Eine Weinprobe.

Erzählung zum Thema Absurdes

von  Orion

Ein Briefumschlag ohne Briefmarke liegt im Briefkasten, lediglich unsere Vornamen (A.. und B..) bilden den Adressaten, kein Absender, zum Glück kein Trauerrand.
Daraus schließe ich sogleich messerscharf, dass es sich nur um eine Einladung unverbindlich privaten Charakters handeln kann. Offizielle Einladungen werden ja immer an „Eheleute …“, „Herrn und Frau …“ oder „Familie …“ gerichtet.
Nach ungeschicktem Aufreißen des zugeklebten Umschlages finde ich in seinem Inneren ein DIN-A 4-Blatt mit einer aus großen, lustigen, bunten Buchstaben erstellten Überschrift: „EINLADUNG“.
Die zweite Zeile, ebenfalls in lustigen, allerdings nicht ganz so großen, bunten Buchstaben angelegt, offenbart den Anlass: „Weinprobe bei C... und D…“ leuchtet es grell.
Der nicht durch die üblichen Angaben wie Zeit und Ort und dem Hinweis auf die mitzubringende gute Laune belegte Platz ist mit sprudelnden Sektgläsern, Luftschlangen und Köpfen mit spitzen Hüten umfänglich ausgefüllt.
Sicherlich hat da C... oder D... einige Abende vor dem auf dem heimischen Computer installierten Textverarbeitungsprogramm verbracht, während die/der dabei natürlich immer anwesende und vieles besser wissende Ehepartner/in wohlmeinende aber letztlich doch unerwünschte Ratschläge gab.
„Das wird bestimmt lustig“ sagt meine mitlesende Ehefrau.
Soweit bin ich gefühlstechnisch noch lange nicht.
„Was haben die denn mit Wein zu tun? Ich kenne C... nur mit Bierglas in der Hand und sie trinkt doch kaum was, höchstens mal ein Glas Mädchenbrause.“
Da mir meine Ehefrau die Antwort schuldig bleibt vermute ich, dass auch ihr (ausnahmsweise) die zur Klärung der Angelegenheit erforderlichen Fakten zurzeit nicht bekannt sind, ein Zustand, den sie ganz und gar nicht hinzunehmen bereit ist.
„Ich gehe mal kurz zu E... und F... Bin gleich wieder da.“
Umgehend fällt die Haustür satt schnappend hinter ihr ins Schloss.

Einige Stunden später ist der Fall geklärt. C.. und D.. waren im vergangenen Jahr irgendwo in Süddeutschland in einem Gasthaus und haben dort zufällig eine Weinprobe mitgemacht.
Und auch ein paar Kartons bestellt, weil die eine Sorte „ganz toll geschmeckt“ hat und noch recht günstig war.
Begeistert haben sie daher organisiert, dass der Winzer aus Süddeutschland mit seinem Angebot hierher zu uns kommt und wir –die netten Nachbarn- auch mal probieren können, völlig unverbindlich, ohne Kaufzwang,  natürlich.
„Kannst Du Dich an die Weinprobe mit Loriot und Evelyn Hamann erinnern? Die Sache mit dem pelzigen Gefühl?“ frage ich meine Ehefrau.
„Das war aber ein Film und nicht die Realität“ lautet die Antwort. „Heute ist das alles anders.“

Am Sonnabend um 18.00 Uhr ist es soweit. Alle eingeladenen Nachbarn stehen erwartungsvoll vor der Haustür von C.. und D..,  neben einem dort geparkten weißen Lieferwagen mit auswärtigem Kennzeichen, offenbar dem Weingut gehörend, mit dessen Produkten wir heute Bekanntschaft machen sollen.
Belustigt lese ich die Werbeaufschrift „Pahlhuber & Söhne / Mosterei/Kelterei / 72731 Traubenweil“ und gebe, darauf zeigend,  ein „Original abgefüllt und verkorkt von Pahlhuber & Söhne“ mit der bekannten Geste, nämlich mit der flachen rechten Hand auf die zu einem Brunnen geformte und aufrecht gehaltene linken Hand schlagend, zum Besten.
Die verständnislosen Gesichter meiner Nachbarn zur Kenntnis nehmend schiebe ich umgehend den Hinweis: „Loriot? Weinprobe?“ nach, ernte ein „Hä?“ bzw. „Was?“ und bin heilfroh, dass sich
in diesem Augenblick die Haustür öffnet.
Nach pflichtgemäßen Umarmungen und routiniert geheuchelten Nettigkeiten drängeln wir uns an C.. und D.. vorbei gespannt und neugierig ins Wohnzimmer.

„Guten Abend, liebe Gäste, i bin die Martina und dös ist der Horscht, sag’n ma gleich alle „Du“ zueinand‘, oder?“ begrüßt uns dort eine hübsche junge Frau im Trachtenkleid, neben dem mit dämlichem Lächeln und einer speckigen knielangen Lederhose ausgestatteten Schönling namens Horscht stehend.
Mit dem Satz: „Ja, was seid’s ihr alle so wunderhübsche Mad’ln, eine schöner wie die and’re!“ prescht Specklederhosen-Horscht breit grinsend auf die Nachbarinnen zu, fragt jede: „Wie hoasst denn Du, schönes Fräulein?“ und verteilt nach Nennung des mit unsicherer Stimme genannten Namens sabbernde Bussis, dabei den jeweiligen Nachbarinnenkörper heftig schnaufend an sich pressend.

