Lieben wie die Philosophen

Kurzprosa zum Thema Frauen/ Männer

von  Regina

Sie trug eine Kurzhaarfrisur und hatte in jeder Hinsicht die alten Zöpfe abgeschnitten. Mit ihrem Freund führte sie eine offene Beziehung, nach dem Vorbild von Simone de Beauvoir und Jean Paul Sartre. Es war die Zeit des Aufbegehrens der jungen Leute gegen Spießigkeit und konservative Dogmen. Das Zusammenleben sollte keinem Gefängnis gleichen. Doch eines Tages ging sie in sich und merkte, dass sie für ihren Teil diese Freiheit eigentlich nicht brauchte. Sie verspürte keinen Wunsch nach Nebenbeziehungen. Ganz anders verhielt sich ihr Partner, der sich häufig für kurze Zeit mit Frauenbekanntschaften vergnügte und gerne bei geselligen Anlässen seine Liebeserlebnisse zum Besten gab, wenn die Salonrevolutionäre beim Rotwein zusammensaßen, um theoretisch die Welt zu verbessern. Die offene Liebe war also einseitig. Je älter sie wurde, desto mehr wünschte sie sich insgeheim eine festere Bindung. Dann aber, so fürchtete sie, würden die bürgerlichen Zwänge aufkommen, die sie an der Generation ihrer Eltern kritisiert hatten. Ihre Sehnsucht nach emotionaler Verlässlichkeit und Treue stand im Konflikt mit Theorien und Ideologie, die sie sich angelesen und diskutierend erworben hatte. Diese Überzeugungen ließen sich nicht einfach so abschütteln. Aber auch die Rückkehr zu bürgerlichen Normen würde nicht die Gewähr bieten, keinen Leidensdruck zu verursachen.




Anmerkung von Regina:

Sartre und Beauvoir unterschieden zwischen "amour necessaire", die dauerhafte Bindung und "amour contingent" für Zufallslieben.

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Kommentare zu diesem Text


 AlmaMarieSchneider (09.03.23, 02:39)
Da erkenne ich mich wieder. Nach 10 Jahren haben wir dann doch geheiratet. Äh, wir hatten natürlich lange Haare.
Gut geschrieben.

Liebe Grüße
Alma Marie

 AchterZwerg (09.03.23, 07:17)
Jede "neue" Freiheit ist furchtbar anstrengend und entsteht oft auf eigene Kosten, insbesondere bei Frauen.
Ein gutes Beispiel hierfür ist die Einführung der "Pille."
Gleichwohl haben es jene wilden Jahre erreicht, "ökonomisch wertvolle" Vorteile der Zweierbeziehungen (Reproduktion) zu hinterfragen und auf diese Weise vielen ein aufregend-spannendes Lebensgefühl verschafft.

Auch im Nachhinein möchte ich das nicht missen.
Taina (39)
(09.03.23, 07:46)
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 Regina meinte dazu am 09.03.23 um 07:55:
Sie stehen für eine offene Beziehung auf Augenhöhe und für einen Zeitgeist, der viele in seinen Bann zog. Zusammengelebt haben sie allerdings nie. Die Frage "Welche Lebensform macht glücklich" ist eine mit vielen Antworten.

Antwort geändert am 09.03.2023 um 08:41 Uhr
Taina (39) antwortete darauf am 09.03.23 um 08:40:
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 Regina schrieb daraufhin am 09.03.23 um 08:53:
Das Leben dieses Paares ist von verschiedenen Seiten beleuchtet worden. Beauvoir gilt als Feministin. Macht Feminismus glücklich? Oft wird das Gegenteil behauptet, aber ein Studium, der Führerschein, ein Restaurantbesuch ohne Begleitung, Immobilienbesitz, Arbeitsaufnahme ohne Genehmigung des Ehemannes etc. Das sind alles Errungenschaften der Gleichberechtigungsforderung, die wir heute wie selbstverständlich in Anspruch nehmen. Nicht wenige Leute sind der Ansicht, dass Frauen in einer dem Mann unterstellten Position glücklicher seien. Aber de Beauvoir hat sich darauf nicht eingelassen.
Taina (39) äußerte darauf am 09.03.23 um 08:59:
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 Regina ergänzte dazu am 09.03.23 um 09:15:
Egal, wie man diese Biografien beurteilt, so ist doch Fakt, dass sie mit einem Zeitgeist des Aufbegehrens gegen bürgerliche Normen verbunden sind und viele Nachahmer fanden, vllt. auch nicht immer reflektierte Formen der Nachfolge.  Der Zwiespalt zwischen emotionalem Wunsch und Theorie ist ja Thema meines Textes.
Taina (39) meinte dazu am 09.03.23 um 09:19:
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 uwesch (09.03.23, 07:57)
Ja, das waren Zeiten. Heute geht´s wieder etwas "spießiger" zu. Verläßlichkeit und Sicherheit haben an Bedeutung gewonnen.
LG Uwe

 Regina meinte dazu am 09.03.23 um 08:41:
Ja, der Zeitgeist hat sich wieder verändert.

 harzgebirgler (09.03.23, 10:09)
"Fragt jemand, was die Liebe ist, so ist sie nichts als ein Wind, der in den Rosen rauscht und dann wieder dahin stirbt. Oft aber ist sie auch wie ein unzerbrechliches Siegel, das das ganze Leben lang dauert, bis zum Tode." (Knut Hamsun, Victoria)

 Regina meinte dazu am 09.03.23 um 10:11:
Donnerwetter, Harzgebirgler, jetzt bin ich aber beeindruckt.

