die Korruption, die weite Kreise zieht. So wurden zuletzt das Politbüromitglied Bo Xilai und der Eisenbahnminister Liu Zhijun, auf Grund dessen entmachtet, denn „keine Führungsfigur darf ihre Macht missbrauchen“ und „man muss sicherstellen, dass alle vor dem Gesetz gleich sind“. Dass dabei mit zwei Paar Maß gemessen wird, scheint jedoch gern vernachlässigt zu werden.

Denn die Chinesen fordern immer klarer und vehementer mehr Demokratie, mehr Rechte und mehr Meinungsfreiheit. Allerdings werden wir bei allen Neuerungen und Reformen niemals erleben, dass sich das Land an ein westliches System anpassen wird. Im Kommunismus kommt nun mal die Partei zu erst.

Im Kapitalismus ist es das Geld, aber am Ende geht es nur um Macht und –erhalt. Da vergessen Politiker nur allzu schnell, dass es letztendlich um die Bürger gehen sollte.

Doch diese haben selten eine Wahl. Denn was ist der Unterschied, zwischen von vornherein kein Stimmrecht haben und zwischen Kandidaten wählen zu dürfen, die leere Versprechungen machen, um dann doch nur ihren eigenen Profit raus zuschlagen?

Und zumindest eine Sache könnten wir von den Chinesen übernehmen: Die „Nicht-Einmischungspolitik“ in innerstaatliche Angelegenheiten anderer Länder. Bis dahin kann sich Mama Merkel aber gern über weitere Tötungen von Terroristen freuen.

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