10 - Drei Dinge

Erzählung zum Thema Aufwachen

von  TassoTuwas

Dieser Text ist Teil der Serie  Ferne Lichter so nah.
Er trank jetzt in kleinen Schlucken, dafür aber in kürzeren Abständen. Es ist still, viel zu still, dachte er, und das Leben ist doch laut, und das hier ist doch kein Trauerhaus. Er tastete sich vorsichtig zu dem Glastischchen auf dem das alte Grammophon seinen Platz hatte, dann zog er den Stapel mit den Schellackplatten heran und drehte die Kurbel. Im blanken, leicht delligen Messing des Trichters erblickte er sei verzerrtes Spiegelbild.
"Ach du...", murmelte er halb überrascht, halb belustigt, "..nein, ein jugendlicher Liebhaber sieht nicht so verbeult aus". Er verzog das Gesicht und kicherte, "Darauf kannst du getrost einen zu dir nehmen, oder besser zwei!"
Wahllos fingerte er eine der Platten aus dem Stapel, bugsierte sie auf den Teller, kurbelte das Federwerk auf volle Spannung und versuchte die Stahlnadel, mit spitzen Fingern, in die Rille zu setzen. Beim dritten Anlauf gelang es ihm.

Das Grammophon war ein besonderer Glücksgriff. Dem Trödler schien ein Stein vom Herzen zu fallen, dass sich endlich jemand für das kaputte, hässliche Ding, das nur Platz wegnahm interessierte. So hatten sie sich sehr schnell auf einen guten Preis geeinigt, und aus Freude darüber, mit dem Ladenhüter doch ein Geschäft gemacht zu haben, packte der Trödler, als Zugabe, noch etliche verstaubte Schelllackplatten dazu, darunter einige echte Raritäten, wie sich später heraus stellen sollte.
Von Schmutz und mehreren Schichten alter Farbe befreit, es war eine mühsame Drecksarbeit, kam ein wunderschönes Edelholzgehäuse zum Vorschein. Auf die verrottete Mechanik stürzte sich Robert mit unerschütterlicher Geduld, zerlegte das gesamte Innenleben, reinigte, ölte und fettet, setzte die Teile wieder zusammen, war mit dem Ergebnis nicht zufrieden, baute mehrmals alles auseinander und wieder zusammen, puzzelte und probierte so lange, bis es endlich aus dem Trichter tönte, wie es sich für ein fast hundert Jahre altes Grammophon gehörte, knisternd, kratzend, schräg, einfach wunderbar altmodisch. Stolz blickte er auf sein Werk.

Robert ließ sich in den Sessel fallen, schloss die Augen und versank in die Musik. In die hinein mischte sich plötzlich ein störendes Geräusch, nur kurz, dann war es nicht mehr zu hören, dann war es wieder da, dann wieder nicht mehr da. Es dauerte eine ganze Weile bis Robert begriff, es war das Telefon, das klingelte. Robert drückte sich mühsam in die Höhe, die verdammten Beine gehorchten ihm nur widerwillig, Er machte zwei ungelenke Schritte, blieb an der Teppichkante hängen, strauchelt und verlor das Gleichgewicht. Im Fallen griff er Halt suchend wild um sich, erwischte das Glastischchen, das ins Schwanken geriet und stürzte es um. Das Grammophon krachte zu Boden, zerbarst. Holz splitterte, die Feder sprang sirrend durch den Raum, Zahnräder und Achsen rollten in alle Richtungen auseinander. Einige der Schallplatten zersprangen, schwarze Schelllackteilchen, kleine wie große, verteilten sich rings um ihn, der auf dem Boden saß und fassungslos auf den Messingtrichter starrte , bis der plump herum kreiselnd, endlich zum Stillstand kam.
Das Telefon war längst verstummt.

Robert blieb am Boden sitzen, sah das Chaos und dann begann er zu lachen, erst leise und stockend, dann lauter und schließlich aus vollem Hals. War das nicht irre komisch. An einem Tag hatte er alles verloren, was ihm über Jahre den wertvollsten Besitz bedeutete. Drei wunderbare Dinge, jedes von einem einzigartigem Wert, die mit allem Geld der Welt nicht wieder zu beschaffen waren.  Einen Perserkater, den er, der weltgewandte erfolgreiche Geschäftsmann eigenhändig aufgepäppelt hatte, und der sich dann, als es galt eine Entscheidung zutreffen, gegen ihn gewandt hatte. Ein altes Grammophon, das er nach wochenlanger, mühsamer Bastelei in ein Schmuckstück verwandelt hatte, lag nun zu unzähligen Einzelteilen zersprungen um ihn herum. Eine Flasche Whisky, einem kauzigen Schwarzbrenner in den Highlands zäh abgehandelt und viel zu schade so einfach versoffen zu werden, die nun bis auf einen kleinen Rest leer auf dem Tisch hin und her schwankte. Drei Dinge, die es nicht zu kaufen gab, so besonders, dass sie ihn auf einzigartige Weise heraus hoben aus dem langweiligen Besitzeinerlei seiner Umwelt.

