Vor einigen Jahren – genau weiss ich es nicht mehr, aber es ist schon Ewigkeit her – habe ich meinen ersten Mensch getötet. Aber es war eben dieser Tag – Ende des Weltkriegs Nummer zwei und, per Zufall auch Tag der Mütter, Muttertag.-- so hat man damals den Krieg irgendwie vergessen. Man beschäftigte sich mit den Müttern.
Mir könnte es helfen, das Datum genauer festzustellen, es ist aber nicht der Mühe wert. Ich kann es zu schätzen versuchen, das Haus von der Tochter war noch nicht erweitert, nicht einmal die erste Etappe, weil ich mich an der Terrasse zu sitzen sehe und ein Bier nach dem anderen verschlingen, so einen Schock habe ich gehabt. Eben die Terrasse wurde durch den Anbau von riesigen Wohnzimmer verschlungen, was dann heissen würde, dass es schon gut zwanzig-fünfundzwanzig Jahre wäre, wenn nicht mehr .
Zu dem erwähnten Haus hat uns ein grosser Lastwagen gebracht. Der Chauffeur hat dafür noch zwanzig Franken erhalten. Und ich nahm Zuflucht mit den Bierflaschen auf der Terrasse. Ich konnte mir den ganzen Verlauf noch in Ruhe laufen lassen.
Es war mir eines bewusst: Ich steuerte den Wagen einmal rechts dann wieder links und konnte das Schleudern nicht mehr beherrschen. Das Auto hatte Totalschaden und wir blieben unverletzt. Wir haben die Leitplanke tangiert und endlich blieben wir in der Gegenrichtung stehen. An uns vorbei rauschten unzählige Autos, nur unter dem Wagen war es still. Da lag er.
Aus dem Polizeiprotokoll habe ich unerlaubterweise (unser Anwalt) erfahren – es war doch der Muttertag! – das der unglückliche verliebte Selbstmörder, der mir von der Brücke aus in dem Moment, wann ich gerade beschleunigte, unter die Räder gekonnt sprang, so das wir beide keine Chance hatten – einen Abschiedsbrief auf der Brücke doch noch hinterlassen hat. In dem Brief schrieb er ungeübt und von der Situation belastet: “...liebe Mutter, lege meinen Kopf an einen kahlen Stein und bedecke mich mit einem Ast, dass ich nicht friere…”. Er war ein Kurde und möglicherweise war die Übersetzung nicht gut, jedoch die Aussage war prächtig poetisch.
Bis heute kann ich die Schreie seiner Mutter und seiner Verlobten hören – sie sind auf der Brücke gestanden und waren Zeugen des schrecklichen Vorfalls. Wie sie wohl dorthin gelangten, ist schleierhaft. Es war eine Eisenbahnbrücke und nur ein Ortskundiger kannte den Weg…ich fahre da oft und jedes Mal muss ich daran denken, an meinen ersten Toten.