Bilderrätsel

Dokumentarstück zum Thema Literatur

von  derNeumann

Manchmal ist die Literatur nicht einfach, doch oft sind es die Literaten, die ein Problem darstellen. Oder besser gesagt: sie stellen ein Problem dar, das sie nicht sehen – wollen oder können.
Das könnte mit der üblichen Betriebsblindheit erklärt werden, die bei praktisch allen Schreibern dazu führt, dass Fehler immer und immer wieder überlesen werden. Bis sich dann irgendwann jemand erbarmt und darauf hinweist.
Bei den einfachen Hängern mag das noch gut aufgenommen werden, bei Rechtschreibfehlern etwa. Bei inhaltlichem Durcheinander wird das schon schwieriger und braucht lange Erklärungen. Doch ans Unmögliche grenzt der Versuch unlogische Bilder zu erklären.

Hier ein Beispiel aus einem Romanmanuskript:

Wenn in Dir ne Flaute ist,
weil die Maus die Katze frisst,
dann mach Dir keine Sorgen,
die Flut kommt jeden Morgen.

Die erste Beurteilung war vernichtend: zu flapsig, nicht sprachgemäß (es sollte als Refrain eines – ebenso mäßigen – Liedes in einem mittelalterlich anmutendem und fantasy-angehauchtem Mehrteiler verwendet werden), unlogische Bilder und unoriginell gereimt. Kein Wort von Metrik! Bitte schön: es geht um Künstler, die ordnen alles der Idee unter.
Die Antwort kam postwendend:

„… Also nein, das muss so sein. Der Protagonist singt doch ein Gassenlied, die sind nun mal nicht voller guter Reime und wirken oft nicht zeitgemäß. Und ein unlogisches Bild ist da nicht drin. Muss ich Ihnen die Bedeutung erklären?“

In solchen Fällen muss man die Zähne zusammen beißen und schlucken (nicht gerade Alkohol, aber auch das kann nach solch immer wieder kehrenden Gequatsche nötig werden; - zumindest behaupten das die Alkoholiker unter den Lektoren. Aber warum fangen die schon morgens damit an?). Ich bevorzuge Kaffee.
„Sehr geehrte Frau Naseweiß,
Sicherlich liegen Sie mit Ihrer Einschätzung nicht falsch. Immerhin sind es Ihr Geschichten und Ihre Charaktere, über die wir gerade reden. Aber denken Sie nicht, dass sich unter der Begründung Gassenlied praktisch alles setzen ließe? Da brauche ich mir in Zukunft gar keine Gedanken mehr über solche Passagen machen. Oder?
etwas muffig, der Herr Neumann“

„… So war das wirklich nicht gemeint. Ich wollte nur den flapsigen Aufbau erklären und die parodistisch gemeinten Reime. In dem eigentlichen Aufbau kann ich aber keine Unlogik erkennen.“

Ja, manchmal fällt einem beim Lesen der Post glatt die Mimik in den Morgenkaffee. „Noch Zucker?“ – „Nein danke. Ich habe schon zwei herunter gezogene Mundwinkel und drei Würfel Fassung drin. Aber ein Schluck Selbstbeherrschung wäre fein.“
„Sehr geehrte Frau Naseweiß,
über die zweite Zeile möchte ich gar nicht reden. Die ist sicherlich eine Frage des Geschmacks und erschließt sich in ihrem Inhalt (trotz gedanklichen Hüpfers). Aber schauen Sie sich einmal das Bild mit dem Gegensatzpaar Flaute-Flut an. Da hat sich im Eifer des Gefechts etwas eingeschlichen, das nicht funktioniert.
etwas ruhiger geworden, der Herr Neumann“

„… Nicht funktioniert? Was soll denn das heißen? – Flaute und Flut widersprechen sich eindeutig und sind darum gut geeignet ...“

Hatte ich den Morgenkaffee erwähnt? Es kann passieren, dass er verkleckert wird, wenn einem die Gesichtszüge entgleisen.
„Sehr geehrte Frau Naseweiß,
von Flaute ist die Rede, wenn Windstille herrscht. Das ist Seglersprache und hat nichts mit Ebbe und Flut zu tun. So könnte als Gegensatzpartner vielleicht der Sturm genommen werden oder der Orkan, vielleicht auch ein Wirbelwind oder etwas Vergleichbares.
zittrig, der Herr Neumann“

am Telefon: „… Papperlapapp, das hat alles mit Wasser zu tun und mit dem Meer. Außerdem versteht doch jeder, was gemeint ist.“

Beim Telefonieren hilft es leider gar nicht, sich für den Postkonsum einen Kaffeebecher mit Deckel angeschafft zu haben. Und auch die neuen Telefone mögen Sprühnebel aus hellbraunem Zuckersirup gar nicht.

„Sehr geehrte Frau Naseweiß,
es geht nicht darum, was jeder versteht, sondern darum, was dort steht. Sie können selbstverständlich immer mit dem allgemeinen Verständnis argumentieren, aber dann brauchen Sie kein Lektorat mehr. Im allgemeinen Verständnis werden die meisten Schnitzer eh überlesen. Verstanden wird das, was der Leser verstehen will. Kennen Sie diesen Spruch?
Noch einmal:
1. Flaute = Wind / Flut = Meer, Wasser
2. Flaute = unregelmäßig auftretend und (anscheinend) keiner Regel folgend / Flut = zyklisch auftretender Teil der Tiede (dementsprechend ist die Flut auch nicht immer morgens, aber das ist eine andere Sache)
ein neues Telefon brauchend, der Herr Neumann“ 

