Dienstags bei Inge

Ansichten übers Leben und Sterben und den Rest dazwischen


Eine archivierte Kolumne von  IngeWrobel

Dienstag, 07. Juli 2009, 00:16
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Co-Abhängigkeit

„Mein Name ist Inge, ich bin co-abhängig.“ So stelle ich mich (vor) – dem Rest der Welt. Interessiert es den Rest der Welt? Eher weniger. Warum auch sollte sich jemand freiwillig mit diesem Menschen, diesem Krankheitsbild beschäftigen, wenn es vermeidbar ist?

Suchttherapeuten freilich verdienen daran – so wie ihre Kollegen an anderen Krankheiten verdienen. Ich behaupte jetzt einfach mal, dass es ein relativ leicht verdientes Geld ist: Sie müssen sich die Finger nicht schmutzig machen, es besteht keine Infektionsgefahr, sie machen selten, wenn überhaupt, Hausbesuche, sondern sitzen auf ihrem gemütlichen Arbeitssessel…. und hören zu. Sicher, da ist der Papierkram mit den Kassen zu regeln, um den sich in anderen Praxen die fleißigen Helferlein kümmern. Aber sonst? Wenn sie ein besonders empfindsames Seelchen haben, könnte das zum belastenden Problem werden. In der Regel härten sie jedoch während der Ausbildung ab, denn die ist eine Zeitlang identisch mit der aller Mediziner. Das Problem bestünde also nur dann, wenn ihnen psychische Erkrankungen zu nahe gingen, die psychischen Leiden Anderer Zugang hätten zu ihrem eigenen Leben. Dann nämlich wären auch sie co-abhängig. Das wäre zwar für sie selbst prekär, für den Patienten aber ein Glücksfall. Dieser fühlte sich nun verstanden, wie ihn sonst nur die Mitglieder seiner Selbsthilfegruppe verstehen. Verstehen ist die Basis für Hilfe. Wer den Kampf mit einer Sucht kennt – denn Co-Abhängigkeit ist eine Sucht – weiß, dass es zur Genesung diese Basis braucht. Um von seiner Sucht loszukommen, braucht der Betroffene 99 % feste Absicht und entschlossenes Handeln. 1 % muss als Motivation von nahestehenden Menschen kommen. Solchen Menschen, die das Leben lebenswert erscheinen lassen, für die der Süchtige wichtig ist, und die dem Süchtigen wichtig sind. Das können auch Mitbetroffene sein: Leute, die seine Psyche und damit sein Leben kennen, es selbst modifiziert gelebt haben bzw. noch leben. Sie sind das wandelnde Beispiel dafür, dass es geht, wenn man es wirklich will.

Für einen Co-Abhängigen bedeutet das, dass er sein Leben ändert. Es beginnt im Kopf. Wenn er kapiert hat, was „gesunder Egoismus“ bedeutet, und dass es nicht verwerflich ist, ihn zu entwickeln und anzuwenden, hat er die ersten kleinen Schrittchen in die richtige Richtung gemacht. Das Ziel ist, das eigene Leben zu leben, und nicht das der Menschen, denen man sich verpflichtet fühlt. Wenn man die Verpflichtung sich selbst gegenüber als Aufgabe akzeptiert, geht es leichter, da der Co gewohnt ist, Aufgaben mutig anzupacken – zu helfen. Das oft zitierte „Helfer-Syndrom“ ist ein nettes Wort dafür.
Nach der Erkenntnis folgt ein langer Weg, der meistens von gelegentlichen Rückfällen in alte Denk- und Verhaltensweisen erschwert wird. Aber „der Weg ist das Ziel“ sagt man oft auch in diesem Zusammenhang. Hier stimmt das wirklich, weil das Ziel eine totale Befreiung aus der Sucht wäre….. was nicht funktioniert. Hat jemand dieses „Sucht-Gen“, wird es ihn lebenslang begleiten, wie eine chronische Krankheit. Man kann diese latent lauernde Neigung „in Schach halten“ – endgültig besiegen, schachmatt setzen, jedoch nicht. So ist der fortgeschrittene Grad der Genesung das Ziel. Wenn ich sage: „Mein Name ist Inge; ich bin co-abhängig und auf dem Wege der Genesung.“ habe ich das Optimum erkannt.

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Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag

wupperzeit (58)
(07.07.09)
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