Der Neger, der Mischling und der Vater

Anekdote zum Thema Annäherung

von  Graeculus

Am Donnerstag von Altweiberfastnacht dieses Jahres wartete ich auf den Bus nach Pforzheim, als ein Schwarzer, etwa 50 Jahre alt, zur Haltestelle kam. Er trug eine Strickmütze in den Rastafari-Farben und rauchte eine Zigarette, die er beim Eintreffen des Busses mit einem Streichholz vertauschte, auf dem er nun kaute. Er setzte sich dann ganz nach hinten, ich eher vorne.

In Dennach geriet der Bus in einen Fastnachtsumzug, und die schützende Feuerwehr informierte den Fahrer, daß er auf keinen Fall durch Dennach fahren dürfe. Wenden und Umleitung waren angesagt.

Nun mußte der Bus zunächst in eine Einbuchtung zurücksetzen, um dann von dort aus in die Gegenrichtung fahren zu können. Mit großem Selbstbewußtsein gab der Schwarze, der ja hinten saß, dem Fahrer die Kommandos. Gut, daß ich – ein blutiger Laie des Autofahrens – nicht den Platz hinten einnahm.

Vor wenigen Tagen wartete ich erneut auf den Bus, und wieder stieß der schwarze Rastafari dazu, samt Zigarette und Streichholz. Ich sprach ihn auf die damalige Szene an, und lächelnd erinnerte er sich. Dann fragte er mich, ob ich in dem Haus gegenüber der Haltestelle wohne. Das konnte ich bestätigen. „Da wohnt auch mein Sohn“, sagte er. „Kennen Sie vielleicht, so ein großer, schmaler Neger.“ „Ja“, bestätigte ich, „das ist ein sehr freundlicher junger Mann.“ „Ich habe auch noch einen zweiten Sohn hier im Dorf wohnen, das ist aber ein Mischling.“ Auch den kannte ich, weil er seinen Bruder häufiger besucht.

Diesmal nahm der Schwarze einen anderen Bus, und wir haben uns freundlich voneinander verabschiedet. Beim nächsten Treffen werde ich ihn einmal auf Reggae ansprechen und darauf, ob er Linton Kwesi Johnson kennt, den ich in diesem Genre besonders mag: als Sänger und als Dichter. Das kann eine interessante Diskussion werden, denn Kwesi Johnson hält, im Unterschied zu den meisten Reggae-Musikern, nichts von der Rastafari-Religion. Aber die erschließe ich ja nur aus der Mütze. Kann auch eine Mütze ein religiöses Kennzeichen sein? Ich bin gespannt auf unsere nächste Begegnung.


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Kommentare zu diesem Text


 Regina (28.03.24, 07:23)
Diese Mützen werden nicht nur von Jamaikanern, sondern auch von Äthiopiern getragen.
Graeculus, was soll das? Nach einer Begegnung mit einer Japanerin, die fast keine war, tischst du uns nun hier eine auf, die du bei der nächsten Gelegenheit intensivieren willst. Vllt. hat der Mann aber gar nichts am Hut mit Reggae. Wieder eine Anekdote mit beinahe keinem nennenswerten Inhalt.

 Quoth meinte dazu am 28.03.24 um 10:06:
Nun, Begegnungen mit andersfarbigen Mitbürgern sind oft sehr interessant, weil sie viel zu erzählen haben, und wenn sie dann noch gut Deutsch können wie in diesem Fall, ist es zumindest informativ. Ich bin gespannt, wie es weitergeht, denn Reggae liebe ich auch. Dass dieser Mensch seinen Sohn einen Neger nennt, ist amüsant: Er hat es nicht nötig, "woke" zu sein!

 Mondscheinsonate antwortete darauf am 28.03.24 um 11:17:
In Wien nennen sich Bosnier und Serben auch untereinander "Jugo". 
Auf Sri Lanka trugen die Jungen auch alle solche Mützen, waren die größten Bob Marley -Fans, die meisten hatten auch ihr Idol irgendwie auf den Jacken, im Auto als Anhänger, auf den Mützen, überall. Es ist eine Religion, sie beten ihn an und man hört ihn auch überall.

 Graeculus schrieb daraufhin am 29.03.24 um 01:59:
An Regina:

Ob und was er mit Reggae (buchstäblich) am Hut hat, das werde ich herausfinden. Interessant ist der Mann für mich, und immerhin enthält diese Begegnung schon ein erstes Gespräch. (Womit ich nichts gegen die mit der Asiatin sagen möchte.)
Falls Du bei einer Anekdote ein Drama erwartest - damit kann ich nicht mehr aufwarten. Die Erlebnisse werden kleiner.

 Graeculus äußerte darauf am 29.03.24 um 02:01:
An Quoth:

Das sehe ich genauso, und ich bin beeindruckt, daß dieser Mensch es nicht nötig hat, woke zu sein. Er strahlt ein ruhiges Selbstbewußtsein aus.

 Graeculus ergänzte dazu am 29.03.24 um 02:05:
An Mondscheinsonate:

Untereinander sind sie oft 'großzügig' mit der Sprache.
In Wien habe ich mal einen Taxifahrer kennengelernt, der sich mir gegenüber umstandslos als Zigeuner bezeichnete. "Sinti und Roma? Quatsch! Es gibt sehr viel mehr Stämme!"
Ich hatte auch immer Schwierigkeiten, meinen geliebten Zigeunerjazz als Sinti-und-Roma-Jazz zu bezeichnet, zumal Django Reinhardt und Hänsche Weiß das niemals so genannt haben.

 Mondscheinsonate meinte dazu am 29.03.24 um 18:27:
Ich gebe zu bei diesem Thema bin ich sehr ratlos. Frage mich auch immer, woher ich jetzt wissen sollte, woher jemand stammt.

