Leise lasse ich die schwere Haustüre hinter mir ins Schloss gleiten, wenn ich mich kurz nach Mitternacht mit dem Hund zur letzten Runde durch mein kleines Örtchen aufmache. Ich will die Stille nicht erschrecken, die gerade erst erwacht ist und sich wie ein dämpfender Schutzschleier auf Häuser, Bäume und Straßen gelegt hat. Stille, so fern jeglicher pulsierenden Hektik des Tages einer kleinen Stadt, die wie jede Nacht in einen tiefen Schlaf versunken zu sein scheint, wenn ich mit der Dunkelheit durch die Gassen wandere.
Stille, nur begleitet vom sanften Rauschen des leichten Windes, der sich in den Blätterwipfeln der alten Bäume verfängt und ihnen tanzendes Leben einhaucht, ganz weit dort oben über mir und zärtlich wie das liebevolle Flüstern der wohltuenden Müdigkeit, wenn man wieder heimgekommen ist und sich der Schwere des Schlafes hingibt. Fast schon zaghaft, das kaum wahrnehmbare Klacken der Pfoten des Hundes auf dem Asphalt der Bürgersteige, von Baum zu Baum schlendernd, sein Revier markierend und immer wieder innehaltend, als würde er der Stille der Nacht seinen Respekt zollen.
Hier und da noch ein paar erleuchtete Fenster, hinter denen Menschen und ihre Erinnerungen leben und zu denen ich mir zuweilen Geschichten ausdenke, nachts, wenn ich durch die stille Dunkelheit meines Dörfchens gehe. Frisch die zugleich belebende und beruhigende Luft, die ich tief einatme und die so wenig von den Gerüchen eines Tages hat. Faszinierend, dass es immer wieder etwas Neues zu entdecken gibt, in solchen Nächten. Dort ein imposanter Schornstein, dessen filigrane Rauchgirlanden sich ihren Weg in die Weiten des Himmels bahnen, hier eine in den Stein der Wand eingemeißelte Inschrift, die davon erzählt, wer schon vor fast hundert Jahren dieses Haus mit Leben erfüllt hat.
Wie weit entfernt dann die graue, brutale Realität des Alltags zu sein scheint. In so einer Nacht. Die Welt um mich herum hat schon lange begonnen, sich zu wandeln und hat fast unbemerkt die Unbeschwertheit des Seins verschluckt. Sie ängstigt mich, diese heutige Welt, sie beunruhigen mich, die Menschen, die sich zunehmend verändert haben und ebenso wie ich nicht verstehen können, weshalb sie so aus den Fugen gerät. Diese Welt. Dinge erleben zu müssen, von denen man nie gedacht hätte, dass es sie gibt.
So laut und so aggressiv, die Welt. Und die Menschen.
So leise und irgendwie sanftmütig, die alten Gaslaternen, die am Ende des Spaziergangs durch den kleinen Park gegenüber meinem Zuhause mit ihrem schummrig milchigen Licht den Weg zurück ins Warme weisen. Von Weitem dringen noch leise Gesprächsfetzen anderer Menschen in meine Ohren und auf ihrem Weg wohin auch immer – als ich ebenso leise wieder meine Haustüre öffne, wohlig müde und auf dem Weg unter das wärmende Plumeau meines Zuhause seins, meiner sicheren Zuflucht vor dieser Welt da draußen, die immer noch so faszinierend und doch gleichzeitig so erschreckend geworden ist. So erschreckend und so hilflos. Diese Welt und die Menschen.
So fassungslos, dass sich Krieg wieder buchstabieren lässt.
Wer weiß schon, wie es weitergehen, wie es morgen sein wird. Wer weiß schon, wie viele Morgen es noch geben wird, heute und jetzt, in dieser Welt und mit Allem, was und wie sie jetzt ist und niemanden mehr loslässt.
Letzte Gedanken und Erinnerungen an andere, friedlichere Zeiten, bevor der Schlaf mich auf die Reise in meine Träume entführt und mir erzählt, wie es einmal war. Irgendwann und irgendwo und mit der Hoffnung auf ein besseres Morgen.
In dieser Welt und in der Stille der Nacht.