Ja, ich hatte eine schöne Kindheit und dass ich eine schöne Kindheit hatte, ohne autoritäres Getue und ohne Schläge, mit Eltern, die sich so gut sie es eben vermochten, in mich hineinversetzten, hat mich zu dem Menschen gemacht, der ich heute bin. Das heißt nicht, dass meine Kindheit perfekt war, natürlich war ich in meiner Kindheit auch traurig und wütend, fühlte mich unverstanden oder verstand meine Eltern nicht, aber alle diese beunruhigenden Gefühle waren eingebunden in eine Geborgenheit, die meine Eltern mit ihrer Liebe schufen und einer Wertschätzung und Neugierde, die sie meiner unfertigen Person entgegenbrachten. Meine Eltern hörten mir nicht nur zu, sie hörten mir gerne zu. Wenn ich etwas Falsches sagte, demütigten sie mich nicht, sie gaben mir neue Informationen und nannten mir Argumente. Meine Eltern äußerten sich weder mir gegenüber noch anderen gegenüber abwertend, höhnisch oder hasserfüllt. Sie waren weder auf Besserverdienende noch auf Erwerblose neidisch und sie sprachen in meiner Gegenwart auch nicht schlecht über andere. Schlecht über andere zu sprechen, lästern oder höhnen, galt in meiner Familie als Zeitverschwendung. Über Politik wurde diskutiert, Sachfragen wurden kritisch erläutert, aber einzelne Menschen wurden in Ruhe gelassen. Wie und was jemand aß, welches Auto jemand fuhr, ob jemand den Genitiv beherrschte oder ob jemand gar dumm sei, ging uns nichts an. Interessant in meiner Familie war, wie wir uns selbst verhielten.
Dass ich Schwächeren nichts antat, empfand ich nie als Anmaßung, sondern als Selbstverständlichkeit. Nie einer autoritären Herrschaft ausgesetzt, machte es mir, auch als ich älter wurde, keine Freude, jemandem meine Herrschaft aufzuzwingen. Jemanden zu übertrumpfen, der von vornherein schlechtere Chancen auf Sieg hatte, hätte meinen Ehrgeiz nicht befriedigt, der darauf ausgerichtet war, mich selbst zu übertrumpfen.
Mit diesem Hintergrund ging ich ins Leben und lernte andere Menschen kennen. Menschen, die ich schrecklich fand und langweilig und kalt und steif und autoritär und Menschen, die ich liebenswürdig fand und interessant und warm und beweglich und offen. Es gibt eben beide Typen und auch noch Kombinationen. Natürlich gab es darunter Menschen, die den Eindruck erweckten, sie wollten mich fertigmachen, Menschen, die Macht über mich hatten und sie ausnutzten, Menschen, die gar nicht so viel Macht hatten, aber geschickte Intriganten waren, Menschen, die mir schlechte Ratschläge aufdrängen wollten und nicht müde wurden, mir ihre Urteile reinzuhämmern.
Aber dann gab es auch viele Menschen, die gut zu mir waren, die mir wohlgesonnen waren, die mir halfen, obwohl sie es nicht mussten, die zu mir standen und mich mochten, obwohl ich nicht mehr zu geben hatte, als zu sein, wer ich bin. Nein, ich habe im Leben ganz und gar nicht erfahren, dass immer der sogenannte Stärkere gewinne, dass die Welt ein Vampir sei und alles nur gefressen und gefressen werden. Ich habe erfahren, dass Stärke und Schwäche gar nicht so leicht bestimmbar sind und oft verwechselt werden und dass Mitgefühl und Kooperation mit anderen glücklich macht und daraus eine Stärke erwachsen kann, die jenseits von Konkurrenz ist, im doppelten Sinne.