KLICKS UND CLIQUEN
Synthesen + Analysen in der Matrix
Eine Kolumne von Bergmann
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Vor dem Zentralabitur
250. Kolumne
Hier einmal zum Vergleich, was man als Lehrer mit einem LK Deutsch von 11,2 bis 13,2 lesen konnte - bei 5 Stunden Unterricht wöchentlich.
Es war kaum ein Problem, so viele Bücher privat kaufen zu lassen. Und nicht jede Lektüre war Klausurthema, manche wurden auch in zwei bis 3 Stunden besprochen.
Hinzu kam noch:
Rhetorik.
Sprachgeschichte (Althochdeutsch, Mittelhochdeutsch)
Literaturgeschichte (vom Humanismus bis heute), oft am Beispiel von Gedichten.
Theorie des Dramas, des Epischen, der Lyrik
Wir lasen eine ganze Reihe von theoretischen Aufsätzen, z. B. Über naive und sentimentalische Dichtung (Schiller)
Es gab vor 30 Jahren eine andere Schülerklientel als heute. Dafür ist die gymnasiale Schülerschaft heute sozial erfreulich breiter als damals. Beklagenswert finde ich nur, dass die realen (durchsetzbaren) Bildungspläne und -gegenstände im Fach Deutsch ausgedünnt wurden, abgesehen vom praktischen Theaterspiel.
Hier nun meine Liste, die natürlich nicht jedesmal so umfangreich war:
LK Deutsch 11,2-13,2
Abitur 1984
Die Lektüren:
Nibelungenlied (Auswahl) 11,2
Brecht, Leben des Galilei 11,2
Sophokles, König Ödipus 11,2 /
Kleist, Der zerbrochne Krug 11,2
Brecht, Mutter Courage und ihre Kinder 12,1
Pinthus, menschheitsdämmerung 12,1
Lohenstein, Cleopatra 12,1
Reuter, Schelmuffsky 12,1
Lessing, Nathan der Weise 12,2
Borchert, Draußen vor der Tür (und Erzählungen) 12
Giraudoux, Die Irre von Chaillot 12
Goethe, Urfaust 12,2
Goethe, Die Wahlverwandtschaften 12,2
Wickert, Der Klassenaufsatz 12,2
Handke, Wunschloses Unglück 12,2
Schiller, Kabale und Liebe 12,2
Schiller, Don Carlos 12,2
Tieck, Der gestiefelte Kater 13,1
Rilke, Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge 13
Sartre, Das Spiel ist aus 13
Heinrich Mann, Professor Unrat 13
Shakespeare, Wie es euch gefällt 13,1
Novalis, Heinrich von Ofterdingen 13,1
Büchner, Dantons Tod 13,1
Busch, Die fromme Helene 13,1
Heine, Deutschland. Ein Wintermärchen 13,1
Dürrenmatt, Die Ehen des Herrn Mississippi 13
Fontane, Effi Briest 13,1
Böll, Ansichten eines Clowns 13
Thomas Mann, Tonio Kröger 13
Kafka, Die Verwandlung 13
Kafka, In der Strafkolonie 13
Kafka, Vor dem Gesetz und andere Parabeln 13
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Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag
Wir lasen in der Oberprima von "Zurl Kackmeier": Des Teufels General. Der Kerl von sog. Deutschlehrer war nicht in der Lage herauszuarbeiten, dass Zuckmayer dem WK1-Flieger Ernst Udet ein Denkmal gesetzt hatte. Die Leistungsstreuung bei den gymn. Deutschlehrern ist extrem hoch, immer noch! Lothar
(20.05.11)
Zu Jacks Eindruck, im Deutsch-Unterricht habe er endlos leeres Geschwafel erlebt, kann ich nichts sagen. Grundsätzlich ist es oft so, dass den jungen Leuten die manchmal langwierige Annäherung an ein Werk als Gelaber vorkommt, was es oft aber nicht ist. Übersehen werden gern die didaktischen Rücksichten, die der Lehrer nehmen muss; übersehen wird oft auch, dass die Mitschüler nicht alle so intelligent sind wie der sich langweilende Schüler; oder die ganz unterschiedlichen Interessen (siehe EFFI BRIEST; dieser Roman gehört in meinen Augen zum Schönsten und Besten, das es überhaupt gibt), Stimmungen der Postpubertären... und für Erwachsene gälte Ähnliches. Das ist alles sehr komplex.
