Im Bauch des Wals

Kurzprosa zum Thema Resignation

von  RainerMScholz

Sie sind bei Nacht und Nebel in mein Heim eingedrungen. Sie haben meine Frau vergewaltigt und verstümmelt. Sie haben meine Kinder aus ihren Betten geholt.
Sie haben mich zum Verhör abgeführt.
Ich habe an ihre Menschlichkeit appelliert.
Sie haben mich dabei zusehen lassen, als sie meine Frau geschändet und getötet haben.
Ich habe leise zu Gott gebetet und meine Unschuld beteuert.
Meinen Kindern haben sie Nasen und Ohren abgeschnitten und an die Wand genagelt.
Als sie mich nochmals befragten, konnte ich ihnen nicht die Auskunft geben, die sie wünschten.
Dann haben sie meine Kinder so lange an den Türpfosten geschleudert, bis ihre Körper bis zur Unkenntlichkeit zertrümmert waren. Sie pissten auf die Leichen meiner Kinder.
Ich sah an die Decke, von der eine nackte Glühbirne von einem Kabel hing. Aber Gott sah ich da nicht. Es war nur sehr hell in meinen Augen.
Sie haben mich befragt. Ich konnte nichts antworten, was ihnen Befriedigung verschafft hätte.
Sie haben mir die Zähne mit Gewehrkolben in den Rachen geschlagen. Ich habe alles gesagt, was sie hören wollten. Ich habe auch Dinge gesagt, die sie nicht hören wollten. Dann habe ich Dinge gesagt, die ich nicht hören wollte. Aber es war zu spät, nicht die andere Wange hinhalten zu wollen. Und manchmal lässt Gott, der Gott, der an dieser Zimmerdecke nicht neben der Glühbirne gewesen war, - manchmal lässt dieser abwesende Gott einem keine andere Wahl.
Sie haben mich meinen eigenen Kot essen lassen; sie haben mir die Beine zerschmettert; sie haben gescherzt und gelacht, während sie auf meinem Rückgrat herumtrampelten, das mir bis zu diesem Zeitpunkt immer gute Dienste geleistet hatte.
Sie haben meine Überreste den Schweinen zum Fraß vorgeworfen. Die Schweine haben sie dann geschlachtet und über dem Feuer gebraten, bevor sie sie verzehrt haben.
Als der Gedanke in das Leben tritt, das bis dahin meines gewesen ist, nicht meinen Nächsten lieben zu wollen, geschweige denn, die andere Wange hinzuhalten, bin ich nicht mehr, ausgelöscht, zu Staub geworden und für immer fort.


© Rainer M. Scholz

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