Dienstags bei Inge

Ansichten übers Leben und Sterben und den Rest dazwischen


Eine archivierte Kolumne von  IngeWrobel

Montag, 25. Januar 2010, 22:07
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Ohrwürmer

Kürzlich hörte ich im Radio einen Song, der vor längerer Zeit so etwas wie ein Lieblingslied von mir war. Ein wunderschönes Liebeslied, das manche als Schnulze abtun mögen ... sowas ist Geschmackssache. (Um fragenden PNs zuvorzukommen: es handelte sich um „Kiss from a rose“ von Seal.) Seit der Titel 1994 auf den Markt kam, kenne und liebe ich ihn. Seitdem ich ihn nun kürzlich wiederhörte, habe ich ihn im Kopf. Ich ertappe mich dabei, wie ich ihn summe, singe, denke ... ein Ohrwurm hat sich festgesetzt und geht mir wohl erst wieder aus dem Sinn, wenn er durch einen anderen abgelöst wird.

Menschen behalten Gespräche oder einzelne Worte, Musik oder „Fetzen“ davon manchmal sehr lange im Kurzzeitgedächtnis, wenn sie davon sehr berührt werden. Ebenso ist es mit Menschen, die uns begegnet sind, und die uns auf irgendeine Weise besonders beeindruckt haben.

Ich habe bei mir festgestellt, dass die haptischen, akustischen und optischen Erinnerungen, genau wie die zwischenmenschlichen Wahrnehmungen, die sich mir besonders nachhaltig eingeprägt haben, einen positiven Charakter haben. Das heißt, dass mein Bewusstsein negative Eindrücke und Erfahrungen erfolgreich verdrängt, schneller vergisst, als das, was ich als positiv empfunden habe. Dieses gilt, wie gesagt, für das Kurzzeitgedächtnis.
Ob das bei allen Menschen gleich ist, weiß ich nicht. Bei mir beweist es, dass sich meine neue Einstellung zum Leben manifestiert hat. Ich habe mir nämlich an einem bestimmten Datum vorgenommen, ab sofort nur noch positiv zu denken, nur noch „Schönes“ an mich herankommen zu lassen.
Das hat anfangs nicht gleich geklappt, aber nach und nach ging das immer besser. Einen Fortschritt in solchem Bemühen erkennt man am besten, wenn altbekannte Probleme auftauchen. Wie man damit umgeht, was man empfindet und wie man darauf reagiert, zeigt deutlich, ob man dazugelernt hat, oder nicht.

Gestern erhielt ich den Anruf eines Freundes, in dessen Leben ich mich inzwischen sehr gut auskenne. Ich kenne seine beruflichen Probleme ebenso, wie die familiären. Für mich war es immer ein Zeichen des Vertrauens, dass er mir alle schlimmen Neuigkeiten in seinem erbarmungswürdigen Leben servierte – mich als Seelenmüllschlucker benutzte. Ergeben hörte ich stets zu, und hatte noch lange nach diesen Gesprächen daran „zu knabbern“, da ich ja offenbar nichts tun konnte, ihm aus seiner misslichen Lebenslage herauszuhelfen.
Gestern nun wurde mir klar, wie fortgeschritten doch schon mein Genesungsprozess ist: weg vom mitleidenden, allesverstehenden Gutmenschen hin zum freundlichen, allesverstehenden aber gesund dickhäutigen Egoisten.
Nachdem ich also den neuesten Stand der alten Lage geduldig zur Kenntnis genommen hatte, fragte ich meinen guten Freund nach etwas Positivem. Und siehe da: das gab es auch – es war also doch nicht alles nur noch schlimmer geworden. Er brauchte allerdings eine erstaunlich lange Zeit zum Nachdenken, bis ihm was einfiel.
Er war es gewohnt, das Gespräch mit Jammern und Wehklagen zu beenden. Das war in all den Jahren zuvor für ihn wohl eine Erleichterung, für mich aber eine Belastung. Nun, nachdem ihm dann doch noch Erfreuliches aus seinem Leben eingefallen war, konnten wir das Gespräch mit einem Lachen beenden. Ich bin mir sicher: so hat es uns beiden besser gefallen.

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Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag


 Dieter_Rotmund (26.01.10)
"...weg vom mitleidenden, allesverstehenden Gutmenschen hin zum freundlichen, allesverstehenden aber gesund dickhäutigen Egoisten."

Schön. Aber nur weil man kein Gutmensch ist, heißt das noch lange nicht, daß einem alles Mitgefühl verloren gegangen ist...

 IngeWrobel (26.01.10)
Mitleid und Mitgefühl sind nicht identisch.
Inge

 BrigitteG (26.01.10)
Nunja, in diesem Fall ging für mich um das Thema: "Der Andere fühlt sich eh immer schlecht (irgendein Hobby hat ja jeder). Für gewöhnlich fühle ich mich nach einem Gespräch mit ihm auch nicht gut. Wenn ich also eh nichts an seinem Zustand ändern kann, dann kann ich mich auch darum kümmern, dass es mir gut geht."
Und auch, wenn es zynisch klingt: manche Menschen benutzen wirklich Andere nur, um jemanden zum Zuhören zu haben, um Druck abzulassen. Und danach geht es weiter wie bisher, solange, bis wieder Druck da ist. Dann wird wieder das Gespräch gesucht.... Ich habe das im Bekanntenkreis erlebt, und brauche das nicht.
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