Grabulski und Herrn Nasemanns respektlose Tat

Schundroman

von  RoRo

Die folgende Geschichte trug sich vor vielen Jahren zu, als ich noch jung und hoffnungsfroh war.

Es war stockfinster, als Benni gegen 22 Uhr sein Auto vor der verlassenen Halle parkte und ausstieg. In seinem Kopf spukten garantiert erotische Phantasien. Er und Ina. In der maroden Werkstatthalle einer Spedition wollte er sie in dieser Nacht für sich zurück gewinnen. Möglich, dass er sie sogar um Verzeihung für seine böse Tat bitten wollte.
Ich war aber sicher, dass er ihr hatte weiß machen wollen, dass sie selbst Schuld daran war, dass er ihr eine reingehauen hatte.
Sein Pech, dass er nicht ahnte, welche Überraschung und gerechte Strafe ich für ihn in diesen dunklen Mauern vorbereitet hatte.

Ina Rohwedder war der Sonnenschein meines tristen Büroalltages während meiner Zeit in der Kundenbetreuung der Wiversa-Versicherung. Ich war zwar damals liiert, aber mit Ina hätte ich jederzeit einen Seitensprung gewagt.
Sie zählte knapp zwanzig Lenze, hatte lange blonde Haare und eine Figur, die alle meine männlichen Kollegen zu den wildesten Phantasien animierte.
Der Wahrheit halber muss ich allerdings gestehen, dass sie mir gegenüber stets freundlich war, und keinem höflichen Plausch auswich. Ich spürte aber, dass sie nie mehr wollte, als eine nette Kollegin zu sein.

Es war eine Zeit, in der Computer noch nicht in jeder Firma vorzufinden waren, geschweige denn auf privaten Schreibtischen standen. Alle wichtigen Vorgänge wurden noch mit der Schreibmaschine auf Papier festgehalten. Die Geschäftspost, die Rundschreiben, die Quartalszahlen, die Anweisungen der Direktion und vieles mehr.
Jeden Morgen verteilte Hannes, das Faktotum in der Verwaltung unseres Arbeitgebers, die Post und andere wichtige Schriftstücke an die jeweiligen Mitarbeiter. Hannes stand kurz vorm Ruhestand und er machte seine Arbeit korrekt, meistens jedenfalls.
Er trug stets einen Kittel, von dem ich annahm, dass er mal grün gewesen sein musste. Auf einem kalten Zigarrenstummel kauend schlurfte er ohne Hast durch die Flure und Büros, und wenn man mit ihm plauderte, konnte man sich darauf verlassen, zotige Witze zu hören, die noch älter waren als er selbst. Seine Eitelkeit verbot es ihm, eine Brille zu tragen, die seine starke Kurzsichtigkeit hätte korrigieren können. Oder er wollte diese Tatsache einfach nicht akzeptieren.

Und so fand ich eines Morgens unter meiner Post einen Brief an Ina.
Von Hand adressiert, ohne Absender, und in einem hellblauen Umschlag.
Verständlich, dass ich nicht reklamierte, hatte ich doch somit einen Grund, dieser Augenweide nahe zu sein, indem ich ihr den Irrläufer persönlich überbrachte.
Meine Neugier überredete mich meine Zurückhaltung aufzugeben.
Irgendjemand hier im Haus knabberte an meiner Rose. Und ich musste wissen, wer das ist. Also öffnete ich das verdächtige Couvert mit einem Kniff, den ich hier nicht näher erläutern möchte, sodass niemand etwas von meinem Affront bemerkte.
Mein Verdacht sollte sich bestätigen. Der Schreiber zuckerte darin etwas von Liebe und bat dringend um ein Rendezvous. Der Brief endete wenig geistreich mit den Worten:
„In ewiger Liebe, Dein Benni“.
Jetzt hat dieses Monster einen Namen, dachte ich. Benni! Das kann nur dieser gelackte Benni Nasemann vom Außendienst sein. Der immer so tat, als wären die Versicherungsvertreter die einzigen Stützen der Firma, und wir von der Verwaltung wären lediglich Parasiten.
Ich lief bei der nächsten Gelegenheit die vierundzwanzig Treppenstufen hoch in die Statistikabteilung, in der Ina arbeitete. Leider war sie nicht an ihrem Arbeitsplatz. Pech gehabt. Ein wenig enttäuscht legte ich das blaue Couvert auf ihren Schreibtisch und ging wieder.

In der folgenden Nacht jedoch dachte ich nach und kam zu dem Schluss, dass ich keinen plausiblen Grund hatte, eifersüchtig zu sein, oder gar in die Affäre einzugreifen.
War ich doch bereits ein halbes Jahr mit meiner Gespielin zusammen, war mindestens zehn Jahre älter als Ina und hatte somit kein Anrecht auf ihre Aufmerksamkeit.

