BlackHört

Un-Erhörtes aus der Musikwelt


Eine Kolumne von  BLACKHEART

Mittwoch, 10. Oktober 2012, 19:15
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Musik aus 1001 Nacht

Der Islam.
Die jüngste der 3 großen abrahamitischen Weltreligionen.
Die bis dato aktuellste (3.) Erneuerung des Bundes, den Gott dereinst mit Adam schloss.
Die 1. Erneuerung schloss Gott mit den Menschen, indem er Moses die 10 Gebote diktierte. Dies ist die Grundlage des jüdischen Glaubens.
Die 2. Erneuerung schloss Gott mit den Menschen, indem er seinen eingeborenen Sohn unter ihnen wandeln und wirken ließ. Die ist die Grundlage des christlichen Glaubens.
Die 3. Erneuerung schloss Gott mit den Menschen, indem er Mohammed den Koran schreiben ließ, der laut eigener Aussage als perfekt und vollkommen gilt (in Bezug auf Religion zumindest). Dies ist die Grundlage des islamischen Glaubens.
Und mit genau diesem und seinem Bezug zur Musik will ich mich heute befassen.

Bei meinen Recherchen für diese Kolumne bin ich auf einen sehr interessanten Umstand gestoßen. Offensichtlich gibt es innerhalb der verschiedenen Strömungen des Islams Uneinigkeit darüber, ob Musik und Gesang haram (verboten) sind oder nicht.
Im Koran selbst stehen zwar viele Verbote (z.B. der Verzehr von Schweinefleisch), aber Musik und Gesang werden mit keiner Silbe erwähnt. Stattdessen findet sich folgende Passage:

34:10 Und fürwahr, Wir verliehen David Unsere Gnade: «O ihr Berge, singet mit ihm (Gottes) Lob, und ihr Vögel (ebenfalls)!» Und Wir machten das Eisen weich für ihn
Demzufolge ist das Singen also nicht nur nicht verboten, sondern sogar ausdrücklich erlaubt.
Wer Gesang und Musik also dennoch verbieten will, handelt gegen das Wort und den Willen Gottes, wie es im Koran festgelegt ist. Und kein Mensch kann verbieten, was Gott nicht verboten hat. (siehe Koran Sure 66:1).

Soweit die Theorie. Doch wie sieht es in der Praxis aus?
Ich werde mir nachfolgend verschiedene Länder aus allen Teilen der islamischen Welt vornehmen und schauen, welche besonderen Saiten dort angeschlagen werden.

Tunesien: EL AZIFET ist ein kleines klassisches Orchester, das nur aus Frauen besteht (eine Seltenheit in der arabisch-islamischen Welt).

Marokko: 1980 nahm Marokko als bislang einziges arabisches Land am Grand Prix Eurovision de la Chanson (dem heutigen Eurovision Song Contest, kurz ESC) teil und belegte mit 7 Punkten den 18. Rang.

Ägypten: Nachdem bis in die 60er-Jahre hauptsächlich klassische Sänger die Musikszene dominierten, entwickelten sich in den 70ern die Shaabi-Musik (Vermischung aus verschiedenen arabischen Musikstilen, sowie britischer und amerikanischer Musik jener Zeit) und der Al-Jil (tanzbare Popmusik mit arabischen Einflüssen). Beide sind bis heute besonders bei den jüngeren Leuten sehr populär.

Jordanien: Hier findet jährlich eins der bedeutensten Festivals für arabische Musik, das "Jerash Festival" statt.

Syrien: Mit GEORGE WASSOUF stammt einer der weltweit bekanntesten arabischen Sänger aus Syrien. Allerdings ist er kein Moslem, sondern Christ.

Irak: Die Sängerin SHADA HASSOUN gewann die 4. Staffel von "Star Academy", dem arabischen Äquivalent zu "DSDS".

Saudi-Arabien: Da das Betreiben von öffentlichen Theatern, Kinos, Schauspielhäusern, Discotheken oder Clubs verboten ist, findet man so gut wie keine moderne Kultur- und Musiklandschaft vor. Lediglich auf dem Dschanadriyya-Kultur-Festival gibt es einmal im Jahr traditionelle Musik und Tänze zu bestaunen.

