Mein Danebenjob IV: Ein Haar im Waschbecken und ein Sohn in Afghanistan

Text zum Thema Erwachsen werden

von  unangepasste

Mein zweiter Anlauf, einen studentischen Nebenjob zu finden, war erfolgreich. Ich lernte damals viel, nicht nur, was den Einblick in die Arbeitswelt betraf; vielmehr machte ich auch erste Erfahrungen mit Feindschaften, wie sie in Büros manchmal herrschen.
Wenn es zwar über die Tätigkeit selbst nicht viel zu berichten gab, so umso mehr über den Umgang mit Frau Annerose Knödel. Sie beschäftigte sich in ihrer Freizeit hauptsächlich mit zwei Themen: der Zubereitung von Nahrung – offenbar ein recht brutaler Vorgang – und mit ihrem Balkon. Sie kannte alle Namen der Blumen und wusste deren Farben bis ins Detail zu benennen. Nein, eine Blüte konnte nicht einfach weiß sein; der richtige Begriff war antikweiß oder mandelweiß. Wer „weiß“ sagte, war ein Banause.
Es gab auf der Arbeit zwei Parteien: Frau Knödel und ihre Verbündeten und der Rest. Meine Rolle in dem Zirkus wurde mir zugeteilt, weil ich als Verbündete nichts taugte. Ich war zu zurückhaltend, diplomatisch; ich ergriff nicht lautstark Partei. Außerdem hatte ich eine entscheidende Schwäche: Ich interessierte mich nicht fürs Kochen und, noch schlimmer, ich verstand mich mit der Gegenseite.
Frau Knödel versuchte manchmal, mir Steine in den Weg zu legen. Ich tat, als wären sie schon immer da gewesen, Hindernisse, die man umging. Schließlich war ich erwachsen geworden, vernünftig, nicht mehr das kleine Mädchen, das so einen Stein aufhob und dem Bruder auf die Füße warf. Nein, ich machte einen Bogen und schwieg.
Frau Knödel hatte einen großen Balkon. Außerdem eine schöne Küche. Ihre Wohnung, die ich zu meinem Glück nie sah, hätte eine Hausfrau nicht besser führen können, dessen war ich mir sicher. Einmal lag ein Haar im Waschbecken der Damentoilette. „Das ist ja unglaublich“, sagte Frau Knödel. „Nicht einmal mein Sohn hätte das getan!“
Ihr Sohn war in Afghanistan. „Nein, darüber mache ich mir keine Sorgen“, ließ sie uns eines Tages wissen. Ihre Verbündeten glaubten ihr – oder gaben es vor. Alle anderen sagten nichts. Ob die Frisur eines Soldaten wohl ein Haar im Waschbecken zuließ? Meinen Gesichtsausdruck bei dem Gedanken sah zum Glück lediglich die Wand, geschmückt von einem Blumenbild.

Frau Knödel mochte es nicht, wenn ich allzu früh ins Büro kam. Die erste Stunde wollte sie nur ihre Verbündeten um sich haben, damit sie den Tag in der Küche oder am Schreibtisch mit einem Plausch beginnen konnte. Ich störte sie dabei – nicht nur, weil ich als Teil der Gegenpartei sah, dass sie um diese Zeit noch nicht arbeitete. Nein, vielmehr hemmte sie meine Anwesenheit bei der Gesprächswahl. Doch auch für dieses Problem hatte sie eine Lösung. Schließlich wusste sie, dass ich kein Fleisch mochte. Und sie liebte Fleisch. Gewiss störte es niemanden, wenn sie bei der Zerstückelung eines Tieres etwas mehr ins Detail ging, ein bisschen anschaulicher erklärte, wie sie die Körperteile voneinander trennte, was sie mit den Augen machte oder wie sie die Beine vom Rumpf löste. Ich setzte einen sachlichen Blick auf und vertiefte mich in die Arbeit.

„Können Sie nicht endlich diese Sachen zusammentackern?“, sagte sie plötzlich. „Ich habe schon gar keine Mappen mehr.“ Ich unterbrach meine Tätigkeit und fing an, die Blätter vorschriftsgemäß miteinander zu verbinden. „Nicht so laut, jetzt tackern Sie doch endlich leiser!“ Ob sie es mir nicht einmal vormachen könne? Ich verkniff mir die Frage.

