Das Kind und der Sturm

Lebensweisheit zum Thema Glück

von  GroAda



Irgendetwas lag in der Luft.
Mitten im Meer saß ich in einem Boot.
Eine leichte Brise strich mir um die Nase, warm und salzig.
Ich schaute mich um.
Überall Boote.
Dutzende, vielleicht Hunderte.
Manche ganz nah und andere weit entfernt.
Klein und rund sahen sie aus, wie meines.
Papiersegel-Nussschalen, wie von Gott achtlos aufs Wasser geworfen.
Regungslos standen sie, als lauerten sie auf den Knall aus einer Pistole.

In den Booten saßen die unterschiedlichsten Menschen.
Familien, Singles, Paare.
Jung und alt, groß und klein, dick und dünn.
Aber jedes Boot beschäftigte sich ausschließlich mit sich selbst.
Ein Pärchen, das sich still aneinander schmiegte, kreischende Kinder, ein einsamer Angler oder ein Familienvater, der mit fallenden Stricken kämpfte.

Mein Blick schweifte von ihnen weg und zum weit entfernten Horizont.
Dort türmten sich die Wolken mächtig und dunkel, als stiegen sie sich gegenseitig immer höher über ihre Schultern und Köpfe.
Sofort verkroch sich mein Magen in seiner Grube.
Meine Augen aber kletterten zitternd den Mast empor.
Kein Lüftchen bewegte die Flagge.
Kein Hauch, der das Segel hätte aus der drohenden Gefahr schieben können.
Es blieb nur abzuwarten.
Ein zweites Mal ging mein Blick in die Ferne.
Vielleicht überlegte sich das Unwetter nochmals seine Bahn und drehte ab.

In der Nähe sah ich in einem Boot einen alten Freund.
Der ruderte nur mit einer Hand.
Die andere hielt er weit über das Boot ins Wasser gestreckt.
Dort krallten seine Finger sich fest in die Schulter seiner Frau.
Sie war heimlich über Bord gegangen, denn die Tiefe zog sie magisch an.
Starr und leer war ihr Blick.
Schlaff hing sie an Boot und Mann.
Aber egal wie schwer es ihm fiel, er konnte sie nicht loslassen.
Er wollte sie nicht loslassen.
Schweiß trat ihm auf die Stirn.
Sie zurück ins Boot ziehen konnte er nicht, denn er musste rudern.
Er, der Mann, fühlte sich verantwortlich für dieses Boot.
Stets war er mit kräftigen Zügen vorangekommen.
Aber nun schien ihm alles aus den Händen zu gleiten.

Neben ihm im Boot tänzelte keck seine Tochter über die Wanten.
Ein falscher Tritt und sie ginge über Bord.
Obwohl er flehte, hörte sie nicht auf ihn.
Sie war eifersüchtig, dass er sich nur mit ihrer Mutter beschäftigte.
Die Arme weit ausgebreitet und das Näschen stolz in die Höh, balancierte sie auf den Planken und seinen Nerven.

Ich wurde wütend.
Vor uns lag der Sturm.
Fiele das Kind ins Wasser, müsste sich der Vater entscheiden.
Bliebe er weiter bei Ruder und Frau, würde er seine Tochter nie wieder sehen.
Griff er Kind und Ruder, würde er seine Frau an das kalte Grab verlieren.
Ließe er das Ruder los und griff nach Frau und Kind, ginge das ganze Boot im Sturm unter.

Noch herrschte Ruhe.
Ich überlegte.
Sollte ich ihm helfen?
Was würde dann aus meinem Boot und mir?
Könnte ich ins Wasser springen und zu ihm schwimmen, ehe der Horizont den Wind von der Kette ließ?
Obwohl Gott manch böses Spiel mit mir spielte, wusste ich, dass er mich in größter Not nie verließ.

Ich zog Hemd und Hose aus und sprang hinein.
Und kurz darauf war ich auch schon drüben bei ihnen und brüllte: “Willst Du, dass Deine Eltern sterben?”
Das Mädchen zuckte zusammen und alles an ihr erstarrte, als wäre ich eine mystische Sirene und würde teuflische Lieder singen.
“Siehst Du nicht, dass Deinem Vater die Kräfte schwinden?”
Ich deutete auf den Horizont und knurrte: “Deine Spielchen gefährden das ganze Boot. Der Sturm wird es verschlingen."
Das machte Eindruck, und nicht nur bei der Tochter.
Sie sprang zu ihrem Vater, setzte sich artig neben ihn und packte entschlossen das Ruder.
Erleichtert fasste mein Freund mit der zweiten, nun frei gewordenen Hand nach seiner Frau und wuchtete sie ins Boot.
Dort lag sie sicher zwischen Mann und Kind.
Erleichtert strich er seiner Tochter über den Kopf.

Für mich aber wurde es Zeit.
Eine leichte Brise drückte sich zwischen die Boote.
Die Wellen wurden unruhig.
Als ahnten sie, was auf uns zukam, klatschten sie ängstlich von außen an die Bretter.
Schon wurden die ersten Segel eingeholt.
Auf manchen Booten entstand ein geschäftiges Treiben, aber auf anderen träumte man weiter vor sich hin.
Ich brachte meine Habseligkeiten unter Bord, raffte das Segel zusammen und zurrte es gut fest.

