KLICKS UND CLIQUEN

Synthesen + Analysen in der Matrix


Eine Kolumne von  Bergmann

Mittwoch, 02. September 2015, 13:54
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BRIEFE AN HERRN ANDRÉ ÜBER DIE LITERATUR (7)

478. Kolumne

7

Lieber Fabian André,
vielen Dank für die Korrekturseiten meiner Texte für TEXTUR 8.
Anbei die fehlerfreien (im Grunde korrigiere ich ja da nur längst von mir korrigierte Seiten... aber Sie meinen zu Recht: Sicher ist sicher, und Sie werden bestimmt schon traurige Erfahrungen gemacht haben...) Textseiten zurück an Sie. Nur bei den Angaben zu mir bitte ich um Korrektur - auch für TEXTUR 9, wo ich das übersehen hatte: Bonn (oder Bonn - Bad Godesberg) statt Remagen-Oberwinter.
Kurze Bemerkungen zu den Themenvorschlägen:
Wer entscheidet - der Verleger (Sie) oder das Forum (wir alle?). Ich hoffe, Sie entscheiden, weil Sie ja auch das geschäftliche Risiko tragen.
HOMMAGES ist zwar sehr interessant, aber viel zu selbstbezogen und in der Summe zu langweilig. Besser ist es, wenn nur ein Autor, z. B. der Forum-Preisträger, darüber schreibt.
DAS WORT - das Thema tendiert zum Germanistischen, zum Essay hin, das wird (zu) schwierig für eine Zeitschrift für Dichtung. Auch hier die Gefahr, dass das Thema langweilt. Ich habe auch Zweifel an der Kompetenz der allermeisten Autoren.
FASZINATION MENSCH - Entsetzlich, das Thema führt sehr wahrscheinlich in eine unerträgliche Sentimentalität und Erbauungsmentalität.
SPRACHE - BRÜCKE ZWISCHEN LÜGE UND WAHRHEIT - siehe oben (Das Wort). Außerdem: Literaturtheoretische Ausführungen können zu einem ganz erbärmlichen Kitsch führen, wenn die Autoren kaum Ahnung haben. Das gilt auch für:
DICHTUNG UND WAHRHEIT - lieber nicht! Bloß nicht!
GLÜCK - dazu sage ich auch nein, weil das bei (zu) vielen Autoren wieder ins Sentimentale, Kitschige führt; wahrscheinlich auch zu ziemlich naiven Geschichten und Gedichten und Selbstbetrachtungen.
DIE ENTDECKUNG DER LANGSAMKEIT - schon eher, aber nur nicht in dieser Formulierung, die schon wieder in die Midlife-Erbauungs-Katastrophe führt. Allenfalls ginge m. E.: Langsamkeit / oder der Gegenbegriff: Tempo.
Ich schlage, weil so wenige geeignete Themen vorgeschlagen wurden, noch folgende Themen vor, um wenigstens neue Ideen anzustoßen:
STURM
LÜGEN
ZWEIKÄMPFE
OBEN UND UNTEN
VERFÜHRUNGEN
ANGRIFF UND VERTEIDIGUNG
ENTHÜLLUNGEN/ENTBLÖSSUNGEN
Nehmen Sie die Themen, die Ihnen am besten gefallen, bitte noch in die Forum-Liste auf.
Zum 60. Info für Forum Literatur gratuliere ich. Bemerkenswert ist auch der Mitgliederzuwachs im letzten Jahr. Herzlichst: Ihr Damonte


Lieber Damonte, das war schön mal wieder was von Ihnen zu hören. Dieser Literaturevent im Belgischen Haus zu Köln hört sich sehr interessant an und ich wäre dabei, wenn die Fahrt nicht so weit wäre, sorry! So werde ich ganz provinziell am 11.3. bei der Lesung von Romas' Latte macchiato im Stuttgarter Schriftstellerhaus dabei sein, nachdem ich auch von dort persönlich eingeladen wurde. Bin sehr gespannt, was die dortige Stuttgarter Literatur-Snobiety zu dem Roman zu sagen weiß. Hoffe sehr, Sie haben sich in Ihrer Bonn-Bad Godesberger Traumvilla schon gut eingelebt und dass Ihre Erwartungen erfüllt werden konnten. Ich denke oft an Sie: auch wenn wir uns - leider - räumlich fern sind, so sind Sie mir doch als ein kritischer Wegbegleiter nah. Für Ihre Lesung am Donnerstag wünsche ich Ihnen Glück und besten Erfolg! Ihr Fabian André


