KLICKS UND CLIQUEN
Synthesen + Analysen in der Matrix
Eine Kolumne von Bergmann
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Nachruf auf einen Paradiesvogel
758. Kolumne
[573]
[Ich bitte die Leser meiner Kolumne um Verzeihung. Es ist, glaube ich, das erste Mal, dass ich eine Pause einlegte, und nun sogar 3 Wochen. Der Abschluss meines dritten Romans, USCH, beanspruchte meine ganze Zeit, anders gesagt: ich befand mich in einem besonders starken Schreibrausch.]
[Der hier folgende Nachruf ist auch ein ganz besonderer, aber ich verrate nicht, warum.]
Nachruf auf einen Paradiesvogel
Andrascz Jaromir Weigoni, 18.1.1958 in Budapest geboren, „... erlag nach langer Krankheit in der Nacht vom 25. auf den 26. Januar den Folgen von Covid 19 in Düsseldorf“, so Mathias Hagedorn, Herausgeber des Literaturblogs KulturNotizen (KUNO), im Onlinemagazin der Freitag (freitag.de), so auch bei Wikipedia nachzulesen.
Ich kenne und kannte ihn als hochsensiblen, sympathischen Paradiesvogel – ein Epitheton, das Hagedorn für seinen Schöpferfreund fand. So ging der nun Gestorbene, der seine Auferstehung allenfalls in seinem Werk sah, durch sein Leben in dem von ihm wenig geschätzten Düsseldorf, ein kritischer Beobachter des ‚rheinischen Lebens‘, das ihn umgab. Für ihn hat Literatur die utopische Aufgabe, Möglichkeiten eines Weges zu einem besseren Leben zu entwerfen – Weigoni sah in der Poesie die einzige Möglichkeit, die Grausamkeit des Lebens zu ertragen oder gar zu überwinden; er hielt sie für ein unvergleichliches Instrument der Erkenntnis.
Mathias Hagedorn, Weigonis Intimus, Pressechef, Kommentator, Vorlassverwalter ist der Überzeugung, dass Weigonis Identität im Schreiben lag. Er habe sich in einer vielfältig zerrütteten Welt und in einem korrupten Literaturbetrieb immer als vielseitig gescheiterte Persönlichkeit gesehen. Aber mit seinem Ableben habe er nun seinem Werk einen Schlussstein gesetzt. Schon zu Lebzeiten habe A. J. Weigoni seinen Vorlass geordnet. Er hinterlasse keine Frau, keine Kinder, nicht einmal ein Grab. Seine Asche wurde auf einem anonymen Streufeld dem Wind überlassen.
Es gibt also keinen Nachlass. In gewisser Weise gilt das auch für diesen Nachruf.
Die Kunstfigur Weigoni aber lebt ja weiter – in einem lyrischen und prosaischen Gesamtwerk. „Poesie ist immer etwas Konstruiertes, das Erfinden einer Persona“, schrieb Weigoni in seinem, wie sich jetzt herausstellt, letzten Beitrag für eine Literaturzeitschrift, abgedruckt in der 57. Dichtungsring-Ausgabe „Das Unvollendete im Wort“ (2020). In diesem Beitrag verglich er sich mit Herman Melvilles Bartleby, der sich aus dem Leben zurückzieht mit den permanent geäußerten Worten: I would prefer not to ... Wie prophetisch, wie wahr! Als ahnte Weigoni seinen Künstlertod schon damals. Wie gut, dass er als Kunstfigur in seinen Büchern weiterlebt. Wie trostreich, dass auch Hagedorn lebt – online!
Ulrich Bergmann