Film & Fußball
Eine cineastische Mannschafts-Kolumne
Die Kolumne des Teams " Film & Fußball"
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Wir sind jung. Wir sind stark.
von Dieter_Rotmund
...in Zusammenarbeit mit parkfüralteprofs
Jeder heute in Deutschland gemachte Kinofilm soll aussehen wie ein in Amerika gemachter. Ein unabänderliches Gebot. Die Zuschauer verlangen das so und die Professoren an den Filmhochschulen offenbar auch. Die Frage ist dann nur noch, ob es „internationalformatig“ hinterher tatsächlich auch ausschaut (oder nicht doch wie Festzeltgaudi für Halbbesoffene) - und ob sie sich unter Hollywood-Niveau das des Aufweck- oder das des Einlull-Kinos vorgestellt haben.
„Wir sind jung. Wir sind stark“ verknappt die Prozessbeobachtung darüber, wie Gewalt gegen andersartige Menschen entsteht, mit denen man in einer Stadt zusammenlebt, auf den Verlauf eines einzigen Tages. Ein Film, wo das auch schon gemacht worden ist, war „Do The Right Thing“ von Spike Lee (1988), in dem die Konflikte zwischen Italoamerikanern, Schwarzen und Koreanern in das Abfackeln des Restaurants des eigentlich allseits respektierten Sal mündeten.
Bei „Wir sind jung. Wir sind stark“ ist es das „Sonnenblumenhaus“, ein wegen seines Wandschmucks so genannter trister Plattenbau in Rostock-Lichtenhagen, der am Ende in Flammen stehen wird. Ja genau, jenes Lichtenhagen und der August 1992, als, weil im letzten Moment die eigentlich anvisierten osteuropäischen Zigeuner aus der „Zentralen Anlaufstelle für Asylbewerber“ evakuiert worden waren, der seit Tagen sich selbst berauschende Mob sich dem Abfackeln der Wohnungen einiger vietnamesischer Familien zuwandte, während die - wie zum Sommerfestival erschienenen - Rostocker jubelten und das Fernsehen live übertrug, die Polizei sich aber kurz mal verabschiedet hatte.
„Wir sind das Volk“, geht eine Zeitlang der Sprechchor auch hier. Auf diesen Spruch scheinen die Ostdeutschen stolz zu sein. Man kann ihn instrumentalisieren für so manches. Hier sind es nun nicht die grölenden Glatzen oder die Jogginganzugnachbarn auf ihren mitgebrachten Campingstühlen, die ihr Vivat damit rufen, als die ersten Feuerwerkskörper die Küchenfenster der Asiaten durchschlagen, vielmehr skandieren eine Zeitlang die Besonnenen „Wir sind das Volk. Keine Gewalt!“, bevor sich die Menge dann doch für das einfache „Deutschland! Deutschland!“ entscheidet, wie bei einer WM.
Damals, kann man heute in der Rückbetrachtung (aus dem Westen) feststellen, war Lichtenhagen 1992 so etwas wie die hässliche Nachgeburt der ja achso friedlichen Revolution von 1989. Zunächst wusste man nicht, was man davon halten sollte, war die DDR doch nun wirklich kein Einwanderungsland gewesen, ergo war es unverständlich, wieso da überhaupt ein solches Konfliktpotential entstehen konnte. Ungläubigkeit machte sich (im Westen) breit und dann die Erkenntnis: Da bricht ja doch der Eiter aus 40 Jahren oktroyierten Sozialismus auf. Im Grunde war es dort aber auch wie so oft anderswo: Die Erniedrigten und Beleidigten (nach: Dostojewski) suchten sich ein Ventil. Willkommen wollten hernach weniger Westler diese „Brüder“ aus dem Osten. Das ist verständlich: Das Büdchen um die Ecke (Köln hier mal als Beispiel), das seit vielen Jahren von einem freundlichen Türken geführt wurde, wollte man definitiv nicht abgefackelt wissen (die Kölner wollen grundsätzlich keine abgefackelten Büdchen, egal wer sie führt).
Zweifel werfen sich ein paar ja auf, ob man solche Augenblicke nationaler Schande, also: Aufforderungen zur Selbstkritik und Besserung, Pflichtübungen möglicherweise, versäumte Geschichtslektionen auf alle Fälle, mit der Bildersprache eines amerikanischen Unterhaltungsfilms in adäquaten Zugriff bekommt. Regisseur Burhan Qurbani, Sohn afghanischer Asylanten aus Leinfelden-Echterdingen (!), darf sich, was die Wucht seiner Bildfindungen und Stilisierung anlangt, auf eine Stufe mit Spike Lee, immerhin weltberühmt, stellen.