 Graeculus meinte dazu am 29.03.24 um 18:37:
Das weiß man oft nicht. Und die Hautfarbe an sich sagt auch nichts darüber. Deshalb sollte man es unbedingt vermeiden, "ausländisch aussehende" Menschen in einem Stummeldeutsch für Doofe anzusprechen. Oder gar - horribile dictu! - zu duzen.

Da hatte ich ein eindrucksvolles Erlebnis vor vielen Jahren, als ein junger Tiefschwarzer durch mehrere Tore in einem einzigen, wichtigen Fußballspiel zu einem Düsseldorfer Star geworden ist ... und anschließend im schönsten Neusser Dialekt Interviewfragen beantwortete.

Und immer darauf achten, wie der andere tickt! Da der Hiesige umstandlos von Negern und Mischlingen gesprochen hat, weiß ich, daß er da nicht sehr empfindlich ist.

Was allzeit ein Beleidigung, die Sprache von Sklavenhaltern gewesen ist: Nigger.

Ich weiß gar nicht, was die Wokeness-Enthusiasten mit Staaten wie Niger oder Nigeria machen.

 eiskimo (28.03.24, 08:12)
Ich finde diese Begegnung schon bemerkenswert (egal ob Mütze richtig zugeordnet oder nicht), schon weil da miteinander geredet wird, und das freundlich. Das ist in dieser Konstellation nicht selbstverständlich.
Die Überschrift in dieser Formulierung wirkt dagegen für mein Empfinden sehr provokant, auch wenn die Wortwahl von dem Mann mit der Strickmütze selber stammt.

 Graeculus meinte dazu am 29.03.24 um 02:07:
Ach, die Freundlichkeit fand ich nicht einmal so überraschend. Warum sollen wir nicht freundlich zueinander sein? Und über die eigenen Kinder spricht ja fast jeder gern. Erststaunt war ich über sein In-sich-Ruhen und seinen ganz unbekümmerten Wortgebrauch.

 Dieter_Rotmund (28.03.24, 11:47)
Nun ja, es wäre ein Konfrontation mit einem Klischee - aber man kann es ja nett und höflich formulieren.

 Graeculus meinte dazu am 29.03.24 um 02:09:
Selbstverständlich. Ich werde bei nächster Gelegenheit vorsichtig sondieren. Die Mütze - das ahne ich - wird er wieder tragen ... und die Zigarette im Mund haben.

 Redux (28.03.24, 17:20)
Mir gefällt dein Text insofern, als dass er verdeutlicht, wie erzwungen wichtig und kompliziert wir mittlerweile korrekte Kommunikation mit Migranten oder Minderheiten erzwingen wollen, wo doch hier in diesem Fall der natürliche und kleine Dienstweg zwischen den Kulturen sich erahnen lässt.

 Graeculus meinte dazu am 29.03.24 um 02:15:
Genau das ist der Punkt, Redux. Eine freundliche Grundeinstellung vorausgesetzt und jenseits dominierender Tabus ist manchmal Überraschendes möglich.

Ich hatte mal einen ebenfalls schwarzen Nachbarn, der sich heftig gegen die Bezeichnung als Afroamerikaner wehrte. Und zwar mit der mir völlig einleuchtenden Begründung: "Meine Vorfahren haben seit 400 Jahren in Amerika gelebt, und zu den Weißen sagt man ja auch nicht Euroamerikaner. Ich bin ein Amerikaner!"

Antwort geändert am 29.03.2024 um 12:17 Uhr

 Mondscheinsonate meinte dazu am 29.03.24 um 18:30:
Eben, aber keine Schwarze ;) sie sind Amerikaner oder Afrikaner oder Asiaten, völlig unabhängig von der Hautfarbe. Der Vergleich mit der Nachbarin hinkt ein wenig, denn sie nimmt ihre Hautfarbe aus dem Gespräch.

 Graeculus meinte dazu am 29.03.24 um 18:44:
Der Nachbarin? Du meinst den ehemaligen Nachbarn?
Als ich merkte, daß er nicht als Afroamerikaner bezeichnet werden wollte, habe ich das halt nicht getan.
Ansonsten war er ein Drogendealer, der immer wieder mal Besuche von der Polizei bekam. Einmal haben die, weil direkt an den Wohnungstüren keine Namen stehen, bei mir geklingelt und dann bei meinem Anblick gesagt: "Ah, Sie können das ja nicht sein." Woher wußten sie's? Eben, wegen der Hautfarbe. Die ist halt ein unveränderliches Kennzeichen, an dem man sich manchmal gut orientieren kann.
Geist von etwas (999)
(29.03.24, 07:01)
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 Graeculus meinte dazu am 29.03.24 um 18:09:

Das woke ist auch Rassimus, nur mit umgekehrten Vorzeichen.

Genau. Und es ist scharf gegen jemanden ... im Geiste angeblicher Versöhnung.
Empfehlenswert ist es, darauf zu achten, wie die konkrete Person (die betroffene!) auf einen bestimmten Sprachgebrauch reagiert. Nicht gemäß einem von außen oktroyierten Sprachschema.
Geist von etwas (999)
(29.03.24, 19:36)
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 Graeculus meinte dazu am 30.03.24 um 16:02:
Mit dieser angeblichen Versöhnung meine ich die Woke-Enthusiasten, die ja behaupten, sie seien für das allgemeine Wohl und die Versöhnung mit den ehemals Entrechteten. Aber sie tun das in einer aggressiven und unversöhnlichen Weise gegenüber ihren Gegnern, etwa durch den (wie auch ich meine: unzutreffenden) Vorwurf: Du bist ein Rassist! Du bist ein Sexist!
Sie benutzen Moral als Waffe.
Geist von etwas (999)
(30.03.24, 17:58)
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