Sehnsucht nach einer besseren Welt

Bericht zum Thema Menschenrechte

von  ManMan

Illustration zum Text
(von ManMan)
„Fair Play“ in der „Goethe-Stadt“ Wetzlar

Als ich um 8 Uhr an die wunderschöne alte Lahnbrücke kam, war diese noch in leichte Nebelschwaden gehüllt. Es kündigte sich ein schöner Sommertag an.
Ich stoppte das Auto auf  der Brücke. Mein erster Blick galt dem Wehr zur Rechten, wo das Wasser hinabrauscht. Ja, von hier oben würden die Gestalten mit den großen Einkaufstüten klein genug sein. Sie sollten wie Flüchtlinge aussehen, die versuchten, in Europa an Land zu gehen und die von weitem, also von der Brücke, dabei beobachtet werden.  Das versprach spannend zu werden. Aber bis dahin waren noch drei Stunden, und in denen hatten wir allerhand zu tun.
Ich lud diverse Kartons mit Materialien und den bewährten Tapeziertisch aus. Das Auto musste auf den Parkplatz. Konnte ich die Sachen hier stehen lassen?
Während ich mich noch nicht entschieden hatte, kamen bereits Männer und Frauen von anderen Gruppen, um ebenfalls ihre Sachen auszuladen. Eine Gruppe, die sich für die Wasserversorgung in einem westafrikanischen Land stark macht, Globalisierungskritiker von attac und die Betreiber des örtlichen Eine-Welt-Ladens. Unten am Wehr machten sich bereits zwei junge Männer an einem Schlauchboot zu schaffen. Ich kannte sie von der Asylgruppe und winkte ihnen zu.
Dann erkundigte ich mich, wo unser Amnesty-Stand aufgebaut werden sollte und brachte die Kisten und den Tapeziertisch dorthin.
Als ich vom Parkplatz zurückkam, herrschte unten in der Grünanlage bereits emsiges Treiben. Die Pavillons wurden aufgebaut. Auch bei uns waren inzwischen Sonja und Brigitte erschienen. Thomas von attac kam mit einem Transporter und lud aus, was er für alle organisiert hatte. Wir bauten den Stand auf, positionierten rechts daneben eine Torwand und links die Gasflasche für die Luftballons.
Der Nebel hatte sich inzwischen verzogen und der Sonne Platz gemacht. Gegen 9:30 kam Frau K. und begrüßte uns mit Handschlag. Sie vertrete den Oberbürgermeister, der leider verhindert sei, weil er Geburtstag habe und wolle um 10 Uhr die Aktion eröffnen. Frau K. weiß immer Worte zu sagen, die sie als passend empfindet.
Weitere Prominenz erschien. Die örtliche SPD-Bundestagsabgeordnete gab sich sehr solidarisch, spendete Geld, nahm Amnesty-Schweißbänder mit dem Aufdruck „Gold für Menschenrechte“ für ihre Kinder mit und versicherte, sie werde unser Anliegen im Bundestag zu Gehör bringen.
Nach der Eröffnung durch Frau K., die nicht sehr lange dauerte, kamen die ersten Kinder an unseren Stand, um Luftballons mit Karte steigen zu lassen.
Andere versuchten, die beiden Löcher in der Torwand zu treffen. Mittlerweile tummelten sich am Amnesty-Stand ein halbes Dutzend Männer und Frauen. Immer wieder lockten sie Passanten an den Stand, baten sie um eine Unterschrift gegen die zwangsweise Rückführung von Asylbewerbern in den Irak oder diskutierten darüber, wie wirksam Briefe an die Regierungen  seien.
Um 10:45 Uhr begab ich mich auf die Brücke. Unten am Wehr waren die Vorbereitungen abgeschlossen. Um 11 Uhr war es dann so weit.
Elf Männer und Frauen gingen durch das knietiefe Wasser in die Mitte des Flusses. Zum Teil hatten sie sich an die Hände gefasst, um einander abzustützen, zum Teil trugen sie große, karierte Taschen mit ihrer Habe. Flüchtlinge eben.
Plötzlich ertönte von der Brücke eine Megaphonstimme: „Halt! Stehenbleiben! Hier spricht die FRONTEX! Sie habe nicht die Erlaubnis, an Land zu gehen!“
Die „Flüchtlinge“ hielten erschrocken inne. Man konnte sehen, wie sie miteinander tuschelten. Der „Grenzer“ wiederholte seine Aufforderung mehrmals. Die ersten Flüchtlige fielen vor Schwäche ins Wasser. Andere wollten ihnen helfen und schafften es nicht. Schließlich lagen sie alle im Wasser. Die Megaphonstimme schwieg.
In diese beeindruckende Stille hinein ertönte dann, von mir vorgetragen, das Gedicht

klagen aus dem meere


die seelen derer die
geschleppt und fortgelockt

im sturm unter das boot gerieten
verdursteten vor ihres paradieses toren
hinterrücks erstochen wurden von den mitbewerbern:

sie senden nachts ihr licht auf wellenkämme
die tags der karge schaum bedeckt
da spiegelt sich der rote mond
gefärbt von ihrem blute

sie saugen wasser ein und speien es dann aus
über versunk'ne städte und vulkane
bis der meeresboden bebt

hört:
wie ihr ruf gellt aus der tiefe

die möwen tragen
ihre klagen in den wind und
aus den wolken fallen
sturzbäche auf uns herab


Als ich das Gedicht vorgetragen hatte, waren alle Umstehenden still. Noch immer lagen unten die „Flüchtlinge“ im Wasser. In diesem Moment überkam mich die Vorstellung, wie es für einen Urlauber ist, wenn er mit diesem Problem konfrontiert wird.
Am Mittag startete Joachim einen Lauf Jugendlicher. Jeder, der startete, hatte einen Sponsor, der für den Lauf einen beliebigen Betrag für die Erdbebenopfer in China spndete. Die jungen Leute kamen ganz schön ins Schwitzen, und die Summe, die sie „erliefen“, war beachtlich.
Gegen 14 Uhr begannen wir damit, die Stände und Pavillons abzubauen. Alle Beteiligten, mit denen ich sprach, sagten, die Mühe habe sich gelohnt. So mancher habe bei ihr gestaunt, sagte Susanne, als er gehört habe, dass in China für Zigarettenschmuggel die Todesstrafe verhängt werde. Und mehr als 50 Luftballons hatten die Kinder starten lassen und ihnen sehnsüchtig nachgeblickt. Sehnsucht war überall spürbar. Sehnsucht nach einer besseren Welt.

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Kommentare zu diesem Text

Caterina (46)
(17.08.08)
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Mimito (24)
(23.08.08)
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