KLICKS UND CLIQUEN

Synthesen + Analysen in der Matrix


Eine Kolumne von  Bergmann

Freitag, 18. Januar 2008, 17:04
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Zur Kritik der reinen Literatur

Keine Bojen auf hoher See,
nur Sterne... und Schwerkraft


Jeder hat seine Art zu schreiben, er gibt sich selbst die Regeln. Der Schreiber ist beim Schreiben allein. Er geht von sich aus und von der Welt. Der Autor macht sich im Erzählen kollektiv. Anders gesagt: Das Kollektive geht durch ihn hindurch - das ist dann gelungene Literatur.
Es ist die Crux vieler, nicht nur junger Autoren, dass sie allzu oft Tagebuchtexte schreiben, Weltschmerzmonologe, und darin ihren Beziehungsjammer ausgießen. In manchen Fällen geht das gut, nämlich wenn die Texte ins Allgemeine streben. Dafür ist eine gute Sprache Voraussetzung und die Abstraktion vom eigenen Ich in einem allgemein gültigen lyrischen oder epischen Ich, also durch Gestaltung, die von mir selbst weitgehend ab-sieht.

Was mir bei talentierten Schreibern oft fehlt, ist der narrative Kern (die Fabel, wie Brecht sagte) und eine echte erzählerische Ausgestaltung. Ich glaube, diese Autoren verweigern das Erzählen nicht aus künstlerischen Gründen, sondern aus Trägheit. Diese Trägheit heißt: Ich. Oder sie heißt: Ich und mein Weltbild. Es ist nicht die Angst, das Erzählte könnte an Authentizität verlieren, sondern Mangel an Mut. Es ist so leicht und bequem, im Ich-Tümpel zu baden. Es ist aber unmöglich, in so einem Tümpel ins Meer hinauszuschwimmen.

Das Format der Literaturforen im Internet (der Text soll möglichst Bildschirmgröße haben) und eine zu große Abhängigkeit von Kommentaren - beides führt leicht zur Erstickung einer schriftstellerischen Entwicklung. So haben wir auf der einen Seite die larmoyanten bis selbstverliebten Monologisten, auf der anderen Seite die Tempo- und Tageslyriker, die lyrischen Auskotzer und die Wiedergänger vom lyrischen Stuhl... Ich will sagen, es wäre besser, manche Polyskriptoren würden nicht alles und nicht immer publizieren.

Selbstdisziplin ist eine wichtige Voraussetzung für eine schriftstellerische Entwicklung, dazu gehört natürlich Geduld und das Aushalten des Scheiterns. Vor allem braucht der Schreibende auch Kenntnisse in Grammatik, er muss über einen ausgedehnten Wortschatz verfügen, dichterische Formen und Stile kennen, um nicht im Sumpf des Epigonalen stecken zu bleiben. Und er muss Mut haben, sich seines eigenen Stils zu bedienen, den er in mühseliger Arbeit vielleicht erschaffen kann.

Ich rede - das dürfte klar sein - nicht vom Texter just for fun (davon haben wir viel zuviel), sondern von dem Schreiber, dem es wirklich um Literatur geht und der nicht das lesen oder schreiben will, was er ohnehin schon kennt: Die Befindlichkeiten von ungezügelten Jammerlappen, die ihre Ich-Probleme zum Maßstab ihrer Weltbetrachtung machen und darauf hoffen, dass ihre Fans ihnen jedesmal zujubeln, wenn sie ein Ei gelegt haben.

Leider erstreckt sich meine Kritik partiell auch auf die nach meiner Kenntnis besten Autoren (die ich in dieser Kolumne bespreche). Es ist daher nicht falsch, sich immer wieder vor Augen zu führen, dass Literaturforen im Internet nicht die einzige Plattform sein dürfen, wenn ich mich weiterentwickeln und nicht stagnieren will.

[Siehe in diesem Zusammenhang meinen   OFFENEN BRIEF vom November 2005!]


MANIFEST

Habe Mut, dich zu erzählen!
Erzähle deine und andere Welten!
Habe Mut zu narrativen Texten!
Erzähle in neuen Welten von der alten Welt!
Erzähle in der alten Welt von neuen Welten!
Erfinde neue Erzählfiguren!
Erschaffe neue Motive!
Webe neue Netze von Bildern, Symbolen und Motiven!
Erschreibe dir eine eigene Sprache!

Hab keine Angst vor deinem Alleinsein beim Schreiben!
Geh aufs Ganze: Finde neue Formen, neue Worte, neue Sprachen!
Schreib Literatur, die höchsten Ansprüchen genügt!
Schreib aber so, dass du im Wesentlichen verstanden wirst!
Hol die Leser manchmal da ab, wo sie stehen, aber führ sie dann weiter!

Achte kein Tabu!
Achte nicht den Geschmack der Masse!
Schreibe nicht sensationslüstern!
Schreibe deinen Text als Sensation!

Sei dir bewusst, dass du als Autor ein Katalysator des kollektiven Bewusstseins bist!
Der Schriftsteller ist ein Steppenwolf!
Der Dichter ist ein Megaphon des Seins!
Er ist Ethiker!
Er ist der raunende Beschwörer des Imperfekts (Thomas Mann)!

Der Dichter ist ein Seher der Vergangenheit, der Zukunft und des Jetzt!
Der Dichter ist ein Schriftsteller ist ein Autor ist ein Schreiber!
Ein Schreiber der Seele!
Ein Schreiber des Geistes!
Ein Schreiber des Unbewussten!
Der Dichter verknüpft Bewusstes und Unbewusstes!
Der Dichter erschafft das Ungewusste!
Der Dichter denkt das Ungedachte!
Der Dichter beweist, dass alles Undenkbare gedacht werden kann!

Der Dichter ist eine Dichterin!
Die Dichterin ist ein Dichter!
Der Autor ist ein Schöpfergott!
Dieser Gott ist weiblich!
Diese Göttin ist männlich!
Der Dichter ist Er Sie und Es!

Das Ich des Dichters ist ein Kosmos!
Der Dichter ist sich selbst das große Du, das ihm gegenübersteht!
Der Dialog des Dichters mit sich selbst ist die Geburt einer neuen Welt aus Worten!
Der Text des Dichters ist der Extrakt aller möglichen Gespräche über die Welt!

Ulrich Bergmann

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Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag


 Theseusel (18.01.08)
...nach Platon
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