Lieber Fabian André,
Dank für Ihren Brief vom 23.3. mit dem Foto für TEXTUR 8 (Stadt) und das neue FORUM-Info! Das Foto von Michael Nether gefällt mir. Sie haben ohnehin für die Wahl und Zusammenstellung der Fotos eine ästhetisch sichere und glückliche Hand.
Vielen Dank für das beigefügte Exemplar E 7 (ein Geschenk? oder hatte ich das Exemplar bestellt? Ich behalte nicht alles im Kopf. Trotzdem, ich staune über mich selber, ich bin trotz Umzug voll funktionsfähig und finde alles.)
Ich bin nun neugierig, wie das neue Thema für E 10 entschieden wird und welches Thema beschlossen wird.
Im Info lese ich, dass Texte für E8 noch bis Mitte April abgegeben werden können. Das ist sehr großzügig.
Interessant ist auch das stetige Mitglieder-Wachstum. Ich gratuliere zu der Erfolgskurve.
Meine Lesung in Köln (die in der FAZ angekündigt wurde) war sehr schön und erinnerte, was den edlen Rahmen angeht, an Ihre Schloss-Lesung. Ich las „Kautskys Nachtgesang“. Nach den Osterferien organisiert eine junge Kollegin, die mich ein wenig verehrt (und mit der zusammen ich Ende Mai auf Studienfahrt mit Klasse 12 in der Toskana bin), einen Abend, an dem ich erstmals in der Schule mich zu meiner schriftstellerischen Arbeit bekenne und lese. Musik-Kollegen werden Kammermusik spielen, meine Schülerin Katrin Stange, die mit Gedichten schon in fünf Literaturzeitschriften veröffentlicht wurde, wird lesen, und andere Schüler werden musizieren. Vielleicht begründen wir eine Serie solcher Abende mit immer wieder anderen Kollegen und Schülern und ihren jeweiligen Fähigkeiten: Jugend forscht, Videofilme, besondere Reisen, politisches Engagement etc. Es können in diesem Sinne Podiumsdiskussionen stattfinden oder Talkshows (Schüler interviewen Lehrer - und umgekehrt!)... Ich werde am 22.4. drei neueste Texte lesen aus meinem Zyklus „Kritische Körper“, in dem es um Jugendliche und Gewalt geht.
Ich habe lange gezögert mit Texten in der Schulöffentlichkeit aufzufallen. Aber jetzt wissen es sowieso schon viele und es interessiert ohnehin nur wenige, und ich bin so fest im Sattel als Lehrer, dass ich mich jetzt nicht mehr scheue meine Sachen zu präsentieren. Jetzt bin ich auch alt genug und muss den Vorwurf nicht fürchten, das Schreiben sei etwa Kompensation für irgendein Zukurzgekommensein im Beruf. Im Gegenteil, der Beruf verlangt alle meine Kräfte. Das Schreiben ist viel leichter. Andererseits kann ich ohne Schreiben aber auch nicht sein. Es ist mir schon hart genug, wenn ich von Januar bis zu den Sommerferien (von ein paar Tagen in den Osterferien abgesehen) überhaupt nicht zum Schreiben komme, weil ich dann von den schulischen Aufgaben total absorbiert werde - Proben zu zwei Schülertheaterstücken, Vorbereitung der Gastspielfahrt nach Dresden und der Studienfahrt in die Toskana, Abiturvorbereitung meiner beiden Kurse in Deutsch und Geschichte... damit bin ich bis Ende Juni ausgelastet und dann so erschöpft, dass ich immer erst in der dritten Sommerferienwoche wirklich schreiben kann. Dann erst ist mein Unterbewusstsein zum Finger hin geöffnet. Zum Glück kann ich dann diese Schreibfähigkeit von Juli bis Weihnachten aufrechterhalten.
Die Rückkehr nach Bonn (wo ich seit 1955 schon mein halbes Leben, fast 30 Jahre, in fünf verschiedenen Wohnungen lebte) war der schönste und zugleich anstrengendste Umzug. Er kostete alles in allem 14.000 Euro (schon deswegen muss mein ARTHUR noch warten). Ich bin glücklich, und meine Frau auch. Wir haben jetzt auch fast alle Bilder aufgehängt. Und so geht es mir gut. Der Frühling kann kommen.
Ihnen wünsche ich nun viel Erfolg beim Herausgeben eines Mannheim-Buchs! Und natürlich auch einen echt guten Frühling! Herzlichst: Ihr Damonte
Lieber Fabian André, besten Dank für Ihre guten Wünsche! In der neuen Wohnung haben wir uns eingelebt - vom ersten Tag an (17.2.) war und ist das unsere Heimat! Ich wohne ja seit 1955 in Bonn und erst die letzten 11 Jahre ungefähr 10 km südlicher. Mir geht es gut. Ich schreib Ihnen bald mehr. Herzlichst: Ihr Damonte


