Film & Fußball

Eine cineastische Mannschafts-Kolumne


Die Kolumne des Teams " Film & Fußball"

Donnerstag, 05. November 2015, 16:45
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The Wire

von  Lala


Anmerkungen zu: http://www.imdb.com/title/tt0306414/

Dass die Meinungen zu The Wire zwischen himmelhochjauchzend und total langweilig schwanken, wundert mich nicht. Es ist m .E. auch keine Frage der Intelligenz oder anderer superiorer Merkmale oder niederer Instinkte ob man The Wire großartig findet oder vollkommen überschätzt und langweilig.

Die Serie wird nicht funktionieren, wenn man zu keinem der Charaktere eine Bindung aufbauen kann. Wenn es einem egal ist, was mit Lester, Jimmy, Stringer Bell, Omar, The Bunk, Kima etc. pp. passiert, dann ist es einem auch egal, was mit Namond, Randy oder Michael passiert. Es berührt dann eben nicht und dann intressiert's auch nicht. Wenn die Figuren die falsche Sprache sprechen, dann kann's noch so gut sein, auch ich würde eine solche Serie oder ein solches Buch nicht weiterlesen, egal was die Fan Boys schreiben.

Die Sopranos habe ich dreimal probiert und hatte nie Lust auf die zweite Folge der ersten Staffel bekommen. True Detective habe ich dagegen durchgesaugt, Boardwalk Empire empfand ich als Zuckerbäckerei (viel Oberfläche) und The Wire dagegen von A-Z grandios. Möglicherweise war es von Vorteil, dass ich keinerlei Erwartungen hatte, als ich die erste Folge schaute. Auf so Zeugs wie "Das Beste ever" kann ich aber gut verzichten.


Worauf muss man gefasst sein bei "The Wire"? Es ist keine Krimi-Show und innerhalb der Folgen wird nicht ein Fall oder ein Problem bis zu einem Schluss, einem Fazit, gewälzt. Es geht bei The Wire nicht um einen Detective vs. einen Drogenboss mit abschließendem High Noon, nicht um einen Typen und dessen Entwicklung, nein, es geht - auf fünf Staffeln betrachtet - um nicht weniger als eine Zustandsbeschreibung der amerikanischen Großstadt. Stellvertretend: Baltimore. Die Serie hätte auch Baltimore heißen können. Warum "The Wire" dennoch ein treffender Titel ist, zeigt sich in der Machart der Show.

Wer die fünf Staffeln - egal, ob gähnend oder begeistert - gesehen hat wird bei dem Begriff "Show" vermutlich zusammenzucken. Mit Show hat diese Serie wenig zu tun. Soviel wie Knäckebrot mit Schokolade. Man muss schon eine ganze Weile kauen bis es süß wird. Es geht nicht um Stars, es geht nicht um running gags oder Äußerlichkeiten, nicht um die Oberfläche. Wobei Oberfläche geil sein kann: "Peaky Blinders" hat, wie ich finde, eine sehr coole Optik, tolle Ausstattung und eine kongeniale Musik. Bei The Wire wird die Polierung der Oberfläche strikt gemieden. Musik? Nur am Anfang und ansonsten nur dort, wo sie auch gespielt und von den Charakteren antizipiert werden kann. Musik als Mittel zur emphatischen Steigerung? Findet nicht statt. Außer in der Schlusssequenz einer jeden Staffel.
So nimmt es nicht Wunder und passt zum Titel, dass der Zuschauer auch einmal die Charaktere in schwarz-weiß via Fahrstuhlkamera im Lift beobachten darf, während sie was tun? Erraten: nichts. Die Bilder sind so spektakulär, wie man es bei einer Abhörung, bei einer anonymen Bespitzelung erwarten darf. Das klingt zäh und wer keinen Bezug zu wenigstens zwei, drei Charakteren aufbauen kann, der wird nicht glücklich werden.