Aber sei die Zeitgeschichte, wie sie wolle, Film ist Film und Film hat seine Standarddramaturgien, wird auf deren Wiedererkennbarkeit hin gelesen und verstanden. Qurbanis Entscheidung, alles auf die Polarität zweier kleiner Menschengruppen zu konzentrieren, die sich aber erst am Ende, wenn es lebensgefährlich geworden ist, tatsächlich Auge in Auge gegenüberstehen, wird nicht unhinterfragt bleiben dürfen. Wir lernen auf der einen Seite eine junge vietnamesische Fabrikarbeiterin und deren Familie kennen, begleiten auf der anderen Seite eine auffällig chaotische, spontan und ungeschult wirkende Clique junger Rechtsaußen durch einen Sommertag. Außer dieser Gegenüberstellung enthüllt sich eine zweite Polarität, die zwischen dem Gymnasiasten Stefan, der unter den Neonazis lange Zeit wie ein hereingeschneiter Schlafwandler erscheint, und seinem Vater, Martin, dem einflussreichen Rostocker SPD-Politiker in seiner nicht auf die leichte Schulter genommenen Gewissensnot.
Als würden einen diese notorische SPD-Mut-, Visions- und Rückgratlosigkeit und aber schon auch die Abwesenheit einer Mutter zum Brandstifter, Terroristen und Beinahe-Mörder fast alternativlos vorherbestimmen, kommt das manchmal leider herüber. Dann wird dem Film seine „Fairness auch für die Täter“ bei gleichzeitig doch ganz unausweichlicher Glorifizierung jeglicher Jugendpower innerhalb des Mediums der laufenden Bilder zur Schwierigkeit.
Nachdem man sie einen Tag lang im Meer baden, erste, scheue Küsse ausprobieren, ihre Freundschaften aufs Spiel setzen und retten sehen hat, kann man den Tätern ein „gewisses Verständnis“ nicht mehr verweigern. Dem radikalen Skinpublikum, sollte sich ein solches in diesen Film je verirren, ginge es auf der Gegenseite nicht viel anders: Wenn man miterlebt hat, wie die Vietnamesin ihre blond gefärbten Strähnen gegen ihren Bruder durchsetzt, einer Arbeitskollegin hilft und mit deren Tochter, obwohl ständig „Schlitzi“ von ihr gerufen, spielt, findet man es wohl nicht mehr voll in Ordnung, wenn am anderen Morgen - nach der Schlacht - die Flaschensammlerkinder der Vietnamesin einen Stein ins Gesicht schleudern.
Zeitgeschichte in Quasi-Fiktion umzusetzen ist immer ein Spagat. Das Leben hat keinen klaren Spannungsbogen, außerdem haben die meisten Zuschauer von „Wir sind jung. Wir sind stark.“ ja noch im Hinterkopf, wie es ausgegangen ist. Die beiden Drehbuchschreiber, Qurbani und Martin Behnke, sind vermutlich den bestmöglichen Weg gegangen: Sich an die Fakten zu halten, aber den Charakteren die größtmöglichen erzählerischen Freiheiten zu gewähren.
Kurz vor dem Wechsel von Schwarz-Weiss zu Farbe, der übrigens im genau dem richtigen Moment erfolgte, kommt es zu einer langen Kamerafahrt, die wohl die beste Szene des Films ist: Gezeigt wird das bunte Panoptikum derer, die aus den verschiedensten Gründen zum Sonnenblumenhaus pilgerten. Dem Anschein danach sind nicht wenige darunter (zumindest im Film) , die sich einer gewisse Aufmerksamkeit, der damals immer teurerer werdenden Währung unserer Gesellschaft, vergewissern wollen. Vor allem für später, damit sie uns dann diese ihre „Wahrheit“ erzählen können, denn sie waren ja damals dabei. Die Kamerafahrt ähnelt der (auch ähnlich langen) von „Children of Men“ (Alfonso Cuaron 2006), als Theo Faron (Clive Owen) sie einzig verbliebene Hoffnung der Menschheit unter Granatfeuer in Sicherheit zu bringen versucht. Die Schauplätze sind ganz ähnlich: Ghettos der Perspektivlosigkeit.