„… Das leuchtet mir gar nicht ein. Es wird doch absolut klar und die Sache mit dem Wind und Wasser interessiert doch keine Sau. Wollen Sie mich verarschen?“

Deckel auf Kaffeetassen helfen gegen das Schwappen, das dem Erschrecken folgt. Nicht geeignet sind Deckel bei abstürzenden Bechern oder zum Schutz von Tastaturen. Da ist leider Fassung verlieren gleich Deckel verlieren.
„Sehr geehrte Frau Naseweiß,
wie kommen Sie denn auf so eine Idee? Ich versuche Ihnen nur klar zu machen, dass Gegensatzpaare auch zum gleichen Gegensatz gehören sollten, soweit sie etwas aussagen sollen. Da reicht es nicht, dass etwas ähnliches ausgesagt wird. Sie würden doch auch nicht warm/kalt und nass/trocken mischen wollen, nur weil sie in manchen Fällen ins gleiche Bild passen.
diesmal eine neue Tastatur brauchend, der Herr Neumann“

„… Meine Herrn, Sie stellen sich ja vielleicht an. Bilder zeichnen sich nun einmal durch ihren bildhaften Charakter aus. Da ist das Mitdenken des Lesers gefordert.“

Manche Argumente sind einfach nicht tot zu bekommen. Lieblingsargument fauler Schreiber: „Der Leser weiß schon, was ich sagen will.“ – Nein, weiß er nicht. Woher denn auch? Saugt er sich das etwa aus dem Äther? – Der Leser liest entweder das, was er lesen WILL – dann ist Hopfen und Malz verloren – oder er liest das, was der allgemeinen Mode entspricht – oder er liest, was im Text steht. Letzteres kann ein ziemlicher Mist sein.
Übrigens nutzen Strohhalme überhaupt nicht gegen Prust-Attacken. Diesmal war zusätzlich zur Tastatur auch noch der Bildschirm fällig. Es brutzelte und qualmte, dann kam die Kaffeeverbot-am-Schreibtisch-Weisung vom Chef, gefolgt von bösen Blicken der Kollegen. – Na ja, wer braucht schon Freunde am Arbeitsplatz!
„Sehr geehrte Frau Naseweiß,
letztlich ist es Ihr Werk und Sie entscheiden, ob es logisch ist oder nicht. Für eine Prosaschreiberin ist die Lyrik oft nur ein willkürliches Wortspielen und keinen Regeln unterworfen. Sie werden den Stellenwert in Ihrem Werk schon einschätzen können.
leicht gemobbt, der Herr Neumann“

„… So arrogant kann ja wohl nur jemand reden, der selber nicht schreibt. Machen Sie es erstmal besser, dann höre ich mir ihre Kritik auch wieder an …“

Die Mathematik hat den Vorteil, dass Fehler (fast immer) zu einem falschen Ergebnis führen, das eindeutig nach richtig/falsch oder funktioniert/funktioniert-nicht geprüft werden kann. In der Literatur klappt das nicht, da jeder Mensch die Sprache anders versteht, - was übrigens in so ziemlich jeder lesbaren Interpretation zutrifft.
Nicht zutreffend ist hingegen, dass Tee ein echter Ersatz für Kaffee sei. Außer in einem Drucker: das Brutzeln und Qualmen kam mir bekannt vor. „Neumann! Was habe ich ausdrücklich verboten?“ - „Kaffee.“ – „Jetzt pingeln Sie hier nicht so rum. Sie wissen genau, was gemeint ist.“
„Sehr geehrte Frau Naseweiß,
lassen wir es einfach gut sein. Sie haben Ihre Meinung und ich die meine. Mein Chef hat mir gerade erklärt, dass es wichtig ist auch über das geschriebene Wort hinaus zu denken.
trockene Kekse essend, der Herr Neumann“

Am Ende wurde das Lied noch einmal komplett umgeschrieben. Meinem Chef gefiel der zweite Satz im Refrain nicht.

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Kommentare zu diesem Text


 Alpha (15.08.08)
Ähm, hja ... und nu? Ich weiß nicht recht, auf was ich überhaupt gewartet habe, denn ich habe den Text tatsächlich gelesen und bin am Ende um kein Gefühl reicher. Was hätte ich empfinden sollen? Zustimmung? Verständnis? Mitleid? Bewunderung? Hmmpf.

 derNeumann meinte dazu am 18.08.08:
Frustration?

 Mondgold (15.08.08)
... ich schon hmm. Ich weiß jetzt, daß Du ein aufmerksamer Leser bist. Ist ja nicht immer naheliegend ....
Gut getextet Herr Naseweiß ) LG Mondgold

 derNeumann antwortete darauf am 18.08.08:
Lesen ist eine oft unterschätzte Fähigkeit. ;)

 Dieter_Rotmund (01.08.19)
Etwas arg geschwätzig, müsste man hier und da kürzen, finde ich.

 derNeumann schrieb daraufhin am 01.08.19:
Stimmt sicherlich, ist für mich aber irgendwie wie die originale Version von In-A-Gadda-Da-Vida (die 17-Minuten-Fassung): etwas schwermütig, frustrierend und ohne Drogen schnell langweilend. Da ich den Text eh für mich geschrieben habe, liegt die geraffte Fassung friedlich auf der Festplatte.

Danke für die Rückmeldung und für die sehr richtige Kritik.

 Dieter_Rotmund äußerte darauf am 01.08.19:
Nun ja, da auch die Leser auf kV, einige wenige mutmaßlich drogenfrei, ungern gelangweilt werden wollen, wäre es da nicht angebrachter gewesen, die "geraffte" Version hier online zu stellen? Nur so als Vorschlag für zukünftige Texte.
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