Es bringt ja nun nicht viel, wenn der Lehrer frontal verkündet, was zu einem Werk zu sagen ist. Die Kunst der Balance zwischen literaturwissenschaftlichem Diskurs und den Perspektiven Jugendlicher ist m. E. schwieriger als so manches Palaver im LK "Sozialwissenschaften", ein Fach, das (ähnlich wie Deutsch) gern von denen gewählt wird, die meinen, hier müssen man nicht ganz so viel lernen. Sozialtheorien sind allemal prüfungsgeeigneter als analytisch-interpretatorische Ausführungen im Zusammenhang mit Form- und Gattungsfragen im literaturhistorischen Kontext.
:-)
[aus dem Rtrrggnktrlischen übersetzt: ]
Logbuch von Krrng- Irr III., der mit seinem lautlosen Raumschiff die Quantengalaxien in gleichzeitiger Hyperlichtgeschwindigkeit durchstreift:
Als wir uns der "Erde" näherten, tönte eine vage Beklemmung in mir, denn das war der Planet, auf dem das berühmteste und härteste Abitur aller Zeiten geschrieben werden sollte, in dem stolzen Staate Bavaria. Würde diese geballte Kompetenz die unsrige in den Schatten stellen? Nun hatte man ja sogar das G8 als nochmalige "Optimierung", folglich als Verbestererung, etabliert und der erste G8- Jahrgang schrieb die maximalpotente Essenz des neuen Bildungsgrals. Deutsch mussten jede und jeder, wie, z.B., eine Fremdsprache und Mathematik, schriftlich absolvieren. Ich ließ mir die Aufgabenblätter heraufbeamen und fieberte ob der erwarteten anspruchsvollsten Inhalte des Universums. Eine Aufgabe von fünfen sollte man sich aussuchen und in 270 Minuten bearbeiten. Nanu - die ersten vier waren lediglich mittleren Schwierigkeitsgrads? Mir stockte der Beinatem, denn das hier war die fünfte:
"AUFGABE V (Argumentieren, auch in freien Formen)
Variante 1:
Erörtern Sie unter Berücksichtigung der beigefügten Materialien und Ihrer eigenen Erfahrungen Chancen und Risiken für Freundschaft im Zeitalter digitaler Kommunikation! Entwickeln Sie ausgehend von Ihren Ergebnissen Vorschläge, wie die Chancen erweitert und die Risiken eingedämmt werden können!
oder
Variante 2:
Verfassen Sie einen Kommentar für die Jugendseite einer überregionalen Tageszeitung zum Thema "Freundschaft im Zeitalter digitaler Kommunikation", in dem Sie auf das SZ- Interview mit William Deresiewicz (Material 2) antworten! Beziehen Sie in Ihre Ausführungen die beigefügten Materialien und Ihre eigenen Erfahrungen mit ein!
Ihr Kommentar muss eine passende Überschrift erhalten und sollte eine Länge von etwa 800 Wörtern haben!" *
Das sollte die sagenhafte Höchstprüfung der Bajuwaren sein? Das konnte es doch nicht geben! Ich stieß Rrrktlgor an, ob ich mich leichtfertig verlesen oder semantische Fallstricke übersehen hätte, doch er verneinte. Wie ein Aufprall hallte mir dieses "nein" in den drei Ohren. Man konnte sich auch noch etwas aus den reichhaltig vorhandenen Begleittexten saugen? "eigefügte[ ] Materialien" waren krr´)eine BILD- Werbeanzeige krr´´) "Internet, Ort der Einsamkeit", ein gekürztes Interview von J. Kuhn "mit dem Literaturwissenschaftler und Kulturkritiker W. Deresiewicz"* krr´´´)"Alle Freunde auf einen Klick", ein Artikel von C. Koch in Auszügen(Tagesspiegel) krr´´´´)Allensbacher "Statistik zu Veränderungen der Gesprächskultur", wo dazu noch thematisch relevante Ziffern für die Abiturienten im Voraus markiert wurden krr´´´´´) "Ein Freund, ein guter Freund" in Auszügen, ein Artikel von M. Täubner (FAZ). Da konnte man sich alles heraussuchen, das konnte doch wohl nicht wahr und edel sein?! Ich ließ mir die Statistiken, da alles schon fertig korrigiert war, hermaterialisieren. Streng genommen hatte man für diese Aufgabe eigentlich nicht viel vorbereiten müssen. Jetzt die Schülerstatistiken bezüglich der bisherigen Leistung in Q11 und Q12 zum Vergleich herangezogen: Tatsächlich hatten die die Mehrzahl der SchülerInnen stellenden "LaberfritzInnen", die allesamt V Variante 2 hinklecksten, ordentlich abgeschnitten.