Zusätzlich, als wenn es nicht schon reichte, muss man darauf gefasst sein, dass man einen Einstieg ohne Exposition verpasst bekommt. Einen Einstieg in eine episch breit geratene soziologische Studie mit gefühlten hundert Figuren über die amerikanische Großstadt. Die einzige Exposition, die man zu dem ganzen Werk, zu allen fünf Staffeln bekommt, ist der Einstieg in die erste Folge in Form einer Parabel: "Who shot Snot?" Die Geschichte von Snot ist idiotisch, aber sie passierte jeden Freitag. Bis es Snot erwischte. Jeder wusste was passieren würde, keiner unterbrach die Kette und die Frage des Detective "Warum?" wird mit einem irritierten Blick und mit: "It's America. It's all in the game." beschieden. Das wars und dann ist man schon in einem Gerichtssaal, in den "Projects" (Ghetto), in den Hinterzimmern des Präsidiums, der Drogendealer, im Fahrstuhl, an der Bar oder mit Shitbirds auf der Straße. So flugs, so schnell, so hintereinander und durcheinander ohne einander vorgestellt zu haben und nur sehr zäh schält sich heraus, dass die Polizeiführung, ohne es zu wollen, in einen Fall gezerrt wird, der mit der Niederlage vor Gericht statistisch gesprochen: seinen Zweck schon voll erfüllt hatte.
All die Figuren werden uns unhöflich vor die Nase gesetzt und machen ihr Ding und wir beobachten sie quasi so, als ob wir von einem Überwachungsmonitor zum nächsten switchen.
Die großartige Figur Frank Underwood (House of Cards) ist das andere Extrem: sie spricht in die Kamera zu uns. Das ist doch mal nett. Im Grunde genommen weiß Frank Underwood, dass auch er nur eine Figur in einem Drehbuch ist. Die Figur von Frank Underwood kann das reflektieren und genau damit spielen und uns so ganz wunderbar an der Hand durch seine Schlachtplatte führen.
Die Figuren in The Wire versuchen alles, um zu verhindern, als Figuren erkannt zu werden. Würden Sie uns bemerken, würden sie nicht mehr sie selbst sein. Sie sind so authentisch wie möglich (ja eben gewöhnlich oder schrecklich banal) und es ist daher auch nicht verwunderlich, dass die "echten" Figuren, die Vorlagen für die Figuren in The Wire, immer mal wieder so etwas wie einen Cameo Auftritt haben.
Aber das Paradoxon einer "Show der Authentizität" ist absolut begründet. The Wire will einen authentischen Blick auf die amerikanische Großstadt werfen und jeder Verdacht, man sei auch nur eine weitere TV-Show, muss im Keim erstickt werden, sonst funktioniert es nicht bzw. machen sich die Macher - die Abhörer - angreifbar. Damit fällt auch der Shoot Out und das Spektakel am Ende aus und genau das wird auch innerhalb der Serie reflektiert. Und trotzdem ist es ein Spektakel. Ein zunehmend trauriges Spektakel. Wobei Spektakel im Sinne eines spektakulären Puzzles verstanden werden will:
Die vielen Blickwinkel, Bilder von den Figuren - ob sie privat oder im Beruf gezeigt werden -, sie fügen sich ganz allmählich zu einem Bild des Irrsinns zusammen. Am "Ende" steht dann nicht mehr wie in einer klassischen Krimi Show die Frage "Who dunnit?" im Raum, sondern: Wie unterbricht man, wie stoppt man diesen Scheiß, der scheinbar ansatzlos begonnen hat und dann immer weiter und weiterrollt? In der ersten Folge der zweiten Staffel wird das wiederkehrende Motiv des Puzzles durch ein Kirchenfenster symbolisiert, welches aus etlichen Teilen besteht und welches, einmal zusammengefügt nur neuen Streit, nur neuen Scheiß in die Welt bringt.

Zur Untermalung noch drei Zitate aus der ersten Folge der ersten Staffel: "Scheiße rollt immer bergab", "Die Befehlskette" ("The Chain Of Command") muss eingehalten werden und "Wir sind nicht hier, weil wir so gut sind, sondern weil wir wissen, wie man die beste Statistik hat."
Wie funktionieren wir innerhalb von Hierarchien? Wie gut erledigen wir innerhalb dieser Hierachien unseren Job und wie gut lässt man uns unseren Job erledigen? Oder können wir die Zwangsläufigkeiten durchbrechen? Aber was passiert, wenn wir um unseren Job fürchten müssen? Was sind die Zwänge die, die Scheiße produzieren?

Ein exemplarisches Beispiel dafür ist der "War on Drugs" wobei der Zuschauer schnell lernt, dass mit Drogen zu dealen ähnlichen Businesszwängen gehorcht, wie eine Stadt zu regieren. Der War on Drugs ist das rote Band, welches sich durch alle Staffeln zieht, aber er ist es auch von dem sich die Welt der Docks, der Arbeiter, der Schule, der Presse und die der Politik erschließen lässt.

Alle Teile sind wichtig, sagt ein Ermittler während einer Folge und das ist das Grundprinzip von The Wire: kein Charakter handelt wirkungslos, kein Charakter handelt ohne äußeren Zwang und spätestens mit der vierten Staffel: kein Charakter wird aus dem Nichts geboren.

Der War on Drugs dauert bekanntlich noch an und so gesehen kann auch The Wire keinen Schlusspunkt setzen. Es ist nur eine Zustandsbeschreibung und wenn ich The Real News oder auch den Blog von David Simon (dem Erfinder der Serie) heute lese, dann scheint der Irsinn noch extremer geworden zu sein und der War on Drugs noch unverhohlener ein War on the Poor zu sein als jemals zuvor.

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Kommentare zu diesem Teamkolumnenbeitrag


 Dieter_Rotmund (07.11.15)
Serienplakat und Titel lassen darauf schließen, dass es in der Serie um das Zeitungsgeschäft geht. Verwirrend ist, dass das dennoch nicht so ist?
Übrigens gibt es vom Hersteller WASA eine Knäckebrot-Schokoladen-Kombination zu kaufen!

 Willibald (09.04.20)
Wowwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwww, das ist eine lange und gute Kolumne.



Kommentar geändert am 09.04.2020 um 11:17 Uhr
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