Plötzlich ein Windstoß, heftig wie ein Schlag.
Leute schrien.
Die ersten schwachen Boote kenterten.
Aber niemand half ihnen.
Es war zu spät.
Der Sturm klopfte bereits an unsere Schotten.
Wer konnte, verschloss die Öffnungen.
Es wurde düster und kalt.
Einzelne Blitze zuckten frech und steckten ein Boot in Brand.
Um mich herum roch es nach gesalzenen Worten.
Ich sah zum befreundeten Boot.
Es war startklar, die Mutter unter Deck, und Vater sowie Tochter mit hochgezogenen Hemdsärmeln nebeneinander sitzend an den beiden Rudern.

Ein weiteres Mal kontrollierte ich mein Boot.
Da schaukelte es, als wolle es sich über mich lustig machen.
Ich nahm ein dickes Seil.
Das eine Ende befestigte ich am Mast und das andere Ende band ich um meinen Fuß.
Dann legte ich meine Schwimmweste an und setzte mich an die Ruder.
Ein letztes Mal blickte ich mich um.
Nicht viele Boote waren so gut vorbereitet.

Der Sturm fraß sich gierig auf uns zu.
Wie auf einer Achterbahn ging es nun bergauf und bergab.
Masten knickten, Wasser flutete über die Relings.
Es blieb keine Zeit zum Denken, alles lief automatisch.
Das Gebrüll der Männer, das Heulen der Kinder und das Fluchen der Frauen.
Schmale Säulen aus Wasser wirbelten um uns herum, als hielten Kinder ihre Magnet-Angeln in eine riesige Wanne.
Sie hüpften uns nach und überholten uns schließlich.
Dabei schnappten sie nach allem, was in ihre Nähe kam.

Mit einem Mal wuchs das Meer zu einem Gebirge.
Die obere Kante schien den Himmel zu berühren.
Ich legte mich tief hinein in meine Nuss-Schale, denn immer höher stieg sie den Wasserberg empor.
Im freien Fall sauste ein Boot an mir vorbei.
Ich rief meinen Gott.
Aber das Einzige, was er mir sandte, war das Krachen berstender Hölzer.
Ich flehte um Gnade.
Und schon ritt die Welle mit mir hinab.
Mein Boot überschlug sich, landete aber wieder mit dem Kiel nach unten.
Sofort zog ich einen Stiefel aus und begann zu schöpfen.
Anderen Seglern erging es ähnlich.
Jeder nahm das, was gerade zur Hand war.
Konservendosen, Tüten oder die hohle Hand.
Aber jetzt versuchte uns der Himmel zu ertränken.
Wie ein gebrochener Damm schüttete er den Regen in die verbliebenen Boote.
Immer tiefer drückte er uns hinein ins Meer.
Ich schöpfte und schöpfte.
Aber mit jedem Schöpfen verließ mich meine Kraft mehr und mehr.
Erschöpft gab ich auf.

Da stieß die Sonne ein Loch in diese Hölle.
Magisch glitt ihr Licht in Zeitlupe auf uns herab.
Ich starrte auf diesen gleißenden Punkt, der wie eine aus den Wolken sinkende Insel auf dem Meer aufsetzte.
Nun ein weiterer Strahl und noch einer.
Es war, als würde Gott an einem Sicherungskasten stehen und nacheinander die Lichtschalter nach oben drücken.
Flutlichter überall.
Die Wellen beruhigten sich.
Ich schaute in mein Boot.
Mein Stiefel schwamm in einer riesigen Pfütze.
Ich hob ihn auf und goss den Inhalt über den Rand des Bootes. Und mit jedem Eintauchen des Stiefels ins Nass schöpfte ich mehr Hoffnung.
Schließlich riss die Wolkendecke auf, wie ein sich langsam öffnender Reißverschluss.
Die Sonne blinzelte heiter hervor, als ginge ihr dies alles nichts an.
Ich atmete tief durch, setzte mich und dachte:
“ Welch ein Glück! “
Doch solche Stürme können im Leben immer wieder kommen.
Und Seneca flüsterte mir ins Ohr:
“ Glück ist das Ergebnis einer guten Vorbereitung und das Nutzen der Chancen. “











































































































Anmerkung von GroAda:





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Kommentare zu diesem Text


 Oops (09.05.24, 18:05)
:D nette Geschichte bzw. netter Faden mit kluger Pointe :) .

LG Oops

 GroAda meinte dazu am 09.05.24 um 20:23:
Danke dir.

 uwesch (09.05.24, 21:17)
Interessanter Text. Doch es liest sich schlecht so als schmal gefaßter Blocksatz. Warum nicht breiter und damit lesbarer?  So sieht es aus wie ein abgewickelte Klopapierrolle
LG Uwe

 AchterZwerg antwortete darauf am 10.05.24 um 07:30:
. :D

 GroAda schrieb daraufhin am 10.05.24 um 11:58:
Ja, ab und zu kämpfe ich mit der Technik. Ich hatte mal was ausprobiert. Jeder Satz bekam seine eigene Zeile. Ich wollte damit das Tempo anheben. Aber irgendwie ist es bei keinverlag total anders gelandet. Leider bin ich sehr ungeduldig und nicht IT-affin. Ich versuche mich aber zu bessern.
Lieben Dank, dass ihr trotzdem gelesen habt.
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