KLICKS UND CLIQUEN

Synthesen + Analysen in der Matrix


Eine Kolumne von  Bergmann

Samstag, 10. Mai 2008, 00:49
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Im Namen des Sturms - beneelim. II. Lyrik (22)

beneelim (ehemals: alois5) wurde 1976 geboren, kommt aus Oberösterreich.
Über sich selbst schreibt er:

Noch immer
Mit unbeirrt offenen Armen
Schöne Stolze vom Nil
Trittst du aus den Höhlen hervor
Dein Auge voll Kühnheit
Dein goldener Leib ohne Scham

Du weißt um die Gräber
So hast du Kraft zu verschenken
An mich
Für den Aufbruch ins Morgen


Diesem immer noch ziemlich jungen Mann liegt eine mystische Schreibweise im Blut seiner Feder - das zeigt schon die Selbstcharakterisierung, in der er sich oder seine Gedanken in eine ferne Welt seiner Sehnsucht versetzt, wo er die schöne Stolze trifft, die Unerreichbare, deren kostbaren Leib er will, und in dieser goldenen unio mystica erhofft er sich die Neugeburt, den Aufbruch in die Zukunft. Wer ist diese Muse? Es handelt sich ganz offensichtlich nicht um eine konkrete Person, eine Frau im Jetzt des oberösterreichischen Alltags. Ist es eine abstrakte Muse, vielleicht die Literatur, eine Göttin der Kunst, eine künstliche Göttin, ergo die Projektion einer Muse? Ich denke, letztlich ist dieses anfeuernde Selbstgespräch nichts anderes als die schreibende Selbstbegattung, ein Schöpfungsakt des Ichs mit dem Ich…!


Das Gedicht „anodos“ (griechisch Aufstieg, Weg zur Erleuchtung, ein Begriff in Platons „Politeia“) verweist wieder in die Ferne. Aber hier geht es nicht um eine ferne Geliebte. Aber es geht wieder um Sehnsucht und Suche, es geht um die Suche nach Erkenntnis und Geburt ins wahre Leben - das wird deutlich in der vierten Strophe des balladesk klingenden, sehr rhythmischen Gedichts - liedhaft beschwört es dieses Suchen und Ringen um Wahrheit in numinosen Bildern. Die Kinder - das sind wir. Die ohne Erkenntnis sind, sind unbewusst, sind nicht erwachsen, sind Kinder. Sie graben nach dem prometheischen Feuer wie nach Erz, nach dem apollinischen Licht der Erkenntnis. Sie suchen den Fremden, den Anderen, den Täufer des Tages. Diese Begrifflichkeit erinnert an die Bilderwelt in Nietzsches Buch „Also sprach Zarathustra“. Es geht um die Taufe des Tages - der Tag ist das bewusste Erleben des Lichts, die Selbstvergewisserung des Seins, also die eigene Taufe durch Erkenntnis.

anodos

wenn der sturm kommt
in den ecken, in den staubigen
ecken
ringt die kinderschar
leise unter dem dach ihrer hände
um feuer

die türen die türen
malt sie rot in den schatten
mit fingern die
haben wir gestickt
von dem nass unsrer köpfe

die türen,
die schweren
die kammern,
die dunklen

lasst sie graben -
nach feuer, und tiefer
nach klingendem licht
nach dem fremden,
der heißt:
der täufer des tages

am anfang war nichts,
als die hand
und der zitternde schoß
und das haar das
sich sträubt in der
sinkenden stille

wenn die kinder
die offenen münder
die trockenen zungen
hinauf an das dunkel führen
und die luft
ihren tausendsten tag
in den plüschigen kerkern
abgestanden hat

wenn die traurigen augen
dem schrei ihrer täuschung
erliegen
steht der himmel
fällt der himmel
von wolken und asche und
licht und von
allen diesen namen
die sich verheimlichten

am anfang, am ende
im namen des sturms
trägt der tod
das kleid eines kindes

er war zu laut für das geschäft
einer fröhlichen welt
in den kammern,
den dunklen
barst das dach vieler hände

Wer aber ist dieser Fremde, der andere, der Täufer? Ist es die Welt, in die sich die Kinder begeben, wir, die wir unser Sein gestalten. Ist unser Täufer also die Arbeit, durch die wir erst werden? Oder der in der vorletzten Strophe genannte Tod, der uns unser Sein überhaupt erst bewusst macht?

Wie ist die Lage zu Beginn? In den ersten beiden Strophen wird die Geborgenheit der Kinderwelt bedroht - durch Sturm. Übersetzen wir diese Kinderhände, die sich vor Gefahr schützen, in eine erwachsene Welt, dann ist es unser untergehender Schöpfungsbegriff, der im Sturm der Ereignisse (Weltkriege, ökologische Selbstzerstörung, Hitler, Stalin, Mao) zerbirst. Es ist unmöglich, den Mutterleib ins postuterale Leben fortzusetzen oder zu wiederholen. Das Feuer, das alles rot macht, ist das Zeichen dieser prometheischen Erkenntnis: Wir sind allein. Das Feuer dringt zu uns vor. Leid macht uns erkennen. Fast hermetisch die zweite Strophe: Das Nass unserer Köpfe ist unser Hirn, mit dem wir unsere Schöpfungsfinger, Technik und Kunst bilden, also Instrumente schaffen, mit deren Hilfe wir die roten Türen, die Gefahren, uns vom Leib halten und verdrängen (malt sie rot in den schatten).

Am Anfang war nichts: Nur das Gefühl der Geborgenheit, aber um uns herum das Dunkel, Nichtwissen, Unbewusstheit. Wir trinken und atmen im Schoß unserer Mütter und Familien (in plüschigen kerkern). Die unwissenden Augen sind traurig im Anblick der großen Täuschung (oder Enttäuschung): Wir haben keine Heimat, über uns der geglaubte Himmel fällt herunter, Asche und Licht - zerstörter Glauben und Erkennen der Nüchternheit des Seins.

Von Anfang an begleitet uns der Tod, aber erst spät merken wir seinen Griff. Wenn wir den Tod begreifen, ist es schon zu spät - der Sturm, das Leben oder die Gewissheit des Todes wirft uns zurück in die Kammer der Dunkelheit. Der Tod bettet uns im Namen des Lebens. Wir wissen nichts. Je mehr wir das erkennen, umso mehr birst das Dach unserer Hände, mit denen wir uns nur für kurze Zeit ein fröhliches Leben bauten.

Ulrich Bergmann

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Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag

wupperzeit (58)
(30.05.08)
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