KLICKS UND CLIQUEN

Synthesen + Analysen in der Matrix


Eine Kolumne von  Bergmann

Freitag, 21. Oktober 2011, 10:15
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Der Raucher oder Dicke Luft. Ein bürgerliches Trauerspiel

273. Kolumne

Es knirscht in allen Ganglien, wenn man das liest:

Exposé

I. Exposition: Damonte, so nennen wir unseren tragischen Helden, ist 22 Jahre alt. Bei einem Symposion mit Freunden verliebt er sich in ein Mädchen. Er flirtet und sucht sie für sich zu gewinnen. Sie sagt: Willst du eine Zigarette? (Eva und der Apfel.) Er: Nein, wie geht das? Sie: Einfach einatmen. Er nimmt von ihr eine Benson & Hedges, inhaliert das Nikotin, trinkt trockenen spanischen Weißwein. Er raucht die Zigarette aus der goldenen Packung und verführt sie mit seiner neuen Männlichkeit.

II. Der Knoten wird geschürzt: Zwanzig Jahre später (Verstoß gegen die aristotelische Einheit von Ort und Zeit). Damonte, inzwischen Studienrat, ist so süchtig, dass er nur rauchend unterrichten kann. Er pafft eine Reval nach der anderen, während er über den Untergang des Abendlandes und Opium fürs Volk schwadroniert - und die Schüler rauchen passiv mit.

III. Peripetie: Derselbe Oberstufenkurs: Eine Schülerin fordert von Damonte, das Rauchen im Klassenraum aufzugeben. Sie sei schwanger. Damonte steht in einem schweren ethischen Konflikt zwischen Pflicht und Neigung. Anlässlich einer Stunde über den Kategorischen Imperativ Kants steigt er von Reval auf Schnupftabak um (tragische Ironie). Damonte fehlt der alte Antrieb. Sein Unterricht wird daraufhin absurd - die Schüler lernen nichts mehr, ihr Erfolg im Abitur ist gefährdet. Damonte droht langfristig das berufliche Scheitern, im schlimmsten Fall Suspendierung vom Dienst (quasi das 3m-Brett der tragischen Fallhöhe).

IV. Retardierende Momente / Scheinlösung: Die Schüler zwingen nun die raucherfeindliche Schülerin zu einem Schwangerschaftstest; der fällt negativ aus. Daraufhin darf Damonte wieder rauchen.

V. Katastrophe: Damonte liest Sigmund Freud und erkennt sich selbst. Mit der filterlosen Zigarette sublimiert er sein infantiles Steckengebliebensein in der oralen Phase. Er weiß nun: Sein Unterricht war nichts als Schall und Rauch: Ernst das Labern und heiter der Dunst. Damontes tragischer Fall folgt: Er frisst völlig verzweifelt die Kreide, mit der er die Definition der Tragik an die Tafel schreiben wollte, dergestalt, dass er an der Selbstverkalkung mit dem seine letzte Stunde beendenden Gongschlag stirbt. Damonte entschied sich für die Pflicht! In diesem Moment begreifen die Schüler: Non scholae, sed vitae discimus, sie wissen jetzt, was Tragik ist, und bestehen glanzvoll das Abitur.
Aristoteles’ Katharsis-Begriff ist erfüllt: Der Zuschauer hat Mitleid mit dem Helden (Damonte) und fürchtet sich vor den Gefahren des Rauchens. Im Affekt gereinigt ist die dicke Luft im Klassenzimmer.

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Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag


 loslosch (28.10.11)
hoch verdichte(r)ter starker tobak. husthusthust ...

 Dieter_Rotmund (29.10.11)
Wieso diese konkreten Markenbezeichnungen?

 Bergmann (30.10.11)
Warum nicht???

 Dieter_Rotmund (30.10.11)
Sie scheinen keinen Zweck zu erfüllen.

 Bergmann (30.10.11)
Doch! Marken geben Farbe, wir wachsen mit ihnen auf wie mit der Familie. Und sie machen die erzählte Welt realer, geben den Worten Authentizität. Es ist wie mit Straßennamen...
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