KLICKS UND CLIQUEN
Synthesen + Analysen in der Matrix
Eine Kolumne von Bergmann
(bisher 1.700x aufgerufen)
Anstrengende Bewusstseinsströme
384. Kolumne
Döblins berühmten Roman „Berlin Alexanderplatz“ habe ich nie im Unterricht behandelt. Kollegen, die ihre Studienzeit an der Uni nicht überwinden konnten, wühlten gern in den Erzählperspektiven Döblins herum und traktierten damit die Schüler, um zu demonstrieren, dass auch Deutschlehrer logisch denken können. Es gab in den 70er Jahren entsetzliche Linguistik-Moden ... Ich hatte damals den Fernsehmehrteiler „Franz Biberkopf“ von Fassbinder gesehen, mit einigem Interesse, aber nicht mit Begeisterung; mir gefiel auch nicht der Hauptdarsteller, Günter Lamprecht.
Ich teile Thomas Klupps Unbehagen an Döblin. „Berlin Alexanderplatz“ ist nicht tief, es will tief wirken durch sein Perspektivenspiel und die inneren Monologe, die sich oft ver-rätseln. Da wird Tiefe nur vorgetäuscht und sprachlich angerührt. Die Großstadt birgt heute soziales Leid, das dem von früher vergleichbar ist, aber Gemüt und Schwermut vermitteln sich heute anders. Das allerdings werfe ich Döblin nicht vor. Das ideologische Fundament schon eher, es stört auch bei Brecht oft. Nur hat Brecht mehr Witz und Spielvermögen, da lasse ich mich lieber verführen (ohne am Ende verführt zu sein) oder entführen zu einer Exkursion auf subtileren Denkwegen.
Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag
"Döblin lag nicht richtig. Er kam nicht an. Der progressiven Linken war er zu katholisch, den Katholiken zu anarchisch, den Moralisten versagte er handfeste Thesen, fürs Nachtprogramm zu unelegant, war er dem Schulfunk zu vulgär; weder der ‚Wallenstein‘ noch der ‚Giganten‘-Roman ließen sich konsumieren; und der Emigrant Döblin wagte 1945 in ein Deutschland heimzukehren, das sich bald darauf dem Konsum verschrieb. Soweit die Marktlage: der Wert Döblin wurde und wird nicht notiert.“ (Günter Grass: Mein Lehrer Döblin 1968, zit. n. Walter Killy (Hrsg.): Literatur-Lexikon. 1989. Band 3, S. 79) - zitiert im wiki-artikel zu döblin.