Und doch war das alles nichts gegen Dorothee , für die er diese drei Dinge bedenkenlos hergegeben hätte. Dorothee war vom andern Stern und er erschrak bei dem Gedanken, es erst jetzt erkannt zu haben. Sie war anders, als alle Beziehungsgeschichten, die er vor ihr hatte. Ihr bedeutete der Luxus, der ihn umgab nichts und sie hatte es ihm gesagt.
Nicht mit so einfachen Worten, dazu war die zu klug. Aber als er ihr einmal die Frage stellte, lange nach dem sie bei ihm eingezogen war, wann sie sich denn sicher gewesen wäre, dass er der Richtige sei, hatte sie ohne zu zögern geantwortet, "An dem Tag, als ich wusste, du meinst es ernst". "Ach...", hatte er geantwortet, "...und wann soll das gewesen sein? "Am ersten Tag unserer Begegnung". Er hatte sie ungläubig angeschaut. "Und wie hast du das erkannt?"
Doro hatte ihn lange angeschaut, dann glitt ein Lächeln über ihr Gesicht, "Es ist mir im Gurkenfass nicht entgangen, wie erschrocken du deine Angeberuhr hast verschwinden lassen!"

Aber warum war sie jetzt fort?

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Kommentare zu diesem Text


 AchterZwerg (25.09.20)
Fein beobachtet!
Auch aus meiner Erfahrung folgen stets drei Unglücksfälle aufeinander ... wobei sich Dorothee vermutlich am ehesten ersetzen lassen wird,

ahnt
der8.

 TassoTuwas meinte dazu am 25.09.20:
Das nenn ich wahren Trost!
Dafür Dank
TT

 ViktorVanHynthersin (25.09.20)
Ein schöner Spannungsbogen - gefällt mir gut! Nur hätte ich mir ein Lied gewünscht. Vielleicht von Tennessee Ernie Ford, Slim Whitman, Frank Sinatra, Lucien Boyer oder Friedel Hensch? Es war ja großer Stapel Platten
Herzlichstverspielt
Viktor

 TassoTuwas antwortete darauf am 25.09.20:
Ich bewundere deinen Musikgeschmack. Bei Friedel Hensch sind die Cyprys leider kaputt gegangen. Ich kann aber noch Rudolf Schuricke und eine gepfiffene Version von Beethovens Neunter anbieten
Immer gern gehört
TT

 TassoTuwas schrieb daraufhin am 25.09.20:
Fingerzucker, im Takt natürlich!

Antwort geändert am 25.09.2020 um 10:41 Uhr

Antwort geändert am 25.09.2020 um 10:42 Uhr

 AZU20 (25.09.20)
Solche Schätze zu verlieren tut weh. Für Dorothee war er der Luxus, den sie wieder abgeben musste. So scheint es. LG

 TassoTuwas äußerte darauf am 26.09.20:
Ob es so ist wie es scheint?
Die Antwort nähert sich in einem roten Coupé.

LG TT

Antwort geändert am 26.09.2020 um 10:13 Uhr
Al-Badri_Sigrun (61)
(26.09.20)
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 TassoTuwas ergänzte dazu am 26.09.20:
Liebe Sigrun,
halte durch, wir sind schon kurz vor der Zielgeraden und ich gebe Gas!

Bis bald
TT

Antwort geändert am 26.09.2020 um 14:05 Uhr

 plotzn (26.09.20)
Hallo Tasso,

Robert ist der erste Mann, der nach einer halben Flasche Whiskey trauert, dass der Kater weg ist. Das ist natürlich alles nichts gegen den Verlust von Doro und dem Grammophon...

Wie sich Dein auf volle Spannung gekurbeltes Tusche- und Federwerk wohl auflöst?

Fragt sich nachdenklich
Stefan

 TassoTuwas meinte dazu am 27.09.20:
Hallo Stefan,
ein Kater ist ein Kater ist ein Kater...
Alte Trinkerweisheit!

Hab ich gehört
TT

 TrekanBelluvitsh (27.09.20)
Die Dinge, mit denen wir uns umgeben, sagen erst dann etwas über uns aus - jenseits davon, ein eitler Geck zu sein -, wenn wir mit ihnen umgehen. Sie nicht (mehr) zu beachten, kann dabei ein wichtiger Punkt sein.

 AvaLiam (09.11.20)
Mir sind die Töne eines Grammophons sehr vertraut, läuft es heute bei dem Freund meiner Mutter immer noch fleißig seine Ehrenrunden.
Mit diesen Klängen im Ohr saß ich sehr schnell neben Robert und konnte den armen Tropf mit seinen Fragen und dem Glas in der Hand in sein Weh betrachten.

Arme Socke.
Hoffen wir, dass "Scherben" Glück bringen.

LG - Ava

 TassoTuwas meinte dazu am 09.11.20:
Herzbluten bekämpfen Männer mit dem einzigen Freund in ihrer Not, genannt Alkohol!
Zum Wohl
TT

 harzgebirgler (20.11.20)
die menschlichen bezüge
zerbrechen oft wie krüge.

lg
harzgebirgler

 TassoTuwas meinte dazu am 20.11.20:
Der Mensch ist nicht empfänglich
für Dinge die vergänglich

LG TT

 Enni (03.12.20)
Ja, warum?

In diesem Abschnittz, so scheint es mir, kommt Robert zu wichtigen Erkenntnissen

Ich weiß, ich nähere mich dem Ende und ich habe Hoffnung, dass sich alles zum Guten fügen wird.
So leid es einem um die drei Dinge tun kann, Dorothee zu verlieren, wäre wie ein Sturz in den Abgrund für Robert.

Lieben Gruß
Enni

 TassoTuwas meinte dazu am 03.12.20:
Ist ja nichts Neues, wenn man am Boden sitzt, inmitten der Trümmer seiner, bis grade eben noch heilen Welt, da wird man schon nachdenklich, was denn im Leben wichtig ist.(sofern es der Promillegehalt noch zulässt )
Und jetzt kommt die Aufklärung, die aber noch nichts verrät!

Herzliche Grüße
TT
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