KLICKS UND CLIQUEN
Synthesen + Analysen in der Matrix
Eine Kolumne von Bergmann
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Buntgemalte Schulterblätter - mondenkind. II. Lyrik (21)
mondenkind wurde 1974 geboren. Sie ist neuerdings von Beruf Gezeiten-Beauftragte und tätig als Gedanken-Hippie aus Baden-Württemberg.
Entkörpert
Es irrt ein Seufzen
nach der Lunge
die nicht mehr ist
sie brach leise
im Kampf
Als du gingst, verfing sich ein Stück meiner Haut in
deinem Schweigen. Eine Weile wies sie mir den Weg
deiner festen Schritte in verräterisch bleicher Spur.
Doch sie kam nie zurück.
[Fege
Eisenfarbiges
von weißen Kacheln]
Ich habe mir die Knochen blankgewaschen. Rot hat
mir noch nie gut zu Gesicht gestanden. Nun sehe
ich Wachstumsfugen und fühle mich erinnert,
irgendwie. Würde gerne noch einmal
darüberstreichen. Doch mir fehlt, mir fehlen -
[-es waren zu viele meiner Fingerabdrücke
zu viele Handspuren zu viele
auf deinen Lippen deinen Lidern deinen deinen
habe sie leer habe sie habe sie weggetastet --]
Schlafe fortan auf dem bloßen Rückgrat. Ein
Zerbrechen mit meinen buntgemalten
Schulterblättern geschient.
...
[Es verfiebert sich.]
ich esse nicht mehr
mir fehlt das Herz
das hungert
Mir hat dieses etwas seltsame Gedicht sofort gefallen. Ich weiß aber nicht, was es ist, was mich sofort zu dieser Bildersprache hinzog. Der erste Vers ist ja eigentlich eine Unmöglichkeit: „Es irrt ein Seufzen…“ Da fällt die Larmoyance mit der Tür in meine Augen. Aber dann kommt der überraschende K(n)ick, „.. Es irrt … nach der Lunge“, das personifizierte Seufzen sucht verzweifelt Luft, um Seufzen zu sein, aber das scheitert, weil die Lunge „nicht mehr ist“, denn „sie brach leise | im Kampf“.
Der Beginn ist expressionistisch - die Klage wird ins Unermessliche getrieben, sie erstickt, bevor sie werden kann, sie bleibt unartikuliert und unerhört. Ich denke an den stummen „Schrei“ von Edvard Munch.
Was ist geschehen? Was für ein Kampf zerstörte dieses Ich, das nicht klagen, nicht atmen, nicht leben kann? „Als du gingst,…“ Aha, Trennung! Das liebende Ich kann ohne sein Du nicht mehr leben. Bei der Trennung „verfing sich“ das verlassene Ich mit einem Stück Haut im Schweigen des Du. Dieses Bild unterstreicht die Totalität der Trennung: Nichts blieb beim Du, die Haut, der Rand des Ichs, fiel aus dem Schweigen des Geliebten, aus der entleerten Beziehung. Nur Erinnerung blieb, es bleibt eine Wunde und ein Fetzen Hoffnung auf Rückkehr - doch die festen Schritte des Geliebten gehen einen anderen Weg, „in verräterisch bleicher Spur“: Die Körpersprache des Geliebten sagt alles: Ich bin nicht mehr für dich da, ich gehe weg von dir: Seine Schritte sind fest, entschlossen geht er weg von mir, so jedenfalls erlebt es dieses leidende Ich.
Der Tod der Liebe zeigt sich von Anfang in starken Bildern der Entkörperung, die weiter fortschreitet: Eingeschoben folgt nun eine Handlung, die eine Reinigung meint: Ich „Fege Eisenfarbiges von weißen Kacheln“ - hier repräsentiert die Dingwelt die Wunde: Der Rost ist der Schorf, der von der Haut gelöst wird, den weißen Kacheln. Weiß meint den früheren reinen Zustand der Unversehrtheit der Liebe.
Jetzt härter: „Ich habe mir die Knochen blankgewaschen“ - das deutet auf eine schmerzliche Trauerarbeit hin. Daran wächst die Trauernde. Aber sie hat es noch nicht ganz geschafft, sie sucht immer wieder die Wunde, also die Verbindung zum Geliebten… „Doch mir fehlt, mir fehlen -“, sie kann es gar nicht sagen, sind es die Gefühle der Liebe, auf die die tastenden Fingerkuppen im zweiten Einschub hinweisen? Zu oft berührte sie die Male der verlorenen Liebe, sie zerrieb sich in dieser Trauer, scheuerte sich blank bis auf die Knochen, ihr fehlen die Berührungen auf der Haut des Geliebten, die sie bei sich selbst weggetastet hat. Sie hat sich bis auf ihr Rückgrat aufgerieben.
Entkörperung.
Die Wirbel sind von buntgemalten Schulterblättern geschient - ein schwieriges Bild, ein Kreuz ergibt das, ein buntes Wundenkreuz in allen Rottönen. Es ist gemalt, ein gestalteter Schmerz. Es ist ein selten wahres Bild der Trauer.
Zuletzt: Fieber des Restkörpers, der nicht mehr essen kann, es fehlt der Mund zum Küssen, es fehlt das Herz zum Lieben, das hungert.
Das Gedicht beschreibt in konsequenten Bildern die Leere einer Liebenden im Verlassensein, das Totsein in der Eiszeit des Verlusts, in der Dulosigkeit eines zerbrochenen Ichs. Am Körper spüren wir unsere Seele. In der Leere des Seins sind wir also entseelt.
Ulrich Bergmann