Vereinigte Arabische Emirate: Hier findet jährlich das bedeutenste Rock-Festival Asiens, das Dubai Desert Rock, statt.

Aserbaidschan: Mehrfach nahmen aserbaidschanische Sängerinnen und Sänger am Grand Prix bzw. ESC teil, wo diese sich auch oft in den Top Ten platzieren konnten. z.B. AYSEL TEYMURZADE & ARASH (2009 Platz 3), SAFURA (2010 Platz 5) und ELL & NIKKI, die den ESC 2011 sogar gewannen.
Im Vorfeld des ESC 2012 in Baku wurde von diversen Menschenrechtsorganisationen die Aktion "Sing for Democracy" organisiert, in deren Rahmen auch ein eigener Gesangswettbewerb abgehalten wurde. Mit den beigetragenen Liedern zu Themen wie Demokratie und Freiheit sollte ein Zeichen gesetzt werden, um auf die anhaltenden Menschenrechtsverletzungen, sowie mangelnde Meinungs- und Pressefreiheit im Land hinzuweisen.

Turkmenistan: Nach dem Ende der Sowjetunion und der Unabhängigkeit im Jahre 1991 wurden sämtliche Kinos, Opern, Theater und Konzertsäle geschlossen und sämtliche Aktivitäten, die zu solchen Einrichtungen gehören, verboten.

Afghanistan: In den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts entwickelte sich dort die moderne afghanische Volksmusik, die auf persisch dargeboten wurde. Ihren Höhepunkt erreichte sie in den 70ern. In den 80ern und insbesondere ab der Machtübernahme durch die Taliban in den 90ern wurde persisch-sprachige Musik und die Nutzung von Instrumenten in der Öffentlichkeit verboten. Es gab sogar Razzien, bei denen gezielt nach Musikinstrumenten gesucht wurde, die auch sofort zerstört wurden.
Lediglich Musik aus der paschtunischen Kultur (der die Taliban angehören) war erlaubt. Diese kam fast ausschließlich aus Pakistan und wurde vielfach nachgespielt.
Viele persische Musiker flohen ins Ausland, wo sie und später ihre Kinder die traditionelle persische Musik Afghanistans mit westlichen Einflüssen (beispielsweise Gitarrengriffen) kombinierten und so heutzutage, nach ihrer Rückkehr, die Musikszene Afghanistans wieder von Grund auf aufbauen konnten.
Bei Jugendlichen ist hier besonders der Hip Hop beliebt, der sich eng an den amerikanischen Hip Hop anlehnt und in persisch, paschtunisch und englisch dargeboten wird.

Pakistan: Neben der (bei Afghanistan) bereits angesprochenen paschtunischen Musik hat Pakistan auch eine große Tradition in geistlicher Musik. Insbesondere die Islam-Strömung des Sufismus (eine asketisch-spirituelle Auslegung des Islam) ist hier zu nennen. Anhänger dieser Glaubensrichtung drücken in ekstatischen Gesängen (Qawwali) ihre "Liebe zu Gott" aus. Der bekannteste Interpret dieser Musik ist NUSRAT FATEH ALI KHAN, der auch westliche Einflüsse in diese Musik integrierte.

Zu anderen islamischen Ländern konnte ich leider nichts finden. Aber ich hoffe, ich konnte trotzdem einen kleinen Einblick in die islamische Kultur und besonders auf die, doch teilweise sehr unterschiedlichen, Formen der Musik und ihres Status innerhalb des jeweiligen Landes eingehen.

Schließen möchte ich mit einem Zitat der RED HOT CHILI PEPPERS aus dem Song "Can't stop": "Music the great communicator".
Denn genau das ist sie. Und wer das nicht verstanden hat, der ist (unabhängig seines Glaubens) ein Vollidiot.

In diesem Sinne:

Haltet die Ohren offen!

