Völlig losgelöst im Mausoleum

Beschreibung zum Thema Helden

von  eiskimo

Ich mag Konzentration. Ich mag letzte Wahrheiten und deshalb auch aufgebahrte Leichname. Ich meine so berühmte wie Lenin oder Mao, die man in großartigen Tempelbauten mit wuchtigem Marmor besichtigen kann.
Jetzt, bei Hoh-Chi-Minh in Hanoi, ist mir das besonders bewusst geworden. Allein schon das Riesen Areal, in dem das Mausoleum so symbolträchtig hervor sticht – fünf Millionen Vietnamesen quetschen sich in der Hauptstadt auf engstem Raum, Onkel Hoh hat zehn Fußballfelder nur für sich! Wenn das kein Alleinstellungsmerkmal ist!
Es war Dauerregen, 13 Grad. Die Schlange von Besuchern war schon von weitem auszumachen, Hunderte Meter lang. Eine bunte Prozession, alle brav in Zweierreihe. Wie klein sie waren im Schatten des eckigen Totentempels!  Taschenkontrolle, die Fotoapparate wurden konfisziert. Strenge Uniformierte lotsten einen mit kurzen Handzeichen in die vorgeschriebene Laufrichtung. Die Leute redeten – wenn überhaupt – nur noch ganz leise. Rauchen verboten. Kaugummis verboten. Zu viel nackte Haut verboten. Vor mir mussten sich zwei Bermuda-Touristinnen dezent ein wallendes Tuch überhängen – hässliches Olivgrün schlappte jetzt runter auf ihre Fluo-Turnschuhe.
Wir rückten aus dem Eingangsgebäude ins Freie. Neben unserem Zugangsweg stand eine Riesen Leinwand. Darauf unübersehbar ein operettenhafter Sänger, der da vor blühenden Landschaften wohl Lobeshymnen auf den Verblichenen intonierte – große Kulisse, ganz großes Kino! Darunter jetzt unser bescheidener Trauerzug, der alle dreißig Meter einen Uniformierten zu passieren hatte. Marionettenhaft standen diese unter ihren Regenpelerinen, die Augen ins Leere gehend, gleichsam starre Todesengel. Toll inszeniert, dachte ich heimlich voller Bewunderung, mit einfachsten Mitteln!
Jetzt hatten wird das freie Feld hinter uns, näherten uns dem Eingang zum Mausoleum. Ein roter Gummi-Teppich dämpfte das Schlurfen der nassen Schuhe. Ich spürte, wie meine Spannung stieg, ja, sich in eine Art Vorfreude verwandelte.
Die Treppe ging schmucklos ums Eck, alle zwanzig Stufen eine weitere Kehre, ein weiterer Soldat. So kamen wir niederen Besucher in kleinen Schritten dem Hoch Verehrten langsam näher. Komisch, wie diszipliniert, ja, demütig da meine Zeitgenossen die vorgegebenen Spielregeln einhielten. Keiner drängelte, keiner telefonierte oder simste herum, keiner musste rituell trinken oder seine privates Musikprogramm in die Ohrmuscheln laden. Dieser spartanische Schauplatz und dazu ein paar zackige Vorgaben hatten ihre multi-task-Beschäftigungen im Keime erstickt.
Die Reduktion aufs Wesentliche begann. Es wurde etwas dunkler, der letzte Treppengang öffnete sich nach oben, zwei Lichtkegel bannten die Augen. Absolut nichts Störendes mehr. Ich erkannte den inmitten eines Vierecks Aufgebahrten an seinem hageren Profil. Sein Kopf war angestrahlt, ebenso die sich auf dem Oberkörper umfassenden Hände. Hoh wirkte weißlich-blass .. und doch erhaben, fast vergeistigt. Nichts anderes drang noch an mich heran – etliche Sekunden lang konnte ich mich total auf diesen Gegenüber konzentrieren,  Sekunden einer radikalen Weltenferne, der Entrückung! (...)
Allzu plötzlich standen wir wieder in der Normalität. Es regnete noch immer. Unsere Prozession hatte sich im Nu befreit von den einschüchternden Regularien, zerfiel in das übliche Durcheinander.
Ich stahl mich davon. Beim Verlassen des streng eingezäunten Areals fragte ich mich, ob Hoh selber sich wohl dieses imposant-surreale Szenario gewünscht hätte, und wenn nicht – welche ausgefuchsten  Psycho-Strategen da Regie geführt haben.

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Kommentare zu diesem Text

Cora (29)
(13.01.19)
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 eiskimo meinte dazu am 16.01.19:
Interessante Anmerkung! Wollen Atheisten da ertwas nachholen? Oder ihren "Glaubensbrüdern" auch ein bisschen "Hokuspokus" bieten?
Reliqien sind heute definitiv nix mehr - im Mittelalter muss das wohl anders gewesen sein.
lG
eiskimo

 Dieter_Rotmund (13.01.19)
Ich wundere mich weiterhin über die kuriose Schreibweise des Namens des bekannten Vietnamesen. Außerdem: Was sind Fluo-Schuhe? Ist das Jugendsprache???

 Lluviagata (13.01.19)
Hallo Eiskimo,
sollte es nicht Tod im Mausoleum heißen?
Ich empfehle Dir übrigens
Lenin und andere Leichen: mein Leben im Schatten des Mausoleums
Ilja Sbarski


Gern gelesen, weil spannend..

Liebe Grüße
Llu <3

PS: Fluo-Schuhe sind Schuhe, die auch Dank ihrer knalligen Farben fluoreszieren, wa?

 Dieter_Rotmund antwortete darauf am 13.01.19:
Danke, aber wieso setzt Herr Eiskimo so Jugendglitzerkram als bekannt voraus?
Das mit dem Tod/tot habe ich schon gar nicht mehr angemerkt, das ist einer der Dauerbrenner-Fehler auf kV, da habe ich es schon lange aufgegeben, darauf hinzuweisen...

 Lluviagata schrieb daraufhin am 13.01.19:
Lieber Dieter,
wenn Du wüsstest, was ich alles weiß, und wenn Du noch mehr wüsstest, nämlich, wie alt ich bin, dann würdest Du noch mehr wissen. Man kann gerne assoziieren, oder auch mal Tante G. bemühen. Tut gar nicht weh.
Cora (29) äußerte darauf am 13.01.19:
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 eiskimo ergänzte dazu am 14.01.19:
Danke, liebe Cora. So war es gemeint. Es schien mir auch schlüssig. Aber um es eindeutig zu machen, habe ich den Titel geändert.
Und Dank an Lluviagata für den Tipp
lG
eiskimo

 Dieter_Rotmund meinte dazu am 14.01.19:
Nur weil es kein Fehler ist, muss es noch lange nicht die beste Wahl sein. Und: Viele kV-User sind sich des Unterschiedes zwischen "tot" und "Tod" gar nicht bewusst. Eiskimo gehört nicht dazu. Wobei mir ein bescheidenes "Im Mausoleum " besser gefallen hätte. Die Namensschreibweise bleibt fragwürdig.
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