Moped im Korridor

Groteske zum Thema Streit

von  Regina

Zuerst erschienen Ingo die neuen Mieter oben ganz umgänglich, abgesehen davon, dass sie jeden Samstag Party feierten. So klopfte er also, wie sich das für ruhebedürftige Nachbarn gehört, mit dem Besenstiel an die Zimmerdecke. Es half nichts. Nicht nur, dass sie sich nicht schämten, ihre Aktivitäten fortzusetzen, als sei nichts geschehen, sondern sie lärmten nun auch noch donnerstags. Neuerdings tanzten sie Shuffle, auf Originalschuhen mit Stahlsohlen, und zwar nicht nur bis zehn, sondern bis weit nach Mitternacht. Ingo griff daraufhin zur Gegenmaßnahme und spielte während ihrer Partyzeit Klavier, was nicht viel brachte, weil ein Klavier hauptsächlich die Leute belästigt, die unter einem hausen und er im Erdgeschoß wohnte. Da sah er sich also gezwungen, eine Bohrmaschine anzuschaffen, mit der er wahllos Löcher bohrte, nur des Schalles wegen. Seine Küchenwände sahen bald aus wie Schweizer Käse. Prompt erwarb sein Hausgenosse einen Motorrasenmäher. Anstelle des fehlenden Rasens rasierte er damit seinen Wohnzimmerteppich. Sein einziges Ziel war, Ingos empfindliche Ohren zu beleidigen. Bei einem Spaziergang entdeckte dieser einen Tag später drei Pferde auf einer Koppel, die ein Bauer loswerden wollte. Er schaffte sie sich an, um sie im Galopp über den Parkettboden zu jagen. Sie wieherten auch schön laut zum Takt des Synthesizers, den er gegen sein Klavier eingetauscht hatte, weil sich damit dumpf dröhnende Bassrhythmen herstellen ließen. Recht zügig überschlugen sich sodann die Ereignisse. Der Nachbar, unverbesserlich und für den Friedensnobelpreis keineswegs vorschlagbar, besorgte sich ein Moped und fuhr damit durch seinen Korridor, Ingo erwarb einen Presslufthammer, es folgten Planierraupe und Dampflokomotive, schließlich standen Hubschrauber kontra Überschallflugzeug. Auf diese Weise brachten die beiden es zu so ohrenbetäubendem Lärm, dass die örtliche Gehörlosenschule ihren Unterricht als nicht mehr durchführbar meldete und der Fußballverein den Applaus der Fans im Stadion nicht mehr wahrnehmen konnte. Danach ergriffen die anderen Nachbarn im Haus und im Stadtviertel ebenfalls lärmend zu je fünfzig Prozent Partei und zu allerletzt gingen sie zum Drohnenkrieg über, was zur Folge hatte, dass der Nachbar plötzlich mit einem dumpfen Schlag in Ingos Badewanne landete, weil die Decke darüber durchgebrochen war. Als Ingo den Dumpfbold wegen Hausfriedensbruch zur Rede stellen wollte, tat sich unter ihnen ein Krater auf, und sie versanken unter krachenden und berstenden Wänden,  Möbeln und anderen Utensilien der darüber liegenden Wohnungen im Keller. Dort befinden sie sich gerade. Ingo genießt das Jammerbild, das dieser Hornochse von Mitbewohner abgibt, wie er da so zwischen den Trümmern verschiedener Baumaschinen feststeckt. Zwar klemmt Ingo selber zwischen einer Couchgarnitur, einem der Pferde  und dem Presslufthammer, aber der Nachbar sei an seiner misslichen Lage nun mal selber schuld, so Ingo, weil er ihn die ganze Zeit provoziert habe.

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Kommentare zu diesem Text


 Jorge (09.02.15)
Wenn das mal nicht noch eskaliert?!

erheiterte Grüße

Jorge

 AZU20 meinte dazu am 09.02.15:
Wie denn noch? LG

 Regina antwortete darauf am 14.02.15:
Tja, da muss der De-Eskalator kommen.

 niemand (09.02.15)
Ein sehr humorvolles Anpacken der Thematik "Rücksichtslosigkeit" unter Menschen, insbesondere Nachbarn. So was im Kleinen ist auch eine Basis für Kriege. Mit scheinbaren Kleinigkeiten fängt es an und steigert sich. Es ist eine Groteske, aber wer den Menschen kennt, der weiß, das es gar nicht so alltagsfremd ist. Und da sag mir mal einer, dass Menschen Venunftswesen sind, oder solidaritätsfähig. Alles Quatsch.
Einzeln zwar vorhanden, aber die Masse braucht eine Knute, da beißt keine Maus den Gedankenfaden ab.
Mit herzlichen Grüßen, Irene

 Regina schrieb daraufhin am 14.02.15:
Ja, oft ist der Anlass ein nichtiger.

 princess (09.02.15)
Das fände ich jetzt als Hörtext noch einen winzigen Tick spannender.

Liebe Grüße
Ira

 EkkehartMittelberg (09.02.15)
Da soll einer sagen, Streit mache nicht kreativ.^^

 tulpenrot (14.02.15)
Wenn das Schule macht .... *Stirn runzel*
ein sehr gelungener Schmunzeltext.
Du kennst sicher dies hier auch:   Sich nichts gefallen lassen
Liebe Grüße
Angelika

 Regina äußerte darauf am 14.02.15:
Kannte ich nicht, ist auch gut. Eskalation eben.

 Thomas-Wiefelhaus (28.09.20)
Wo bleibt hier die Satire? Wer einmal in der Mietskaserne wohnte, weiß: die blanke Realität!

 FrankReich (21.10.20)
Der Thomas kann da offenbar auf ähnliche Erfahrungen zurückgreifen wie ich und dass Ingo nur provoziert wurde ist doch offensichtlich, denn was hineingeht (Ingo) muss raus (Output).
Ciao, Frank

 eiskimo (21.11.20)
Ich habe als letzte Waffe gegen chronisch hypertönende Nachbarn eine CD von Mireille Matthieu. Wenn ich die starte und mit dem Titel "Akropolis Adieu" auf volle Wumme stelle, ist Zapfenstreich
Nur so als kleiner Tipp
ungestört grüßt
Eiskimo
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