keinEinhorn

keinEskapismus, keinRosa, keineLiebe.


Die Kolumne des Teams " keinEinhorn"

Montag, 11. Januar 2021, 22:33
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Von Freiheit und Bussen

von  Owald


In diesen Zeiten der Pandemie ist das mit der Freiheit eine noch diffizilere Sache als ohnehin schon. Ein hohes Gut ist sie hierzulande, die Freiheit, und so verleiten Kontaktverbote, Maskenpflicht und nächtliche Ausgangsperren manche Zeitgenossen, mögen sie auch sonst notorische Stubenhocker sein, womöglich dazu, mit zwanzig Facebook-Freunden aus mindestens zehn Haushalten in frostigen U-Bahn-Stationen nächtliche Chorproben abzuhalten, nur um ihre persönliche Freiheit zu demonstrieren und zu verteidigen. Es gibt noch abstrusere Beispiele, aber die sind ja aus den Massenmedien hinlänglich bekannt.

Der größere Teil der Bevölkerung, zu dem ich mich in diesem Falle zähle, versteht die Einschränkungen der persönlichen Freiheit als notwendige Maßnahmen, die dem Schutz der Mitmenschen dienen, in seltenen Fällen gar dem eigenen Schutz. Und so fügt man sich, füge ich mich, murrend, aber nicht ohne einen gewissen Stolz darauf, zur guten Sache beizutragen, in mein Schicksal und verzichte auf Tanzabende, ungefiltertes Atmen und das Recht, meinen Mitmenschen näher als 1,5 Meter zu kommen. Die Gesundheit der Bevölkerung überwiegt die Freiheit des einzelnen, raune ich mir zu und ziehe mir den Rollkragen über die Maske.

Doch auch mich hat es kürzlich erwischt. An einem trüben Dienstagmorgen zwischen Weihnachten und Neujahr saß ich wie immer im Bus auf dem Weg ins Büro, als mich plötzlich eine gänzlich unerwartete Situation herausforderte. Der Busfahrer, „Corona-Held“ von Berufs wegen, wie man aus der Fachpresse weiß, der unerschütterlich seinen Job macht, obwohl er keine Fahrkarten verkaufen darf, und das trotz merklich gesunkener Fahrgastzahlen und bei erheblich vermindertem Verkehrsaufkommen – dieser Busfahrer also nutzte die Chance, an diesem Morgen ohne Verspätung, im einzig wahren Lockdown des Jahres, nämlich zwischen Weihnachten und Neujahr, um an der zentralen Vororthaltestelle eine Pause einzulegen, den Bus zu verlassen und sich am Imbißstand auf der anderen Straßenseite ein Frikadellenbrötchen zu kaufen.

Und so kam es, daß ich plötzlich völlig alleine in einem Gelenkbus mit laufendem Motor saß. Mit einem Mal brach sich mein lange unterdrückter Freiheitsdrang in dem unbändigen Willen Bahn, nach vorne zu laufen, das Steuer zu übernehmen und den – bis auf mich leeren – Bus zu kapern. Ich würde ganz unauffällig die Türen schließen und (Automatikgetriebe sei Dank) so geschmeidig beschleunigen, daß der Fahrer, der sich gerade mit der Imbißverkäuferin über dies und jenes unterhielt, gar nicht bemerken würde, daß es von den vielen Bussen an der zentralen Vorort-Bushaltestelle seiner war, der sich da gerade diskret brummend in Bewegung setzt. Ich würde die Strecke souverän abfahren, die ich ja seit Jahren wie meine Westentasche kenne (wobei ich seit den neunziger Jahren kaum noch Weste trage, aber das ist eine andere Geschichte). Einzig vor der engen Linkskurve an der Kirche würde ich etwas Angst haben, aber es würde mir ja niemand zuschauen, sollte ich den Bordstein unangemessen touchieren. Die Straßen würden frei sein, die Haltestellen menschenleer, und falls wider Erwarten doch eine einsame Gestalt unter einem der rostigen Wartehäuschen stehen sollte, würde ich, die FFP2-Maske inzwischen als keckes Hütchen tragend, die Gestalt dazu zwingen, VORNE einzusteigen. Schließlich würde ich die Endhaltestelle erreichen, lange bevor mich die inzwischen vom etatmäßigen Corona-Helden alarmierte Polizei anhalten könnte. Und wenn die Polizei schließlich an der Endhaltestelle ankäme, würde ich auf einen der anderen leeren Busse zeigen und rufen: Der ist das! Der hat den Bus geklaut!

Während in meinen Gedanken gerade ein Spezialeinsatzkommando den verschreckten Fahrer der Linie 311 aus seinem Bus zog, bemerkte ich, daß ich eingenickt sein mußte, denn ich erwachte davon, daß mein Kopf unsanft gegen die Seitenscheibe prallte. Die Linkskurve an der Kirche. Im Bus roch es nach Frikadelle.

An der Endhaltestelle erreichte ich den Anschlußbus. Dessen Fahrerin blieb die ganze Zeit auf ihrem Platz. Es waren zwei andere Fahrgäste mit im Bus. Ich zog mir den Rollkragen über die Maske.

Die Freiheit des einzelnen ist nicht alles, raunte ich mir zu. Dann stieg ich aus und verbrachte die folgenden zehn Stunden im Büro.

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Kommentare zu diesem Teamkolumnenbeitrag


 Dieter_Rotmund (13.01.21)
Schön!

 Owald meinte dazu am 13.01.21:
Danke!

 Dieter_Rotmund antwortete darauf am 14.01.21:
Ja, leider kann man Kolumnentexte nicht empfehlen.

 Judas (13.01.21)
Wunderbar.

 Owald schrieb daraufhin am 13.01.21:
Dankeschön!

 keinB (14.01.21)
Was nützt dem Wolf die Freiheit, wenn er das Schaf nicht fressen darf?

Hat mir den Tag versüßt. :)

 Owald äußerte darauf am 15.01.21:
Määääh!

Danke!
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