Warmakquise

Kurzgeschichte

von  Rollsen

Dienstag morgen, ich muss heute nicht zur Arbeit, presse mein warmes Gesicht in das weiche Kissen und bin noch richtig aufgewacht, drifte noch zwischen Schlaf und Wachsein, entgleite immer wieder den angenehmen weichen Schlaf zurück, wache immer kurz für einen Systemcheck auf, erkenne dann, dass ich ruhigen Gewissens weiterschlafen darf, genieße es und sinke wieder ins Kissen.

Das Telefon klingelt.

"Ignorieren", denke ich mir.

Es hört nicht auf zu klingeln.

Ich vergrabe mich ins Bettzeug.

Es klingelt weiter.

Kopfkissen über die Ohren.

Es klingelt sturm.

Ich renne hin und nehme ab: "HERRGOTTNOCHMAL!!!"

"Herr H.?" säuselt eine weibliche Stimme in die Muschel.

"JA! Wer ist da?"

"Guten Tag, Herr H., hier ist Jeannine M. von der Telekom..."

"Telekom, Telekom, da klingelt was bei mir... - achja, sind das nicht die Typen, die mich immer dann anrufen, wenn ich krank bin oder Urlaub habe und mir irgendwas anschnacken wollen? Ein besseres Fernsehen, schnelleres Internet, besseres Internet über ein schnelleres Fernsehen oder sowas? Lassen Sie mal raten: Sie rufen mich an, weil...?"

"Äh, ja,...haaaaaben Sie vielleicht Interesse an (sie wird immer schneller) einerschnellerenInternetleitungbeieinemgünstigerenTarifundmiteiner..."

"Nein."

"...Übertragungsgeschw...- was?"

"Nein, ich will nicht. Kein Interesse."

"Aber, wenn Sie..."

"Nein, danke. Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag." K L I C K.

"Na, toll, jetzt bin ich wach. Also, gut, dann kann ich auch genauso gut Kaffee aufsetzen." Ich lasse den Kaffee durchlaufen, ziehe mich schnell an, werfe das obligatorische Zähneputzen noch mit ein, verlasse das Haus Richtung Bäcker, stehe an der Bäckereitheke und will gerade ein paar Loos- und Franzbrötchen kaufen, als mein Handy klingelt. Mein Klingelton ist dieses Lied "Peanutbutter Jelly Time", das zwar sehr nervig ist, ich aber sehr lieb gewonnen habe, weil das auch die Musik ist, die mich immer animieren soll, wenn ich Schreibblockaden habe. IT'S PEANUT BUTTER  JELLY TIME! PEANUT BUTTER  JELLY TIME! PEANUT BUTTER  JELLY TIME! WAYYA WAYYA WAYYA WAYYA, NA THERE IT GO, THERE IT GO, THERE IT GO, THERE IT GO, PEANUT BUTTER  JELLY, PEANUT BUTTER  JELLY, PEANUT BUTTER  JELLY, PEANUT BUTTER  JELLY...- Scheiße, muss das jetzt sein? Alle im Laden, die Bäckereiverkäuferin, die beiden tratschenden Hausfrauen, die Omi mit dem Rollator, die mehr zum Ambiente als zur Kundschaft zu gehören scheint, die kaffetrinkenden Handwerker am Bistrotisch, einfach alle, glotzen mich mit großen Augen an. Ich drücke den Anruf weg, bezahle meine Brötchen und verlasse das Geschäft. Zuhause setze ich mich hin, trinke Kaffee und will mir gerade das mit Mortadella und Käse belegte Brötchen durch den Kopf gehen lassen, als - ja, als mein Telefon klingelt. Ich gehe ran.

"Hallo?"

Stille.

"Hallooo?"

"Ähm, äh, hallo, wer ist denn da?", fragt mich eine Frau.

"Wieso, wer-ist-da? Sie haben doch mich angerufen!"

"Bin ich da mit Herrn H. verbunden?"

"Treffer", sage ich.

"Schönen, guten Tag, Herr H.! Mein Name ist Mandy S. von der Kundenberatung der..."

Ich sage: "Lassen Sie mich raten - Telekom?"

"Ja, genau!" (sie lacht) "HättenSievielleichtInteresseIhrenTarifzuwechs..."

"Tschüss!" K L I C K.

"Diese Pissflitschen", denke ich, "was denken die sich bloß?" und frühstücke weiter. 