Gedreht wurde „Wir sind jung. Wir sind stark“ nicht in Rostock, sondern in Halle-Neustadt. Dort scheint sich die exemplarische DDR-Satellitenstadt-Tristesse fürs Museum erhalten zu haben. Den beklemmenden Waschbetonkosmos zeigte uns vor Monaten schon der Polizeithriller „Wir waren Könige“. An dem ließe sich im Vergleich ganz gut studieren, wie jenes Sei-du-Hollywood-Gebot innerhalb der deutschen Filmkultur einen veranlassen kann, irgendwelche super knallharten, lebenssatten Thriller zu fabulieren, in denen Hartz, Neonazis oder die Asyldebatte allerdings nie vorkommen.
In „Wir sind jung. Wir sind stark“ treten dafür, nicht zufällig vielleicht, in Protagonistenrollen zwei Schauspieler auf, die im Jahr 2014 in zwei anderen aus dieser schmalen Riege neuer rauer Filme zu sehen waren. Devid Striesow, hier der Politiker mit dem Fleck auf dem Hemd, war in „Zeit der Kannibalen“ ein gleichfalls gehetzter wie gedruckster Systemprofiteur mit schlechtem Gewissen. Jonas Nay in „Hirngespinster“ bereits schon mal ein Sohn, der die richtigen Worte nie finden konnte, seinem Vater zu sagen, dass es so nicht weitergeht.
Anzumerken ist „Wir sind jung. Wir sind stark“ der umbedingte Wille, ein „episches“ Werk zu sein. Nicht zu verwechseln mit dem „epic“ der x-ten Mittelalter-Elfen-Zwergen-Wald&Wiesenfiktion, sondern eher im Sinne des Helmut-Kohlschen „historischen Moments“. Wobei unser Alt-Dauerbundeskanzler sicher andere, vor allem erhabenere Momente im Sinn hat. „Wir sind jung. Wir sind stark“ versucht uns durch die schiere Länge - immerhin 123 Minuten - zu vermitteln: Das hat großes Kino zu sein. Wer es bis zum Schluss nicht so verstanden hat, bekommt es durch den ellenlangen Abspann nochmals deutlich gesagt: Da haben hunderte von Menschen daran mitgearbeitet, das ist gefälligst „groß“ zu nennen. Genau aber das ist das größte Manko des Films: Er ist einfach zu lang. Die Szenen dehnen sich, ohne mehr zu bieten. „Verdichten, verdichten, verdichten!“ heißt eigentlich das Credo einen guten Filmschnitts. Indes, die Macher von „Wir sind jung. Wir sind stark“ haben dies missachtet, zum Nachteil des Films. Nichtsdestotrotz: Seit ein paar Jahren sieht der aufmerksame Kinogänger ja lieber ein großangelegtes Scheitern als die auf Risikolosigkeit gebürsteten sonstigen, 08/15-Werke: Schweighöfer spielt die immergleichen Beziehungskomödien, Akin seine Multikulti-Klamotten, Herbig die Comic-Verfilmungen von Vorlagen, die ein Scheitern praktisch unmöglich machen. Da befindet sich „Wir sind jung. Wir sind stark.“ dagegen abseits des Mainstreams, auch wenn er manch aktuellen pädagogischen Ansatz verfolgen mag (d.h. Lehrer können mit ihren Schülern in diesen Film gehen und danach wacker diskutieren, was ihnen der Film sagen sollte), also mag man ihn trotz einer gewissen Beflissenheit von ganzen Herzen weiterempfehlen wollen und können.
Wie ein kleines Frühlingsaufbrechen in der deutschen Kinoszene ist das. Während man sich sonst doch fast gar keine Mühe machen darf, außer, alles mit dieser allseitigen werbeästhetisch aufgemotzten, politisch korrekten Spaßigkeit zu verodeln - Schweiger, Hallervorden, „Honig im Kopf“ - Kreuzpaintner, Ullmann, „Coming In“ - Decker, M’Barek, „Traumfrauen“ - Wortmann, Vogel, „Schoßgebete“ - Goller, Makatsch, „Alles ist Liebe“ - Schweighöfer, Beck, „Vaterfreuden“ - Petry, Korittke, „Doktorspiele“ - Thorwarth, Bleibtreu, „Nicht mein Tag“ - Meyer Price, Herbst, „Männerhort“ - Buck, Fitz, „Die Vermessung der Welt“ - Jopp, Heinze, „Lügen und andere Wahrheiten“ - Fitz, Hübchen, „Jesus liebt mich“ und so weiter und so weiter und so weiter ... geht hin und wieder einer her und macht es: packendes Kino aus deutschen Landen. Wie die Namen Burhan Qurbani oder Baran bo Odar („Who Am I - Kein System ist sicher“) andeuten könnten: Das starke „Wir“-Volk ist dazu aber eher nicht in der Lage.