KLICKS UND CLIQUEN
Synthesen + Analysen in der Matrix
Eine Kolumne von Bergmann
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Ulysses
864. Kolumne
Zurechtgelegt habe ich mir nun James Joyce, ULYSSES. Das wird wohl wieder ein Großprojekt.
Ich wollte die großen Werke alle mal lesen, und nun schaffe ich es sogar. Ansonsten unterbreche ich immer wieder mal die schwere Lektüre mit sehr unterhaltsamer. Entscheidend ist, dass wir lesen, was uns gefällt, interessiert und unterhält, und so kannst du gar nichts Falsches lesen. Denn ob ich es lesen würde, spielt keine Rolle. Das Lesen ist sehr abhängig von allzuvielen Umständen, in denen sich einer befindet. Meine Liste enthält auch einige flache Titel, vor allem IMPERIA von Joachim Zelter, dessen erstes Buch, BRIEFE AUS AMERIKA, ich durchaus schätze, und du hast es auch gelesen vor über 20 Jahren.
In den ULYSSES finde ich langsam hinein, ich muss viele mir unbekannte Details aus der Odyssee und Wörter nachschlagen. Ich bin jetzt im vierten Kapitel und durchschaue immer besser Plan und Struktur des Romans, so dass mir jetzt schon klar ist, dass die Behauptung deines Hürther Kollegen geradezu abstrus ist - er hat wohl die Bemerkung Joyce' aufgegriffen, dass er Dublin ein Denkmal setzen wollte und dass spätere Zeitalter mit Hilfe des ULYSSES Dublin 'rekonstruieren' könnten. Aber das hilft gar nichts, um die Anspielungen und Entsprechungen im Hinblick auf die Odyssee und die irisch-englische Geschichte und vieles andere zu verstehen. Egal. Die allmähliche Entzifferung des Romans macht mir Freude.
Mein ULYSSES-Projekt wird noch dauern. Ich habe jetzt über 400 (von 1015) Seiten gelesen und einigermaßen verstanden, manche Passagen sind anstrengend, dann aber folgt oft Heiteres. Dublin und Irland und die Iren werden insgesamt liebevoll-kritisch, teils aber mit ätzender Kritik bedacht, vor allem politisch und die Lebens- und Denkweise betreffend: Dummer Patriotismus, opportunistische Unterwerfung, englische Herrschaft, Antisemitismus, Stammtischidiotie, ... aber auch ganz allgemein werden existentielle Mängel der Menschen schlechthin bedacht, diese oft mit Humor, beißendem Spott ... ach, es sind viele Themen. Ich hätte dafür die Odyssee-Folie nicht gebraucht, andererseits gewinnt der mit Homer aufgewachsene Leser noch eine weitere, teils satirische, teils archetypische Ebene menschlichen Seins.
Über die mythologische Folie, die Joyce seinem ULYSSES unterlegte, bin ich informiert. Joyce hat sie einem Freund verraten, und durch diesen ist sie später bekannt geworden und bot nun für die philologische Forschung große Anreize. Aber sie sind für das Verständnis des Romans nicht primär wichtig - es ist eine subtiele Spielerei, okay, aber ein Telemach und ein Odysseus und eine Kalypso bzw. Penelope springt da nicht wirklich heraus. Man kann natürlich sagen: Joyce hat den Odysseus (und entsprechende Gesänge der Ilias) heruntergebrochen auf die normalbürgerlichen Verhältnisse unserer heutigen gesellschaftlichen Verhältnisse. Die Bezüge sind oft weit hergeholt, also kaum erkennbar. Und es kommt auf sie nicht so sehr an. Viel wichtiger ist die neu wirkende Erzählweise, die in ihren Einzelheiten nicht neu ist, aber in ihrer Massierung und Intensivierung so noch nie da war, und ihre Wirkung auf die moderne Literatur ist weit größer als die Wirkung auf die ULYSSES-Leser. Groß ist das parodistische, satirische Erzählen. Ich muss oft lachen. Enorm ist die sprachliche Varianz (Wortwahl, Syntax, stream of consciousness, Neologismen, Anspielungen, ...), auch die Verweigerung einer konventionell spannenden Handlung. Für die Zeit von 1922 war es etwas Besonderes, einen Juden zur Hauptfigur zu machen; dieser Aspekt spielt eine Rolle, aber keine große. Der nichtirische Leser wird nicht gleich merken, dass der Roman die Iren und Dublin zwischen den Polen von Hass und Liebe (vielleicht eine spezielle Form der Trauer über ein damals noch unfreies Volk) darstellt. (So gesehen sind die topografischen Einzelheiten nur von geringer Bedeutung.)