Zum Beispiel für meine TOP/FLOP 5 der Sachen, die mir während meiner Recherchen noch aufgefallen sind, bzw. der Gedanken, die ich mir beim Recherchieren gemacht habe:

Platz 5: die Vorläufer unserer heutigen Gitarre stammen aus der islamischen Kultur (z.B. die türkische Saz oder die persische Setar)

Platz 4: Metal aller Arten ist in den meisten islamischen Ländern verboten und wird als "satanisch" angesehen. Trotzdem gibt es in vielen Ländern eine Underground-Szene, deren Mitglieder stets befürchten müssen für mehrere Jahre ins Gefängnis zu kommen oder sogar hingerichtet zu werden.
Hier einige der mutigen Bands, die für den Metal in ihrer Heimat ihre Freiheit und sogar ihr Leben riskieren:

- SCARAB (Death Metal) -> Ägypten
- 1000 FUNERALS (Doom Metal), AHOORA (Thrash Metal), ANGBAND (Power Thrash Metal), EKOVE EFRITS (Black Metal) -> Iran
- 2004 (Black Death Metal), DAMAAR (Black Metal), NIGHTCHAINS (Power Thrash Metal) -> Libanon
- NARJAHANAM (Black Death Metal) -> Bahrain
- GHAUST (Doom Metal, Stoner Rock), HIJIWAEMI (Grindcore), JASAD (Death Metal), PUS VOMIT (Death Metal, Grindcore) -> Indonesien
- BILOCATE (Death Doom Metal) -> Jordanien
- TAARMA (Black Metal) -> Pakistan
- MYRATH (Progressive Metal), VOMIT THE HATE (Death Metal) -> Tunesien
- NERVECELL (Death Thrash Metal) (die wohl bekannteste arabische Metalband, trat dieses Jahr auch auf Wacken auf) -> Vereinigte Arabische Emirate
- ACRASSICAUDA (Thrash Metal) -> Irak
- NU CLEAR DAWN (Melodic Power Metal) -> Syrien

Platz 3: Und obwohl Metal u.a. auch in Saudi-Arabien verboten ist, gibt es da jedes Jahr in Mekka den größten Circle Pit der Welt.

Platz 2: die britische Heavy Metal-Legende SAXON war vor ein paar Jahren (man möge es mir verzeihen, dass ich mich nicht mehr an das genaue Jahr erinnere) ursprünglich als Headliner des o.g. Dubai Desert Rock Festivals bestätigt worden. Aufgrund ihres Songs "Crusader" (Kreuzritter), der in der Regel immer ein Höhepunkt ihrer Shows ist, wurden sie aber wieder gecancelled.

Und das bringt mich zu

Platz 1 und der Frage, ob SLAYER wohl aufgrund ihres Songs "Jihad" größere Chancen bei diesem Festival hätten?

Danke fürs Reinhören.


Euer bin BLACK al HEART

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Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag


 Melodia (10.10.12)
MYRATH ist eine grandiose Band... live noch besser als auf CD!

Ist zwar nicht direkt arabisch, aber israelische Bands gibt es auch sehr gute, wie z.b. BETZEFER und ORPHANED LAND (letztere war Headliner auf dem Konzert mit MYRATH und durchaus auch arabisch angehaucht)

SLAYER hat in Israel auf jedem Fall dank "Angel of Death" schlechtere Karten... so ganz sind die da noch nicht auf den Trichter gekommen, dass das keine Nazis sind...

guter Text

lg

 BLACKHEART (10.10.12)
Danke für den Kommi.

BETZEFER (als Support für SOULFLY) und ORPHANED LAND (bei 70000 Tons) hab ich beide schon live gesehen. Wobei ich sagen muss, dass mir Letztere deutlich mehr zusagen.
Zu ORPHANED LAND hab ich auch in der  EM-Kolumne bei der Türkei schon ein paar Worte verloren.

Israel hab ich in der Kolumne mal aussen vor gelassen, weil es ja um den Islam und islamisch geprägte Länder ging.
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