Vielleicht war nur dieses wichtige Fach zur kulturellen Teilhabe derart leicht gestaltet worden? Die Ernüchterung griff mein eckiges Herz an: Wieder danebengelegen. In den Fremdsprachen, genauer gesagt, dem Italienischen, war ähnliches gefragt worden: Medien. Bei großen Allgeist Rtrrrtrtrrrm! Wie hat das bloß so furchtbar nachgelassen. So wurde die scheinbar unerschütterliche Legende zertrümmert und in die unerträgliche Sklaverei der beliebigen Durchschnittlichkeit geworfen. Unmöglich, dass deren "beste" mit uns auf Augenhöhe diskutieren könnten. Und dabei wollten wir doch dem auserwählten Volke der bajuwarischen AbigängerInnen sämtliche komplexen Geheimnisse der interagierenden Teilsysteme des allumfassenden Wissens und der Unsterblichkeit zeigen. Wie wurde über dieses comische Kammerspiel denn berichtet? Die PNP, ein exorbitant mieses Käseblatt der Rechtschreib-, Sinn- und GrammatikfehlerInnen, berichtete schier Unglaubliches: Trotz dieser fächerübergreifenden Erleichterung schien es dennoch Probleme, vor allem in Mathe, gegeben zu haben: Das Ministerium habe die Standards der Benotung jetzt geändert, weil die fertigen Ergebnisse nicht so doll aussehen würden. Das macht den Kohl der Blamage wohl endgültig zum fettesten Trauerkloß des gemeuchelten Niveaus. Was hatten die LehrerInnen, die die Elèven vorbereiteten, nur fabriziert? Was waren das vor allem für welche? Ein Blick auf die hochtransferierten LehrerInneneinstellungsstatistiken ließ mir die Nadelhaare zu Tale stehen. In den letzten Jahren herrschte akuter Lehrermangel, weswegen das Ministerium fast alle BewerberInnen, auch ganz schlechte, mit Planstellen fest genommen hatte. Personalauffüllung aus purer Not? Und jetzt stünden Absolventen mit 1,5 mit leeren Händen da? Eine greuliche Kulturhoheit bar Weitsicht, fürwahr? Dieses G8....und es müsse dazu noch besser dastehen als der letzte G9-Jahrgang, sagt man in der Staatspartei? Ich lud mir episodische Kopien der diesbezüglichen Konferenzen hoch: Ach, deswegen waren die letzten G9linge nicht sauer ob des leichteren Abis für die ersten Achter. Man hatte mit ihnen ein Abkommen getroffen. Bei "endgültigem" Nichtbestehen des letzten G9-Abiturs bekäme man zusätzlich die nachträgliche Chance der mündlichen Nachprüfung im September dieses Erdenjahres. Wo war das Zukunftsholotron? Tatsächlich, alle Nachprüflinge der Neuner werden bestanden haben.
Ich befahl Rrrktlgor, schnellstens zur nächsten denkenden Spezies zu düsen, und bemühte mich, diese Enttäuschung schnell zu vergessen....zu vergessen.....
* zitiert aus dem Aufgabenheft zur Abiturprüfung Deutsch G8.
Da fällt einem sofort Büchners "Pforzheimer Aufsatz" ein.
Hm, kniffigpfiffig?: Der offizielle G8- Schnitt scheint derjenige zu bleiben, der zunächst - vor der Änderung der Standards der Bewertung - ermittelt wurde. Jetzt müssten sie eigentlich die (schlechten) Noten jener, die durch die nachträgliche Änderung doch noch ihr Abi bestehen haben dürfen, dazuzählen und das Ganze neuberechnen - aber seltsamerweise bleibt die gute Zahl von 2,2 bis 2,3 auf geradezu magische Weise stehen - auch noch ganz zufällig besser als der letzte G9- Jg.
Früher aber mit mehr ´oontärgründigäm Esprit bei den Erörterungsthemata, z.B.
Erörtern Sie diese Aussage des französischen Philosophen Henri Bergson anhand einer Komödie aus der deutschen oder der ausländischen Literatur!