Die Gemütslage der anwesenden Männer wird durch Martinas Aussage: „Ja ja, meine Herren, da passt’s mal hübsch ordentlich auf eure Frauen auf. Der Horscht, das ist ein ganzer Schlawiner. Der kann seine Finger nicht bei sich behoid‘n. Und die Damen machen’s ihm aber auch immer so leicht, muss ich sagen, so fesch, wie er ausschaut mit seinem Wams und der Lederbuxn. Also: Obacht, Herrschaften!“ in Sekundenbruchteilen extrem negativ beeinflusst.
Unauffällig einvernehmliche Blicke tauschend setzen wir Männer uns dicht neben unsere Frauen, den schönen Grinse-Horscht dabei genau im Auge behaltend.
Ehrlich gesagt kein guter Auftakt für eine lustige Weinprobe.

Ich habe da gleich zu Anfang eine Frage: „Sagt mal, Martina und Horscht, eure Aufmachung und Sprache wirkt sehr bayerisch, aber das Weingut ist jedoch in Baden-Württemberg ansässig. Wie passt das zusammen?“ Die anderen Gäste nicken zustimmend.
„Oho, ein ganz ein Schlauberger ist da unter uns. Ist jedoch in Baden-Württemberg ansässig! Wie passt das zusammen?“ äfft mich der schöne Horscht keifend nach. „Das soll euch damischen Deppen doch egal sein, wie ma rumlaufen. Kauft’s einfach die Plörre und haltet …“.
Hier unterbricht ihn Martina: „Horscht, zügle Dein Temperament. Eine oder zwei von die Damen wirst schon noch flachlegen heut Abend. Solang bleibst mal still, Du oider Hengst, Du wilder!“
Horst scheint für den Augenblick beruhigt zu sein, das eingeladene Nachbarkollektiv ist es verständlicherweise nicht.
Martina nickt C… aufmunternd zu, die sofort damit beginnt, Gläser aus einem Karton an die Gäste zu verteilen.
„Gell, Horscht, verteilst bitte mal uns’ren „Eisbrecher“?“ Martina wendet sich wieder uns zu. „Den trink’ma zuerst und i erzähl dabei a bisserl was über unser Weinangebot heut Abend.“
Horscht schenkt natürlich den weiblichen Gästen zuerst ein, wobei er schnaufend versucht, jede Frau mit seinem linken Arm zu umfassen, sie an sich zu drücken und ihr etwas ins Ohr zu flüstern, was ihm jedoch aufgrund heftiger Gegenwehr nicht leicht fällt.
Nachbarin K… wird deutlich: „Nimm Deine Griffel von mir, du krankes Schwein!“
Ihr Mann, L…,  stellt sein Glas auf den Couchtisch und fragt verdächtig ruhig: „Sehe ich das richtig? Du hast meine Frau angegrabscht?“
Martina kreischt: „Ihr Leit‘, lasst’s doch den Horscht! Is halt a echt bayerisches Mannsbild. Und eure Frauen kennen‘s doch kaum erwarten, ihm an die Lederbuxn zu gehen. So a scheen’s Mannsbild, der Horscht! Net wahr, meine Damen?“
Specklederhosen-Grinse-Horscht blickt triumphierend in die Runde. „Jo, was wollt’s denn, ihr sau…“
Er kann den Satz nicht zu Ende bringen, da L… sich vor ihn gestellt und mit festem Griff am Kragen des rot-weiß karierten Trachtenhemdes gepackt hat.
„Du hast meine Frau angegrabscht?“
Erfahrungsgemäß ist die Antwort auf diese Frage gänzlich unerheblich und wird auf den weiteren Ablauf dieser Szene keinen wesentlichen Einfluss mehr haben.
Stimmungsmäßig sind wir im Augenblick sehr weit von einer lustigen Weinprobe entfernt und während ich noch überlege, wie hier eine Trendwende eingeleitet werden könnte löst Schönling Horscht das Problem auf seine Weise, indem er sagt: „Hat sich aber nicht gelohnt, hängt ja alles schon schlaff runter …“
Die umgehend folgende Auseinandersetzung Nord gegen Süd muss ich ehrlicherweise als brutal bezeichnen und als  Horscht und Martina schließlich arg lädiert und keifend in wilder Panik in ihr Auto stürzen und mit jaulenden Reifen Richtung Süddeutschland fliehen tun sie sich ehrlich gesagt einen großen Gefallen.
Trotz der beschädigten Sitzmöbel und des geborstenen Couchtisches werden die von dem eigenartigen süddeutschen Weinverkäufer-Pärchen zurückgelassenen sechs gefüllten Weinkartons für einen weiterhin harmonischen Ablauf der Weinprobe sorgen, dessen –da bin ich mir mit allen Teilnehmern einig- bin ich sicher.

Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Kommentare zu diesem Text

Gringo (60)
(04.02.15)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Orion meinte dazu am 04.02.15:
Hallo Gringo, vielen Dank für den netten Kommentar und die Empfehlung.
Ebenfalls Niedersachsengruß: Achim

 Dieter_Rotmund (04.02.15)
Mir persönlich zu verplapperter Text.

 Orion antwortete darauf am 04.02.15:
Was auch immer Du damit ausdrücken möchtest ...
Vielen Dank fürs Lesen und Kommentieren.
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram