Wir packten die Habseligkeiten, von denen wir glaubten, dass wir sie noch brauchen würden, in unsere Körbe, die wir beim Abstieg aus dem Gebirge auf dem Rücken trugen. Unten angekommen, lernten wir ein Land kennen, wo man unsere Sprache nicht sprach. Wir konnten nicht umhin, uns an die Gewohnheiten unserer neuen Nachbarn anzupassen. So fanden sich Männer und Frauen nun irgendwie zusammen und schlugen sich durch. Aber ich möchte euch von unserer verlorenen Kultur erzählen, nämlich von der Art und Weise, wie wie wir dort Hochzeit feierten.
Einmal im Jahr treffen sich die Dorfbewohner auf einer Wiese am Rand des Dorfes, wo eine kleine Tribüne aufgebaut ist und ein Ballspielplatz. Die Mädchen, die in diesem Jahr heiraten möchten, sitzen dann in kunstvoll bestickten Kleidern auf der Tribüne und sehen den ledigen jungen Männern zu, wie sie Ball spielen. Die jungen Frauen besticken nicht nur ihre Kleider über das Jahr, sondern sie fertigen auch ein quadratisches Tuch an, das sie zum Partnerwahltag diagonal auseinander schneiden und an diesem Tag von einer Freundin dem jungen Mann überbringen lassen, der ihnen gefällt, ohne dass dieser erfährt, wer die Tuchbesitzerin sei. Wenn das Ballspiel vorbei ist, stellen sich die Mädchen alle in einer Reihe auf, dann ist es an den Männern, die Tuchhälfte, die sie erhalten haben, ihrerseits der jungen Frau zurück zu bringen, die sie heiraten möchten. Nur wenn die zwei Tuchhälften zusammenpassen, werden sie von der Brauthelferin wieder zusammengenäht und das Paar heiratet. Arrangierte Ehen oder Partnervermittlung kennen wir nicht, aber auch keine einseitigen Heiratsanträge.
Alle Dorfbewohner nehmen an diesem Partnerwahlfest teil und es gibt viel Spaß und Gelächter. Aber wenn sie wissen, wer sich in diesem Jahr gefunden hat, ziehen sie sich in ihre Häuser zurück. Es gibt keinen Tanz und keine Geschenke zur Hochzeit, weil in unserem Dorf alle füreinander sorgen, was sollte man da schenken?
Die eigentliche Hochzeit ist ein eher ruhiges Geschehen. Die Braut hat eine Brauthelferin die jünger sein muss, der Bräutigam hat einen älteren Mann als Helfer. Die Braut und ihre Helferin sowie der Bräutigam ziehen sich dann zunächst getrennt voneinander ins Hochzeitshaus zurück, das ist ein Gebäude mit vielen Zimmern, das auch als Geburtshaus dient. Dort reicht die Helferin der Braut ein Essen und hilft ihr beim Auskleiden und Baden. Die Braut zieht dann ein langes Nachtgewand an und auf der Männerseite geschieht das Gleiche, bevor sie sich zu viert in einem Vorraum des Schlafzimmers treffen.
Die junge Brauthelferin, die noch nicht verheiratet ist, spricht dann zunächst über ihre Wünsche und Träume, schildert, wie sie sich das Leben in der Ehe vorstellt. Danach erzählt der ältere Mann von seinen Lebenserfahrungen und gibt dem Brautpaar Ratschläge, wie sie sich in der einen oder anderen Situation verhalten sollen. Das alles geschieht in einer meditativen Atmosphäre, bei der das Paar auf das ganze Leben schauen soll, von der Jugend bis ins Alter.
Anschließend ziehen sich die Brauthelfer zurück und das Brautpaar kann seine erste Nacht miteinander verbringen. Allerdings hat die Frau am nächsten Tag zum letzten Mal die Möglichkeit, den Bräutigam als Ehemann abzulehnen, wenn er ihr doch nicht gefällt. Das kommt aber sehr selten vor. Eine solche Braut könnte sich im nächsten Jahr wieder zur Partnerwahl anmelden, gilt dann aber als zweite Wahl.
Das Brautpaar zieht nach der Hochzeit in das Haus der Brautmutter. Der Mann muss seiner Schwiegermutter helfen, bei der Tierversorgung und der Landarbeit. Wenn in einer Familie viele Töchter vorhanden sind, bauen sie sich manchmal auch eigene Häuser. Die alten Männer können, wenn sie wollen, gemeinsam in ein Männerhaus ziehen, wo sie sich in Stille versenken und über das Leben beraten. Sie sind dann auch für die Heilkunde verantwortlich und stellen Kräutermedizin her. Sie können aber ihre Familien besuchen und werden auch von den jüngeren Familienmitgliedern versorgt.
Wir kennen auch die Verschleierung, aber sie ist nicht vorgeschrieben. Mädchen, die noch nicht heiraten wollen, verschleiern sich manchmal, oder auch ältere Frauen, wenn sie sich für eine Weile zurückziehen wollen und nicht viel angesprochen werden möchten. Eine systematische Religion kennen wir nicht.
Das Dorf lag sehr abgelegen und wir sahen nur wenige Händler, die uns besuchten.,
Ein Erdrutsch machte diesem Bergleben ein Ende. So kam es, dass wir unsere Heimat verlassen mussten.