Erledigt

Tagebuch

von  poena

Am 4. Tag begannen die Dinge, sich wichtig zu machen.
Meine Tapete öffnete sich nach 30 Jahren des Schweigens. Sie hing im Bad in der Ecke und faselte etwas von Erneuerung. 90 Rollen Klopapier saßen in Reih und Glied mit offenen Mündern vor ihr.

Am 8. Tag kippte die Bügelwäsche lautlos vom Stuhl. Als ich sie fand, war ihr Gesicht bereits völlig zerknittert.

Am 12. Tag geschah nichts Bewegendes. Ich aß nur zuviel beim Warten.

Am 16. Tag rissen meinem Küchenhandtuch die Nerven. Es warf sich völlig durchnässt auf den Geschirrberg.
Gleich danach klappte mein Einkaufswagen zusammen.
(Er führte illegale Mengen an Germ und Gummiband mit sich).

Am 20. Tag kam etwas ins Rollen. Der Läufer kehrte sein Innerstes hervor. Danach brach ein alter Teller endgültig mit mir.

Am 23. Tag kehrte Klarheit ein. Alle  meine Fenster zeigten mir eine verschleierte Sicht auf die Welt da draußen.

Am 24.Tag bekam der Rasen einen Stoppelschnitt.

Gestern verkündete mein rechtes Brillenglas, sein Leben künftig als Monokel führen zu wollen.
Der Lurch klatschte ihm von allen Seiten Beifall.
Ich sehe darüber hinweg.
Es gibt Wichtigeres.



Empfohlen von:
irakulani, nautilus, juttavon, AchterZwerg, Melodia, franky, wa Bash.

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Kommentare zu diesem Text


 juttavon (13.04.20)
Sprachlich und inhaltlich sehr reich. Danke.

HG Jutta

 poena meinte dazu am 03.05.20:
Vielen Dank fürs Mögen!
LG p

 irakulani (21.04.20)
Soziale Distanz, da entsteht eine ganz andere "besondere" Form der Kommunikation. Die ist schließlich nicht auf menschliche Wesen beschränkt )
Gelungen geschilderte Einsamkeit...
L.G.
Ira

 poena antwortete darauf am 03.05.20:
Vielen Dank für deinen Kommentar. Ja wirklich, nach 51 Tagen kenne ich jetzt die Probleme, die ich und mein ganzes Klump hier zuhause haben. Im Übrigen hat der Rasenmäher den Bürstenschnitt übelgenommen. Vielleicht war er auch gekränkt und wo der eine (Rasen) lustig weiterlebt, hat der andere (Mäher) den Geist aufgegeben. Fast wie im echten Leben...
Herzlichst poena

 Alazán (21.12.21, 10:44)
"Ich aß nur zuviel beim Warten." ist das Stärkste hier - alles andere sehr gut, weil lustig und traurig und alles zugleich in einer alltäglichen schönen Sprache.

 poena schrieb daraufhin am 15.04.22 um 10:44:
Es grüßt und dankt das kugelige Lyr.Ich! LG p

 GastIltis (21.12.21, 11:34)
Liebe poena,
der vorletzte Tag, was nicht ist, kann noch werden.
Und ist sich zu rein aber gar nichts zu schade.
Viele Grüße von Gil

 poena äußerte darauf am 15.04.22 um 10:45:
okay? Danke!;)
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