Als sie mir auch damit kaum eine Reaktion abrang, kam ihr ein weiterer Einfall. Frau Knödel war nämlich sehr sensibel. Sie vertrug nicht nur keinen Lärm, sondern auch keine Gerüche – ausgenommen ihr eigenes Essen natürlich. Mit der Kollegin aus dem gegenüberliegenden Büro, ihrer Erzfeindin, stritt sie sich regelmäßig über deren Parfum.
Ich war selbst kein Freund von starken künstlichen Düften. Einmal hatte mir mein Freund eine Flasche Parfum geschenkt, doch ich hatte sie nie verwendet. Es hatte Jahre gebraucht, ihm beizubringen, dass ich nicht wie andere Frauen war. Parfum war schließlich ein praktisches Geschenk. Und alle Frauen freuten sich, oder nicht? Einmal lag auf dem Gabentisch ein Päckchen. Heraus kam eine Creme – mit Parfum. „Das ist doch etwas anderes, probier es mal aus“, sagte er. Ich hasste diese Creme, nur ihm zuliebe benutzte ich sie und auch nur an den Beinen, wo ich sie am wenigsten roch. Als sie leer war, war ich erleichtert. Er auch, denn er wusste wieder ein Geschenk für mich: eine Creme mit Parfum.
Eine dritte Tube gab es jedoch nicht mehr. Schließlich kannte mich mein Freund gut genug, um zu sehen, dass die üblichen Frauengeschenke, teure Düfte und Schmuck, nur ungeliebt in einer Schublade verschwanden. 
Warum das so war? Ich weiß es nicht. Mein erster Freund konnte sich nie daran gewöhnen, glaubte bis zum Schluss, man müsse mich nur heftig genug dem Geruch aussetzen, dann würde ich Gefallen daran finden. So nahm er eines Tages in einem Anflug von Wut – davon hatte er viele – eine Flasche aus dem Bad und sprühte auf mich ein. Den Pullover konnte ich nie wieder mit einem guten Gefühl anziehen, denn der Gestank verschwand auch nach der Wäsche nicht.

Eines Morgens schaute mich Frau Knödel mit gespieltem Entsetzen an. „Haben Sie Parfum genommen?“ Ich verneinte, erzählte ihr sogar von der Abwesenheit dieses für die meisten Menschen so wichtigen Gegenstandes in meinem Bad.
Ich wusste, wovon Frau Knödel sprach. Dennoch verstand ich sie nicht, denn keine ihrer Feindinnen umgab eine Wolke, die tatsächlich Grund zur Beschwerde gegeben hätte. Und doch: „Natürlich haben Sie Parfum genommen!“

Eine weitere Eigenschaft von Frau Knödel: Sie war sehr korrekt. So war es üblich, mit Initialen zu unterschreiben, wenn man einen Arbeitsschritt erledigt hatte. Dafür gab es spezielle Formulare. Alle Kollegen handhabten es so. Eines Tages war sie ganz aufgebracht, dass ich es gedankenverloren den anderen gleichgetan hatte. Was ich denn nur für ein Mensch sei.
An diesem Tag nahm ich die Worte von Frau Knödel zum ersten Mal mit. Ich trug sie durch die Straßen, durch die U-Bahn, nahm sie bis in meine Wohnung. Was war ich nur für ein Mensch? Das Gedicht, das ich dann schrieb, lautet: „Verboten / hat sie gesagt ist mein Name / die Buchstaben die ich schreibe und bin / gefährlich // Namen enthüllen dich / reden von dir / heißt es / ... auf der Straße ... /… an Wagen … / … aber ich bitte Sie … // Und wie ich so dastand / und guckte / fühlte ich mich / langsam / auch nicht erlaubt“.
Vielleicht fühlte sich Frau Knödel moralisch überlegen, sie mit den tadellosen Initialen, sie, deren Vor- und Nachname nicht mit „S“ begannen. Ihr Sohn in Afghanistan – für einen guten Zweck? Ich war meisterhaft darin, keine Fragen zu stellen.

Was ich lernte: In Firmen sind erhebliche Zugeständnisse an Menschen nötig, Zugeständnisse, zu denen die wenigsten im Privatleben bereit wären.


Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind rein zufällig. Wer sich dennoch wiedererkennt und mit dem verwendeten Pseudonym unzufrieden ist, darf unter folgenden Alternativen wählen: Bertilda Besserdich, Doris Sauerbier, Hildburg Ratte, Andrea van der Made, Philomena Schlange, Runhild Bratengeier, Walburga Stichling und Heidegard Hauzu.

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Kommentare zu diesem Text


 Isaban (30.03.18)
Andrea van der Made, definitiv!
Meine beste Feindin hieß Andrea und heißt vermutlich immer noch so, das Luder. Mein Mann heißt Speer mit Nachnamen und nun rate mal, warum ich einen Doppelnamen führe.

Liebe Grüße

Sabine

Kommentar geändert am 30.03.2018 um 09:08 Uhr

 unangepasste meinte dazu am 30.03.18:
Ja, auch einer meiner Favoriten
Speer ist auch gut! Aber der Vorname dazu muss ein bisschen ... äh ... aparter sein, vielleicht könnte man das den Männern zur Auswahl geben (unten schon erste Beschwerden über fehlende Männernamen). Wie wär's mit Fürchtegott Speer als Protagonisten?

 Isaban antwortete darauf am 30.03.18:
*räusper* Du, mein Mann heißt wirklich Speer mit Nachnamen und ich heiße wirklich Sabine mit Vornamen. Ich wählte bei der Eheschließung einen Doppelnamen, Sabine Römmer-Speer, also lautet mein dienstliches Kürzel SR und nicht ... :D

Nee, nehmt lieber einen anderen Protagonistennamen, seid so gut.

Ich habe früher längere Zeit im EMA gearbeitet, da bekam ich (ungelogen) solch herrliche Nachnamen wie Todeskino, Mordhaus, Sinkschiff, Zufall, Aua und Höschen (natürlich mit sch gesprochen, aber mit Vornamen Rosa) zu sehen.
Sätzer (77)
(30.03.18)
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 unangepasste schrieb daraufhin am 30.03.18:
Ach, der ist schön

 Isaban äußerte darauf am 30.03.18:
Warum nicht? Bei der Eheschließung hat das Paar die Wahl, ob es den Namen der Braut oder des Bräutigams als Ehenamen führen will und ob der jeweils andere seinen Nachnamen mit Bindestrich entweder vorweg oder hintenan stellen will (Es kann natürlich auch jeder seinen vorehelichen Nachnamen behalten). Wenn also der Herr Liebes die Frau Knecht heiratet, könnte er nach der Eheschließung durchaus Liebes-Knecht heißen. Sie würde dann allerdings weiterhin Knecht heißen.
RedBalloon (58)
(30.03.18)
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 unangepasste ergänzte dazu am 30.03.18:
Die ist auch gut

 EkkehartMittelberg (30.03.18)
Du schilderst Frau Knödel so genau, dass sie mir wie eine alte Bekannte vorkommt, der man auch nicht immer ausweichen kann,
LG
Ekki

 unangepasste meinte dazu am 30.03.18:
Danke, das freut mich, dass Frau Knödel in dem Text lebendig geworden ist.
Dieter Wal (58)
(30.03.18)
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 unangepasste meinte dazu am 30.03.18:
Andrea van der Made hat wohl noch den erträglichsten Vornamen. Aber eine Frau Knödel interessiert sich mehr für Nachnamen. Und das "du" in "Besserdich" gefällt ihr gar nicht.
Dieter Wal (58) meinte dazu am 30.03.18:
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 unangepasste meinte dazu am 30.03.18:
In dem Text spricht sie mit "Sie". Nur Verbündete dürfen "Du" sagen.
Ob Frau Knödel nicht auch sich selber siezt, so in Selbstgesprächen? Wobei: Sie ist ja ihre eigene Verbündete. Schwieriger Fall
Ich finde auch die Geruchmischung in Vor- und Nachnamen äußerst - äh - naja Aber er vereint wunderbar ihre Interessen.
Dieter Wal (58) meinte dazu am 30.03.18:
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 unangepasste meinte dazu am 30.03.18:
Kligt eklig
Dieter Wal (58) meinte dazu am 30.03.18:
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