 Saira (09.03.23, 10:16)
Hallo Regina,

ich denke, wenn der Leidensdruck zu groß wird, sollte man etwas in seinem Leben ändern. Dass das Neue funktioniert, kann man natürlich vorher nicht wissen, aber wer es nicht probiert, wird immer im Zweifel leben.

Vielleicht ist das Bauchgefühl manches Mal ein guter Ratgeber.

Liebe Grüße
Sigrun

 Regina meinte dazu am 09.03.23 um 10:20:
Danke, Saira, da kann ich dir beipflichten.
Agnete (66)
(09.03.23, 19:58)
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Verlo (65)
(09.03.23, 20:27)
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 Regina meinte dazu am 09.03.23 um 20:45:
Sex oder Gespräche, das ist die Qual der Wahl. Gemeinsame Partner, das wäre ja Gruppensex. Hier diskutieren, wenn ich richtig zähle, 6 Frauen mit 3 Männern.

 Mondscheinsonate meinte dazu am 09.03.23 um 20:52:
Schwieriges Thema und extrem subjektiv. Grundsätzlich schließe ich mich an Agnetes Meinung an. Man kann ja nur von sich sprechen, wenn sehr geliebt wird, habe ich kein Bedürfnis nach jemanden anderen. Aber, ich kenne natürlich leider auch Simones und Jean-Pauls Sicht, nach 10 Jahren beschlossen sie es offiziell, verging auch bei mir das Begehren und es wurde nie thematisiert, man wurde zu Brüderlein und Schwesterlein, das sechs Jahre. Traurig. Ich könnte es nicht, muss ich sagen. Da wäre ich auch für einen Schnitt. Jetzt schon. Damals war ich zu feig, bequem, was auch immer. In den Partnerbörsen sind zu 80% Vergebene, sie schreiben in Profilen: Ich will "Spaß!", dann ist im Umkehrschluss eine Beziehung "Unlustig", das ist schon SEHR TIEF. Obwohl ich die beiden, Sartre und Beauvoir, hoch achte, besonders Simone, ging ich bei diesem Punkt nie konform und nenne ihre Beziehung eine Freundschaft mit Besitzdenken. Liest man die Tagebücher, liest man den Besitz heraus.Auch gibt es ein Interview mit Schwarzer, wo sie erzählte, dass sie beim ersten Interview mit Sartre einen kurzen Rock trug. Simone kam hinein und sah sie argwöhnisch an, setzte sich zum Schreibtisch und wartete beharrlich, bis es zu Ende war. "So egal" war es einer Beauvoir auch nicht, das zeigte diese Erzählung gut.
Verlo (65) meinte dazu am 09.03.23 um 20:52:
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Verlo (65) meinte dazu am 09.03.23 um 20:56:
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 Mondscheinsonate meinte dazu am 09.03.23 um 20:58:
Das hat sie nicht gesagt, dass Satre irgendwie anzüglich gewesen wäre. Es reichte für Simone nur die äußere Erscheinung. Ja, aber vielleicht hast du Recht.

 Regina meinte dazu am 09.03.23 um 21:00:
In Frankreich war allerdings der Minirock nie genauso populär wie anderswo.

 Mondscheinsonate meinte dazu am 09.03.23 um 21:02:
Interessant. Wusste ich nicht.
Verlo (65) meinte dazu am 09.03.23 um 21:06:
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 Regina meinte dazu am 09.03.23 um 21:36:
Ihr lasst jetzt aber meine Protagonistin im Stich, die hat sich ehrlich bemüht, eine offene Beziehung zu führen. Heißt es jetzt am Ende: "Und die Moral von der Geschicht, offne Ehe, das geht nicht."?

 Mondscheinsonate meinte dazu am 09.03.23 um 21:43:
Ich sage: Jedem seine persönliche Entscheidung. Ich wäre für das Bauchgefühl und Nein zu sagen. Der Mensch ändert sich. Tatsächlich.

Antwort geändert am 09.03.2023 um 21:44 Uhr
Verlo (65) meinte dazu am 09.03.23 um 21:44:
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 Regina meinte dazu am 09.03.23 um 21:46:
Nein. Aber ich frage mich, ob diese Präferenz wirklich so individuell ist.

Antwort geändert am 09.03.2023 um 23:24 Uhr

 Mondscheinsonate meinte dazu am 09.03.23 um 21:48:
D'accord!
Verlo (65) meinte dazu am 09.03.23 um 21:49:
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 Regina meinte dazu am 09.03.23 um 23:30:
Ein Dreier ist nix für mich.

 Mondscheinsonate meinte dazu am 09.03.23 um 23:52:
Dreimal unterstrichen, ohne wäre.

 S4SCH4 (15.05.23, 15:55)
Wäre man bisweilen nicht genauso selbstbezogen könnte man sich aufregen über soviel Selbstliebe und herzzerreißende Hingabe. 
Der Text ist gut.
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