KLICKS UND CLIQUEN

Synthesen + Analysen in der Matrix


Eine Kolumne von  Bergmann

Montag, 01. Juni 2020, 13:39
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Das Kölner Richter-Fenster

722. Kolumne

Ein Meister der Grisaille, der formalen Strenge, der Unerbittlichkeit der Grau- und Unschärfe-Relationen. Dagegen das große Südfenster im Querschiff des Kölner Doms – hier sind alle Farben – ohne Weiß und Schwarz und Grau.
Der Schöpfungsbegriff verschwindet in der Abstraktion. Es schimmert das Licht wie eine neue Theologie wie das Licht durch die Scheiben. Verbildlichte Quantentheorie – Zufall und Notwendigkeit regieren. Es gibt keine vollkommene Schöpfung. Schmerz und Leid sind notwendige Kollateralschäden des Bios. Tod als Updating.
Richter baut seine Künstlergöttlichkeit ein, indem er die nach dem Zufallsprinzip angeordneten Scheiben der Achsenspiegelung unterwirft. Aber das hat nur wirkungsästhetische Gründe, keine theologische Bedeutung. Oder doch? Der Mensch gibt sich selbst den Sinn seines Lebens. Auch diese Selbstgesetzgebung funktioniert quantentheoretisch im Rahme von Zufall und Notwendigkeit. Wir übersteigen nicht unsere Existenzbedingungen, wir bleiben in Platos Höhle.
Gott ist nur ein Begriff, eine Hilfsgröße, um wenigstens mental ins Transzendente zu gelangen. Meist wird Gott instrumentalisiert, um sich abzugrenzen und andere zu beherrschen, im besten Sinne dient er zur Selbstbeherrschung.
Es geht ihm um die Frage Malen oder Nichtmalen, Sein und Schein, Schwarz oder Weiß, Existenz und Nichts. Das Grau ist der Endzustand der Welt, wenn das Zweite Thermodynamische Gesetz angewandt ist, wenn die Welt stillsteht, wenn der Kosmos ins Nichts sich verwandelt.

„Der Mann, der gestorben war“ von D. H. Lawrence. Jesus, vom Kreuz genommen, aber noch nicht tot, wacht in der Grabkammer auf und erkennt: Die brauchen einen Leichnam, auf den sie ihre Kirche bauen können! Ich aber will leben. Raus hier! Mit letzter Kraft entflieht er dem Felsengrab und findet Unterschlupf bei einer Bäuerin, die ihn gesund pflegt. Sie liebt den jungen, schönen Mann, der noch nicht fähig ist, die Liebe zu erwidern. Im Bild des an eine Leine gefesselten Hahns erkennt er sich selbst, seine Lage und seine Bestimmung. Er bricht auf zu seiner Wanderung ins Leben. Er begegnet in einem Isis-Tempel einer Priesterin, der er sich hingibt. Die Erektion wird zum Sinnbild seiner Auferstehung in ein bürgerliches Leben – Jesus wird Zimmermann, er heiratet und wird Familienvater. – Lawrence hat in einem eindrucksvollen Nachwort zu dieser Geschichte den Wahnsinn der Kirche angeprangert, die im Ersten Weltkrieg Waffen und Soldaten segnete. In der Pieta des Michelangelo sieht er die Mutter und den im Krieg gefallenen Sohn. – Nach dem Ersten Weltkrieg begannen die christlichen Kirchen ihre Kirchengläubigen zu verlieren, nach dem Zweiten Weltkrieg beschleunigte sich diese Entwicklung. – Vielleicht lässt sich Richter so interpretieren, dass er den letzten Rest von Gott zu retten versucht, Gott wird zur Homöopathie gesundgeschrumpft.

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Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag


 Dieter_Rotmund (03.07.20)
Gott = Homöopathie, nicht schlecht, könnte man mehr daraus machen.

 Bergmann meinte dazu am 03.07.20:
Oder Gott als Placebo, das ist genauer: Ich werde gefallen.

 DanceWith1Life (03.07.20)
Ich denke, dass der Hauptunterschied zwischen künstlerischer und religiöser Ambivalenz, wohl darin besteht, also gerade bei den bildenden Künsten, dass erstere immer Beobachter der Natur und des Universums waren, und gegebenenfalls ihre Perspektive änderten, und notgedrungen alle daraus resultierenden Schlussfolgerungen.
Während die Religion, ja ebenso notgedrungen, sie hatte ja nur die geschriebenen Worte der jeweiligen "heiligen Schrift" alles Beobachtete in einer Perspektive unterbringen musste.
Soll heissen, wenn einer sagt, ich will dieses Fenster so und so.
Sagt der Künstler, kein Problem, notfalls lass ich die Kirche weg.
Während der andere sagt, kein Problem, hauptsache es bleibt in der Kirche.

Kommentar geändert am 03.07.2020 um 22:30 Uhr
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