Lieber Fabian André,
vielen Dank für Ihre lieben Grüße!
Zum Ms. Jörg Palitzsch, Logbuch, folgendes in aller Kürze:
Ich sehe das Ms. als nicht geglückte Komposition zweier Teile, die mit Zwischen-Lyrik miteinander verleimt werden. Es handelt sich im ersten Teil (MEINUNGEN) um vermischte Kulturreflexionen mit sehr verschiedenen Themen, bis hin zu den Miniaturen - eine Art Sammlung und vielleicht Ernte eines journalistischen Berufslebens, die weitergereicht werden soll. Da verlässt einer den Lärm der publizistischen Ereignisse und mahnt mehr Wesentliches an. Da hat er Recht. Er schreibt nicht schlecht, bringt auch Fakten, Kluges. Aber er macht es nicht wirklich spannend. Mir fehlt der direkte (selbsterlebte) Zugriff, der (Ereignis-)Faden mit mehr Logbuch-Adäquatheit.
Der zweite Teil (MENSCHEN) bringt fünf heimatgeschichtliche Porträts - so eine Art Kaleidoskop journalistischer Berührungen.
Beide Teile fallen auseinander - da rettet die Lyrik, die mich vom allerletzten Gedicht mal abgesehen auch nicht umhaut, nichts.
Gut ist die klare Sprache und Darstellung; allerdings ohne Eleganz, und es fehlen Point(ierung)en. Erfreulich ist die durchweg unsentimentale Darstellung, obwohl die Klage über zeitgeistige Unwesentlichkeiten und ein kleines (altersbedingtes) Räsonnieren hin und wieder anklingt. Stellenweise zu sentenziell.
Da Sie das Buch wahrscheinlich ohnehin herausbringen: Mindestens das überflüssige, zu lange und langweilige Vorwort sollte ganz entfallen. Und von den 4 Logbuch-Erklärungen genügen Nr. 2 und 3 - das wäre pointierter. Denn was ein Logbuch ist, weiß jeder Leser solcher Bücher.
Das Kapitelchen „Miniaturen“ würde ich ganz weglassen. Denn man spürt zu sehr: Das wurde notiert und soll auch noch unbedingt mitgeteilt werden, damit es nicht umsonst notiert wurde. Dabei sind diese Notizen viel zu unwichtig und ein zu schwacher Abschluss der MEINUNGEN, sodass es eine Abwertung des vorher Geschriebenen bewirkt.
GRUNDSÄTZLICH würde ich den zweiten Teil (MENSCHEN) nicht mit dem ersten zusammen herausbringen, auch die Gedichte streichen.
Die Porträts sollten überarbeitet und verbessert werden - noch plastischer in der Darstellung. Dann - vielleicht - Extra-Bändchen.
Fazit: Nur die (etwas spannender und pointierter formulierten, leicht gestrafften = gekürzten) MEINUNGEN herausbringen - ohne Gedichte und ohne MENSCHEN.
Das ist meine Meinung. Vielleicht treffe ich damit Ihre Gedanken.
Ihnen nun alles Gute bei der Arbeit an den TEXTURN und Lektorierungen!
Meiner Frau geht es besser! Ich bin glücklich darüber. Und ich fühle mich in meiner alten Heimat Bad Godesberg so wohl! Es geht mir gut. Anbei der Zeitungsartikel einer besonderen Lesung.
Herzlichst: Ihr Damonte


Lieber Damonte,
haben sie vielen herzlichen Dank für die Dokumente, die Sie mir schickten. Es ist schade: außer ein, zwei Mal am Telefon habe ich Ihre Frau nicht kennen lernen dürfen. Ein Glück, dass man Sie vom Dienst beurlaubte. Es wäre des Guten zu viel gewesen... Auf Sie kommt nun bald die Erfahrung der endgütigen Trennung zu - und da tritt auch die Frage in den Vordergrund: Was wird danach, wenn einmal der Vorhang zum Jenseits fällt - wenn auch wir/Sie zur Anderwelt/zum Schattenreich gehören? Die anstehende Trennung jetzt ist nur eine vorgezogene. Sie wäre sowieso etwas später gekommen. Ich kann jeden Ehepartner verstehen, der sich den gemeinsamen Lebensabend sehnlichst wünscht. Diesen goldenen Herbst des Lebens, bevor es Winter wird. Der Herbst, diese wunderbare Zeit voller Farbe und Ruhe vor dem langen Schlaf wird als gemeinsames Erleben Ihnen genommen. Sie werden diesen Herbst für sich allein gestalten müssen. Und dann steht ja noch eine weitere tief gehende Trennung an - die von der Schule. Was Ihnen bleibt, und da sind Sie bevorzugt vor so vielen, ist die Literatur und Ihr wunderbares Sprachtalent, mit dem Sie noch so viel zu Wege bringen können. Halten Sie sich bitte daran - denn es wird Ihnen schwerlich genommen werden können. In diesen für Sie so schmerzlichen Tagen herzlichst Ihr Fabian André

Lieber Fabian André,
ich danke Ihnen für diese sehr guten Worte. Ja, die Sprache bleibt mir. Das ist viel. Übrigens: Im Sommer ist die erde leicht - das stammt aus einem Gedicht Benns, es fehlt nur noch: - für Spaten... Ich freue mich Sie zu kennen. Wir sehen uns wieder, bestimmt. Herzlichst: Ihr Damonte

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