Ein paar Stunden später liege ich in der Badewanne und lasse heißes Wasser nachlaufen. Meine schwarze St.-Pauli-Badeente leistet mir Gesellschaft und ich lese ein gutes Buch. Dann klingelt mein Telefon, doch ich lasse es klingeln. Zehn Minuten später klingelt es wieder und ich lasse es wieder klingeln. Zwanzig Minuten darauf klingelt es wieder und ich habe die Faxen dick.

"KANN MAN NICHT EINMAL IN RUHE EIN BAD NEHMEN, OHNE GLEICH GESTÖRT ZU WERDEN!!!???" brülle ich in den Hörer.

"Na, na, na! Wer wird denn gleich unfreundlich werden? Mein Name ich Sandy T. und ich bin von der Telekom und..."

"ACH, WAS SIE NICHT SAGEN? DAS IST JA HOCHINTERESSANT...", sage ich, während ich beobachte, wie sich unter mir auf dem Fußboden eine Badewasserlache bildet.

"...und möchte Ihnen gerne unseren neuen Top-Speed-Zugang zum Internet vorstellen, der..."

K L I C K. 

Etwa eine Stunde später sitze ich in der Straßenbahn und fahre in die Innenstadt. Bevor ich losgefahren bin und nach zwei weiteren Anrufen, habe ich kurzerhand den Telefonstecker gezogen. Plötzlich klingelt wieder das Handy. -...PEANUTBUTTERJELLYPEANUTBUTTERJELLYPEANUTBUTTERJELLY WITH A BASEBALL BAT, PEANUTBUTTERJELLYPEANUTBUTTERJELLYPEANUTBUTTERJELLY WITH A BASEBALL BAT, NA WAYYA WAYYA WAYYA WAYYA, NA, THERE IT GO, THERE IT GO,THERE IT GO, THERE IT GO, NA PEANUT BUTTER JELLY, PEANUT BUTTER JELLY, PEANUT BUTTER JELLY, PEANUT BUTTER JELLY,... -

"VERDAMMTE AXT! WER IST DA?!"

"Hallo, Herr H.", flötet eine Frauenstimme. "Ich bin vom Telekom-Kundenmanagement und möchte Ihnen..."

"LASS MICH IN RUHE, CALLCENTERSCHLAMPE!" K L I C K.   
 
In der Innenstadt angekommen, gehe ich schnurstracks auf das Geschäft von HB-com zu, denn mir ist alles Weitere dermaßen egal, dass ich nicht mehr großartig aussuche und außerdem ist das der regional größte Konkurrent zu meinem Telefon- und Internetanbieter.

"Guten Tag! Ich möchte - wenn es Ihnen keine großen Umstände macht - SO SCHNELL WIE ES NUR MACHBAR IST - meinen Anbieter wechseln!" Ich erzähle der Verkäuferin wie genervt ich von den Werbeanrufen bin und sie zeigt größtes Verständnis. Ab jetzt bin ich nicht mehr Kunde von der Telekom und jeder weitere Anruf von denen, leite ich zu meinem Anwalt weiter. Beruhigt und entspannt verlasse ich das Geschäft und gehe nach Hause. Die folgende Unterhaltung bekomme ich daher auch nicht mehr mit.

"Isser weg?"

"Ja, er ist gerade nach draußen gegangen."

"Er hat mich Schlampe genannt. Soll ich ihn noch einmal auf sein Handy anrufen?"

"Nee, lass mal. Der ist jetzt ganz froh, dass das aufhört. Der steht kurz vor der Explosion und noch ein Anruf und er könnte auf den Gedanken kommen, ihn zurückverfolgen zu lassen. Wir dürfen den Bogen nicht überspannen. Hauptsache ist doch, er ist jetzt unser Kunde. Wieviele haben wir für heute noch auf der Liste."

"Sieben. Zwölf haben wir schon durch und von denen waren drei schon hier im Geschäft."

"Klingt gut. Lass uns ranhalten, bald ist Feierabend!"


Anmerkung von Rollsen:

Eine kleine Schreibübung.  Das Lied...

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Kommentare zu diesem Text


 Dieter_Rotmund (16.09.14)
"presse meine warmes Gesicht"?

 Rollsen meinte dazu am 16.09.14:
Ah, übersehener Flüchtigkeitsfehler. Berichtigt, danke!

 Lluviagata (16.09.14)
Solche Schlampen aber auch! :D

Hab mich amüsiert; Erdnussbutter mit Marmelade! Wer frisst denn sowat!

Liebe Grüße
Llu ♥
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