Am nächsten Morgen, als Hannes mir meine Post brachte, handelte ich konsequent und klärte ihn auf.
„Hannes, mein alter Freund und Kupferstecher“, sagte ich. „Du bist so blind wie die Fensterscheiben in unserem Archiv. Wenn du die Post sortierst, und du siehst einen hellblauen Umschlag, dann schau genau drauf, denn der ist garantiert für die Ina Rohwedder, oben in der Statistik. Jedes Mal muss ich deine Arbeit korrigieren und zwei Stockwerke hoch, um die Briefe an die richtige Adressatin bringen.“

„Aber Grabulski, was regst du dich denn so auf?“, antwortete er, schob seinen Zigarrenstummel von einem Mundwinkel zum andern und schlug mir seine Pranke auf die Schulter. „Das hab ich doch absichtlich gemacht, damit du auch mal was Schönes zu sehen bekommst, ha ha.“

Dann aber, etwa zwei Wochen nachdem ich den Liebesbrief geöffnet hatte, sah ich Ina in der Mittagspause in der Kantine. Und was ich beim Blick in ihr hübsches, von goldenen Locken umrahmtes Gesicht sah, versetzte mir einen Schlag in die Magengrube.
Ihr linkes Auge war von einem Veilchen verunziert. Mir war sofort klar, dass nur einer für diese ungeheuerliche Körperverletzung in Frage kommen konnte: Benni Nasemann!
Wahrscheinlich wollte sie nicht so wie er, und da wurde dieses Arschloch handgreiflich.

Man fragt sich doch: Was geht in den Köpfen solcher Leute vor, die ihren Mitmenschen solch sinnlose Gewalt antun?
Typisch Nasemann: viel Ego, wenig Hirn.
Den Rest des Tages verbrachte ich damit, mir eine adäquate Rache für meinen Sonnenschein auszudenken.

Am Freitagmorgen trat ich eine Stunde früher als üblich durch die Drehtür des Haupteinganges der Wiversa-Versicherung. Schnurstracks ging ich zur Postverteilerstelle.
Von Hannes war noch keine Spur, und das war gut so. Ich legte einen rosafarbenen Briefumschlag in Benni Nasemanns Postfach.
Freitags versammelten sich alle Außendienstmitarbeiter im Konferenzraum, um ihrem Abteilungsleiter über ihre Abschlüsse der vergangenen Tage Bericht zu erstatten. Bei dieser Gelegenheit war es üblich, dass Hannes ihnen vorher die Post in ein eigens dafür vorgesehenes Regal im Konferenzraum legte. So konnte ich sicher sein, dass mein Briefumschlag seinen Adressaten fand.

Ich hatte Nasemann auf neutralem Briefpapier mit der Schreibmaschine ein paar Worte getippt. Sie waren so gehalten, dass er glauben musste, dass Ina ihren „Fehler“ eingesehen hätte, und ihn zu einer Aussprache bitte; unter vier Augen am Samstagabend um zehn Uhr in der verlassenen Werkstatthalle der ehemaligen Spedition „Bräsig“ im alten Industriegebiet.
Der Brief endete mit den Worten: Es soll dein Schaden nicht sein, wenn du pünktlich bist. Eine Taschenlampe werde ich mitbringen, damit unsere Körper sich auch finden. Deine Ina.

Gegen neun Uhr an jenem Abend, also eine Stunde bevor Benni Nasemann seinem Ziel einen entscheidenden Schritt näher sein wollte, kam ich bei der einsam gelegenen Halle an. Ich stellte meinen Wagen etwa fünfzehn Meter entfernt hinter einem Busch ab.
Aus meinem Kofferraum nahm ich meine Taschenlampe und den alten Kanaldeckelheber aus der Hinterlassenschaft meines Vaters.
Der Bereich um das Gebäude herum war so finster, wie eine Schublade voll kaputter Glühbirnen.
Zu meinem Erstaunen gelang es mir ohne besondere Anstrengung, das große, aber verrostete Rolltor zu öffnen. Es kostete mich aber eine wahnsinnige Mühe und eine halbe Stunde Schwerstarbeit, den gusseisernen Deckel der alten Ölscheideanlage, die sich nur zwei Schritte hinter dem Rolltor befand, zu entfernen und in eine dunkle Ecke zu bugsieren. Gut, dass meine Leuchte und der Deckelheber mich nicht im Stich ließen.
Freudig bemerkte ich, dass die Grube nicht völlig entleert und ein ordentliches Stück tiefer war, als ich zu hoffen wagte. Ich verdrückte mich in eine Ecke, schaltete die Lampe aus und wischte mir zufrieden den Schweiß von der Stirn. Den Deckelheber hatte ich fest im Griff. Für alle Fälle.

Was tut man nicht alles für die Gerechtigkeit?







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Kommentare zu diesem Text


 plotzn (17.02.25, 08:30)
Servus Rolf,

Dein Humor ist so tiefschwarz wie der Schacht einer Ölscheideanlage. Es gibt doch bestimmt noch ein paar unsympathische ...männer, die von ihrem kläglichen Leben erlöst werden wollen?

Liebe Grüße
Stefan

 RoRo meinte dazu am 17.02.25 um 14:19:
Hallo Stefan,

ja das ist das Schöne beim Schreiben, man kann seiner eigenen Boshaftigkeit frönen, ohne Konsequenzen zu befürchten.
Mit deiner Annahme wegen der unsympathischen ...männer liegst du richtig. So zwei, drei habe ich noch auf meiner Liste.

Gruß vom Rolf
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