„Ich würde Ihnen gerne sagen, was gut an Ihrem Text ist." Sie schaute mich kühl an.
"So, da bin ich aber neugierig."
"Der Aufbau ist gut, der Text hat Rhythmus und Stil. Sie verwenden eine Reihe von Bildern, die das Gesagte fassbar machen und anschaulich. Er ist in sich stimmig. Und er ist gut formuliert. Ihr Text ist gut. Aber er gefällt mir nicht“, erklärte sie.
„Das versteh ich nicht, weil es sich irgendwie widerspricht“, antwortete ich.
„Wieso? Darin liegt doch gar kein Widerspruch. Mir muss doch nicht alles gefallen, bloß weil es gut ist“, meinte sie.
„Das verstehe ich, okay. Warum gefällt er Ihnen nicht?“, wollte ich wissen.
„Er kommt in arrogantem Ton herüber, als ob Sie sich aufspielen wollten, er wirkt hochnäsig und überheblich.“
„Sie meinen also, ich solle lieber etwas Anmutiges schreiben, etwas Gefälliges?“
„Es wäre angemessener, akzeptabler.“
„Also etwas, das Sie leichter akzeptieren könnten? Sie erwarten, dass ich etwas schreibe, das Ihrem Geschmack, vielleicht auch Ihrem Weltbild, Ihrem Denken entspricht?“
„Ich sagte, dass Ihr Text überheblich wirkt“, wandte sie ein.
„Sie meinen also, alles, was Ihrem Geschmack und Denken widerspricht, sei arrogant?“
„Sie bringen etwas zusammen, was nicht zusammen gehört. Wenn etwas arrogant daher kommt, muss es doch meinem Denken nicht widersprechen. Meinem Geschmack allerdings schon eher.“
„Ich präzisiere: Sie empfinden es als unbehaglich, so etwas zu lesen. Sie können sich damit nicht identifizieren. Also sehen Sie darin einen Widerspruch zu Ihrem Denken und vielleicht auch Fühlen. Und diesen Widerspruch klassifizieren Sie mit arrogant.“
„Arrogant ist der Text, weil sie darin andere Menschen abschätzig behandeln, von oben herab“, antwortete sie. „Und Sie sind unnachsichtig und hart obendrein.“
„Ich gebe zu, dass ich einen sehr nüchternen Stil habe, sehr knappe Sätze schreibe. Ich möchte gerne punktgenau einen Sachverhalt darstellen. Das ist aber deswegen nicht abschätzig.“
„Diese Debatte führt zu nichts, weil Sie uneinsichtig sind.“
„Ich muss doch nicht etwas einsehen, bloß weil Sie mir etwas unterstellen, was nie in meinem Denken war, als ich den Text schrieb. Ich habe keine Ahnung, wie Sie darauf kommen, dass ich andere Leute herunterstufe. Welches Motiv hätte ich?“
„Sie fühlen sich dadurch besser, wenn Sie über andere abschätzig reden. Das Schreiben gibt Ihnen die Möglichkeit, das auszuleben, was Sie im realen Leben nicht wagen. Sie sind nämlich feige.“
„Das ist sehr hoch gegriffen und abenteuerlich, was Sie da behaupten. Selbst, wenn ich einen überheblichen Ton angeschlagen hätte – was in keiner Weise in meiner Absicht stand – gibt Ihnen das noch kein Recht dazu, eine psychologische Deutung meiner Persönlichkeit damit zu verbinden.“
„Warum nicht? Jeder offenbart doch bewusst oder unbewusst sein Innerstes, wenn er schreibt.“
„Sie kennen offensichtlich nicht den Unterschied zwischen der Persönlichkeit des Autors und dem, was er schreibt. Zum Beispiel ist doch nicht jeder, der einen Krimi schreibt ein Verbrecher. Oder jeder, der einen Ehebruch beschreibt, ein Ehebrecher, oder wer eine gebrochene Persönlichkeit in seinem Text darstellt, selber gebrochen. So könnte ich einen arroganten Text schreiben ohne selber arrogant zu sein. Und warum sollte ich feige sein? Ich bin nicht arrogant und muss deswegen auch nichts verbergen oder etwas eingestehen. Und zum anderen habe ich keinen überheblichen Text geschrieben, sondern einen nüchternen. Sie empfinden es vielleicht als arrogant – das kann ich Ihnen nicht ausreden, aber es ist Ihre subjektive Empfindung. Ein Text ist sozusagen ein Freiwild, das der Leser erlegt und dessen Inhalt er sich zurechtlegt.“
„Ihre Antwort ist doch der beste Beweis für Ihre Arroganz – Sie können nichts zugeben.“
„Sie wollen also von mir, dass ich etwas zugebe, was ich nicht getan habe?“
„Natürlich haben Sie etwas getan: Einen arrogant daherkommenden Text geschrieben. Und das müssen Sie doch einsehen. Das ist alles.“
„Zeigen Sie mir doch einmal die Stelle, woraus Sie entnehmen, mein Text sei arrogant.“
„Das ist unnötig, denn ich weiß, dass Sie meinen Argumenten nie folgen würden. Ich sehe das Gespräch als gescheitert an.“
„Sie sind gut. Sie setzen etwas in die Welt über mich und meinen Text und bleiben mir den Beweis schuldig. Das ist unfair.“
„Jetzt werden Sie nicht auch noch frech.“
„Nein, ich bin nicht frech, sondern ich wehre mich oder besser: Ich setzte gegen Ihre Behauptung eine Gegenbehauptung. Das wird doch wohl noch erlaubt sein.“
„Sie werden sich wundern: Ich stehe mit meiner Meinung nicht alleine da. Es sind etliche, die dasselbe sagen: Ihr Text ist handwerklich gut, aber arrogant. Warum wehren Sie sich dagegen?“
„Hatte ich Ihnen eben nicht eine Lösung unseres Disputes angeboten?“
„Nein, Sie sind stur und uneinsichtig. Mit Ihnen kann man nicht in Ruhe reden, Sie werden sofort bockig.“
„Doch, hatte ich. Ich sag es noch mal mit anderen Worten, nämlich, dass nicht immer alles am Verfasser eines Textes liegt, sondern auch an dem, der ihn liest und seine eigenen Vorstellungen in den Text hineininterpretiert. Aber das wollen Sie anscheinend nicht hören. Sie machen aus meinem sachlich verfassten Text einen arrogant gefärbten Text. Warum wohl? frage ich mich.“
„Ach, Sie können einem ja die Worte ganz schön im Munde verdrehen. Jetzt liegt es also an mir, dass Ihr Text so arrogant daherkommt? Das ist ja ungeheuerlich. Mir fehlen die Worte! Prima haben Sie das hinbekommen. Das bleibt nicht ohne Folgen, glauben Sie mir! Und was bitteschön sollte ich für einen Grund haben für meine Interpretation?“
„Ich bin jetzt genauso kühn wie Sie vorher und behaupte: Weil Sie Ihr eigenes Problem hineininterpretieren: Ihre Arroganz.“
"Mit Ihnen kann man ja überhaupt nicht vernünftig reden, noch nicht einmal fair streiten. Sie würgen ja alles mit verletzenden Bemerkungen ab. Da bleibt mir nichts anders als zu gehen - Gute Nacht."