KLICKS UND CLIQUEN
Synthesen + Analysen in der Matrix
Eine Kolumne von Bergmann
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Die Farben der Melancholie - Janet Klemm. II. Lyrik (12)
Janet Klemm - bratmiez - wurde 1976 geboren. Sie kommt aus Sachsen. Ihre besten Texte sind Filets öllos auf Teflon gebraten - das letzte Miau zergeht auf den Lippen meiner Ohren ------------------> und zwar meine ich das auch für ihre Wahnsinns-Vertonungen eigener und fremder Texte! ... Ich mag die Art, wie Präsenz aus ihnen strahlt, ich mag die Ebenen zwischen aufgesetzt und zart, „ich mag den Sonnenschein, der aus deinem Herz spricht, und mag den Regen, der ganz leis darüber bricht!“ (Verse von Cantalurp)
Janet ist gelernte und immertreue Bürgerin der DDD DDD RRR, in ihrer Ostbrust schlägt ein gigantisches neosozialistisches Herz. Ihr Gerechtigkeitssinn steht über allen historischen Zuständen. Sie ist wissensdurstig und sehr engagiert in der Vermittlung von Wissen. Sie ist sprachverliebt und schreibsüchtig. In ihren Texten verwendet sie gern liedhafte Formen und Stimmungen. Politik, Alltag, Idylle, Katzenliebe, Liebe zum Leben, die kleinen Dinge, alle möglichen Moden, Unstimmigkeiten, Beziehungen, Verletzung in der Liebe, - das alles und noch viel mehr sind ihre Themen, und nur der Zackenbarsch übertrifft sie hier noch an Vielfalt. Aber dafür ist Janet poetischer. Sie ist eine der großen, immerjugendlichen Sängerinnen im Buchstabengebiet. Mal sind ihre Texte (Lieder, Gedichte, Prosaminiaturen, innere Monologe, Essays, Kolumnen…) ganz traditionell geschrieben, mal wieder ganz zeitgemäß, wenn auch nicht unbedingt experimentell, immer aber interessant gemacht.
Ich wähle nur ein einziges Gedicht aus ihrem großen Werkverzeichnis – aber das mit Bedacht! Janet nennt es ein „Lied zum Thema Weltschmerz“, ich sehe es auch als ein Gedicht ohne Liedcharakter. In den drei Minuten, von denen dieses liedhaft-balladeske Gedicht ‚erzählt’, ereignen sich drei Szenen über die Stationen Er – Sie – Es, oder über das Leben, oder über die Identität eines lyrischen Ichs, das sich erst in der mittleren Strophe nennt und in der letzten offenbart.
Für mich ist es eines der schönsten Gedichte, die ich kenne. Ich weiß nicht, ob es auf alle so stark wirkt wie auf mich. Dieses Gedicht kann ich innerlich mitsingen, ich kann es umsetzen in kleine dramatische Szenen, ich sehe eine junge Frau vor mir, wie sie staunend durch die Stadt geht, und das ist nichts anderes als ihre Lebensreise! Es ist Klage und Lob des Lebens in der Stimmung einer heiteren Melancholie, die nur ganz zum Schluss auch dunkel erscheint – mit dem Ausstieg ist keine finale Handlung gemeint, sondern nur ein innerlicher Ausstieg aus einem Lebens-Szenario, ein Umsteigen in ein anderes, wo die Sonne wieder scheint.
da steht dieser typ in der straßenbahn
löst ein kreuzworträtsel
schreibt alles groß
und hund mit dt
HUNDT
haha
die kleinen freuden des alltags
das dt sieht so merkwürdig aus
ich steig´ aus
(doch der typ macht sich gar nichts daraus)
da steht diese frau an der ecke
hält die hände auf
schaut mich von unten an
hab sie
vor lachen
übersehen
ich muß gehen
haha
und weiß nicht mal wohin
(weiß nicht mal wohin?)
da steht dieses kind vor dem spiegel
mit meinem alten gesicht
und ich streck’ ihm die zunge ’raus
weil ich lache
haha
und dann denke ich mir so
irgendwann macht man sich nichts mehr draus
wenn die sonne nicht scheint
steig’ ich aus
wenn die sonne nicht scheint
(ist es aus) .......(ist es aus)
da steht dieser typ:
In dieser Strophe wird ein Mann nur benutzt, um sich der eigenen Freude an der Sprache und über die Sprachfähigkeit lachend bewusst zu werden: „haha“. Dieses Lachen kehrt in jeder Strophe wieder, aber nicht streng an der gleichen Stelle, und trotzdem wirkt es wie ein Kehrreim, ein Kehrreim wachsender Erkenntnis. „dieser typ“ kümmert sich nicht um das lyrische Ich, das im ganzen Gedicht mit sich beschäftigt ist, beobachtend durch den Alltag geht – ars contemplativa.
da steht diese frau:
Eine Bettlerin, an der das immer noch lachende lyrische Ich im Übermut der Sorglosigkeit vorbeigeht – aber auf einmal schlägt das bisher so leichte Gedicht in Ernst um und wird schwer: Sie erkennt, dass sie nicht weiß, wohin sie will, und echohaft wiederholt sie die anfänglich sorglos geäußerte Unwissenheit. Da möchte ich dieses „haha“ beim Lesen im letzten Laut sterben lassen. Das ist toll gemacht, wie diese Ich-Suche von außen nach innen geht und sich um eine Mittelachse dreht (wie Rilkes „Panther“).
da steht dieses kind:
Während der Mann in der ersten Strophe zur Spiegelung des Ichs benutzt wurde, schaut das Ich nun in den Spiegel, es kommt zu sich selbst. Es ist eigentlich schon erwachsen, sieht sich aber gern noch als Kind und streckt dem alten Gesicht die Zunge heraus, es verlacht sich selbst. Aber dieses dritte „haha“ kann nicht mehr so naiv herauskommen wie in der ersten Strophe, es ist auch kein halbes Lachen wie in der zweiten, sondern jetzt nur noch ein gespieltes Lachen, kein echtes. Es folgt die Reflexion – und nun geht das lyrische Ich im Allgemeinen („man“) auf, es wird erwachsen: Nimm dein Alter an, nimm dich an, wie du bist! Und akzeptiere auch schwerere Lebenssituationen („wenn die sonne nicht scheint“) und akzeptiere auch den letzten Zustand – wenn dein Leben zu Ende geht: Die eingeklammerte, wiederholte letzte Erkenntnis ist bestimmt ganz leise, in der Wiederholung liegt eine kleine Traurigkeit darüber, dass kindliche Verdrängung nicht mehr funktioniert. Das Leben ist so wunderbar, dass ich nicht sterben will, aber weil ich weiß, dass ich sterbe, wird mir das Wunder meines Lebens erst bewusst.
Ich wiederhole: Dies ist eines der schönsten Gedichte, die ich kenne.
Ulrich Bergmann
Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag
du übertreibst maßlos aber es tut gut, miau! danke und laß dich gebührend feiern heute, joa?
(07.04.07)
(26.04.07)